Tichys Einblick
"Keine Überraschung"

Wie das Baerbock-Amt systematisch das Recht beugte

Gegen drei Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes wird wegen des Verdachts der Rechtsbeugung ermittelt. Aber die Vorwürfe fallen zurück auf die Amtsherrin, Annalena Baerbock. Wäre sie nicht Frontfrau der Grünen, sie hätte sich längst für die Fehlentscheidungen verantworten müssen.

picture alliance / Metodi Popow

Visa-Arbeit ist schwere Arbeit. Diesen Eindruck trägt man davon, wenn man die neuesten Nachrichten zum Visa-Skandal im Auswärtigen Amt liest. Es geht dabei um mehrere Fälle, in denen Afghanen und andere Staatsangehörige mit falschen oder minderwertigen Papieren nach Deutschland eingeflogen wurden. Das Amt hat die konkreten Vorwürfe, die die neue Runde des Visa-Skandals ausgelöst haben, zurückgewiesen. Tausende sollen so laut Focus in den letzten fünf Jahren nach Deutschland gekommen sein.

Laut Auswärtigem Amt (AA) geht es bei den konkreten Ermittlungen gegen drei Beamte nur um „weniger als zwei Dutzend Fälle von Afghanen“. Es gehe dabei um zwei Charterflüge mit Afghanen. Aber das ist kein Dementi, denn die Rede war daneben von Syrern, Türken, Pakistanern und Afrikanern, die durch die großzügige Visavergabe unter Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) nach Deutschland gekommen seien, wo sie dann meistens einen Schutzantrag stellten.

Außerdem könnten – auch angesichts der Aussage des AA-Sprechers – durchaus noch mehr afghanische Fälle existieren, die aber noch nicht das Interesse der Staatsanwälte in Berlin und Cottbus geweckt haben. Die Verlautbarungen aus dem Baerbock-Ministerium sind spindeldürr und fadenscheinig. Auch die drei Mitarbeiter, die nun der Gegenstand von staatsanwaltlichen Ermittlungen sind, werden vielleicht nicht das Ende der Fahnenstange bleiben. Weitere könnten in die Affäre hineingezogen werden, vor allem aber die Chefin höchstpersönlich.

Schon jetzt steht fest, dass auch die Leitungsebene des Hauses am Werderschen Markt unweit des Berliner Schlosses betroffen ist und – in Erinnerung an monarchische Zeiten? – die Dinge recht selbstherrlich entschied und handhabte. Das ging schon aus dem Ursprung der ganzen Affäre hervor, dem Fall des vermutlichen Schein-Afghanen Mohammad (Ali) G. Der wollte 2022 nach Deutschland einreisen, weil sein angeblicher Bruder Khan G. schon hier lebte. Aber dass Khan G. der Bruder von Mohammad G. ist, daran erheben sich inzwischen Zweifel – wie praktisch an allem aus der Geschichte des Visums-Schleichers. Selbst sein Name bleibt unklar.

Nun versucht das AA die Botschaft anzuschwärzen

Merkwürdig ist aber vor allem die Hartnäckigkeit des AA in Sachen Mohammad Ali G. Das Fachreferat 509 für Visa-Einzelfälle hielt trotz aller Einwände aus der Botschaft in Islamabad an seinem einmal gefassten Plan fest. Dabei ging es auch um sogenannte Proxipässe, wie nun ein Sprecher des AA mitteilte. Das sind eigentlich Passersatzdokumente, die in Afghanistan üblich sein sollen, aber von Deutschland generell nicht anerkannt werden. Visa können laut den geltenden Regeln nicht in solche Ersatzdokumente geklebt werden, weil die Proxipässe auch von Dritten – etwa einem Bruder oder anderen Verwandten – abgeholt werden können. Nach deutscher Auffassung muss ein Pass aber vom Besitzer selbst abgeholt werden.

Der Sprecher von Außenministerin Baerbock erklärte, dass es bei der Erkennung solcher Proxipässe in Islamabad gelegentlich Schwierigkeiten gegeben habe. Zwar gibt es in der deutschen Botschaft in Pakistan „speziell geschulte Dokumenten- und Visaberater“, die sich eigentlich auch mit der Erkennung von Proxipässen auskennen. Aber Irren ist menschlich, und hier geschah es angeblich. Tatsächlich hat das Fachreferat im AA die Botschaftsmitarbeiter unter erheblichen Druck gesetzt, unter anderem mit dem moraltriefenden Satz, ein Visum werde „nicht für einen Pass, sondern für einen Menschen erteilt“. Botschaftsmitarbeiter traten in allen Berichten als Warnende auf.

Die Bild-Zeitung spricht aktuell von „mindestens 20 weiteren höchst problematischen Visa-Vergaben an afghanische Staatsbürger“ und meint wohl diese zwei Dutzend. Und hier soll es genau um Proxipässe gegangen sein, in die entgegen den Regeln deutsche Visa eingeklebt wurden. Weil diese Visa ja für „Menschen“ waren, und von denen kann es ja laut Baerbock und Konsorten nie genug in Deutschland geben.

Mohammad G.: Einzelfall oder Kern eines umfassenden Skandals?

Es geht aber nicht allein um die Zahl der Fälle. Die wäre sicher wichtig zu wissen, nur bis dahin kann es noch lange sein. Daneben geht es um die Qualität der Verfahren, die das Auswärtige Amt nachweislich durchgeführt hat. Und für diesen Nachweis genügen grundsätzlich schon ein entsprechendes Verfahren, das mit dem Visa-Antrag von Mohammad Ali G. vorliegt.

Der Fall Mohammad G. belegt, dass es die Zentrale in Berlin war, die gerne einmal über den „falschen Pass“ und eine ungeklärte Identität hinwegsah und die Visumserteilung par ordre de Mufti verordnete. Der Leiter des Visa-Referats im Baerbock-Haus gab hier die inzwischen legendäre Anweisung, Mohammad G. sei die Einreise im Rahmen des Familiennachzugs zu gewähren – „falscher Pass hin oder her“. Der Referatsleiter gab damit zu verstehen, dass man bei afghanischen Pässen (oder auch Nicht-Pässen) nicht so genau hinsehen solle, weil die schon gewohnheitsmäßig von minderwertiger Qualität sind, zu Deutsch: manipuliert oder gleich ganz gefälscht, Proxipässe, die von irgendeinem Schlepper massenhaft beantragt werden können, unter beliebigen Namen und Identitäten.

Aber das waren noch nicht alle Forderungen des Visa-Referats am Werderschen Markt. Der leitende Beamte forderte zudem, vermutlich weil G. nur über einen fragwürdigen Proxipass verfügte, die Ausstellung eines sogenannten Reisepasses für Ausländer (Rafa) durch die Außenstelle in Islamabad. Die wäre auch möglich gewesen, wenn die Identität und Redlichkeit von Mohammad G. über jeden Zweifel erhaben gewesen wäre.

Zudem hätte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf) den Antragsteller dazu von der Passpflicht entbinden müssen. Davon aber riet wiederum die Botschaft „nachdrücklich“ ab. In einem Schreiben, aus dem Business Insider zitiert, heißt es: „Der Antragsteller hat die Botschaft vorsätzlich getäuscht.“ Und das in zahllosen Punkten.

Widersprüche über Widersprüche, vom Fachreferat ignoriert

In der Tat gibt es eine ganze Liste von Widersprüchen und arglistigen Manövern, die Mohammad G. zur Last gelegt werden. Dabei geht es auch um Scheingründe, die irgendjemand (ein Schlepper, eine NGO?) vorgebracht hatte, um die Einreise zu rechtfertigen. „Erhebliche Zweifel“ gab es an G.s angeblichem Alter (angeblich 14 Jahre, realistische Schätzung: um die 20), aber auch seiner Herkunft (er sprach Dari mit pakistanischem Akzent) und folglich an seiner Fluchterzählung.

Zudem war behauptet worden, er sei „obdachlos und verwahrlost“. Mohammad G. erschien aber in teurer westlicher Kleidung, war gepflegt und gab an, er wohne bei einem Bekannten in Islamabad.

Zudem konnte er alle Formulare selbstständig ausfüllen – unwahrscheinlich für einen 14-Jährigen. Auch eine Augenverletzung, die ihm nachgesagt wurde, war nicht erkennbar. Also vielleicht doch kein Härtefall? G. gab sich keine Mühe, diesen Eindruck zu vermeiden.

Das Bamf lehnte den Antrag auf Erteilung eines Rafa ab. Mohammad G. klagte dagegen vor dem Verwaltungsgericht Berlin. Die Begründung des Auswärtigen Amts für die Erteilung eines Visums an Mohammad G., aus der schon der Cicero im Frühjahr 2023 zitierte, war absurd: Es lägen „diverse Fotos vom Antragsteller“ vor, zudem sei seine „ausführliche Geschichte … ebenfalls glaubhaft“, und so seien „sich alle im Raum einig gewesen, dass in diesem besonderen Fall eine Visumerteilung der richtige Weg ist“ – „trotz des falschen Passes“, da es „wie geschildert meines Erachtens keine Überraschung ist, dass ein afghanischer Pass falsch ist“.

Das Fachreferat des AA zeigt hier also bruchlosen Realismus und sieht ein, dass Dokumente aus Afghanistan eben grundsätzlich eher falsch als echt sind. Das wiederum macht falsche Pässe zu einer möglichen Grundlage im internationalen Verkehr.

Laut den Eingaben der Botschaft in Islamabad war aber in etwa gar nichts „glaubhaft“ an der „ausführlichen Geschichte“, die ihr durch Mohammad G. – oder wen auch immer – aufgetischt wurde. Tatsächlich könnte er laut einhelligem Urteil aller Kommentatoren weder minderjährig noch krank sein – und scheint auch kein Afghane zu sein. Am Ende versucht er noch, die Visa-Gebühren mit Falschgeld zu bezahlen. Das alles ist länger bekannt.

Nun wird klar, dass auch der „Anker“ für Mohammad G. in Deutschland – sein angeblicher „Bruder“ Khan G., der vielleicht gar nicht mit ihm verwandt ist – wackelt, wie Business Insider aktuell berichtet. Khan G. war auch selbst nur wegen des Abschiebeverbots nach Afghanistan in Deutschland. Er verfügte über keinen gültigen Schutzstatus, weder politisches Asyl noch Flüchtlingsstatus noch subsidiären Schutz.

Ein Abschiebeverbot bedingt zudem, dass der Profiteur ausdrücklich kein (!) Recht auf Familiennachzug hat. Genau davon sollte aber „obdachlose, am Auge verletzte, minderjährige“ Mohammad G. profitieren. Daneben liefen mehrere Strafverfahren gegen Khan G., darunter wegen Sozialbetrugs (rechtskräftig verurteilt im September 2023 zu 750 Euro Geldstrafe), wegen falscher Versicherung an Eides Statt und wegen des Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz.

Opposition: Baerbock muss Verantwortung übernehmen

Sogar Andrea Lindholz (CSU), als Unions-Fraktionsvize zuständig für Rechts- und Innenpolitik, vermisst heute laut Bild eine „aktive und offene“ Kommunikation der Bundesregierung zum Thema. Weder Innenministerin Faeser noch Außenministerin Baerbock könnten dazu „einfach nur schweigen“. Auch im Innenausschuss gab es laut Lindholz kein Wort von Faeser zu dem Fall.

Stefan Keuter, AfD-Obmann im Auswärtigen Ausschuss, geht davon aus, dass es sich beim Fall Mohammad Ali G. „nicht um einen Einzelfall, sondern nur um die Spitze des Eisberges“ handelt. Die AfD-Fraktion fordert deshalb, „alle involvierten Beamten bis zur Klärung des Sachverhaltes zu suspendieren“. Zudem müsse sich die Ministerin „zeitnah im Bundestag äußern“. Entscheidend sei ob „dies alles mit ihrer Billigung geschah oder sich hier Teile der Rechtsabteilung im Auswärtigen Amt verselbständigt haben“. Aber das ist im Grunde auch wieder gleichgültig.

Denn die Ministerin ist so oder so in der Verantwortung für das Handeln des von ihr geführten Hauses, zumal sich der Eindruck nicht mehr verwischen lässt, dass es sich eben nicht um „menschliches Versagen“ im Einzelfall handelte, sondern um die Verfolgung einer politisch

gewollten Linie in vielen Fällen. Der süße Duft der Korruption kommt noch hinzu, wenn man daran denkt, wie lukrativ die Einreisen für mögliche Schlepper und die hiesige Asylindustrie sind. Annalena Baerbock – ja, ich weiß, welcher Optimismus! – hätte als Ministerin dafür zu sorgen, dass rechtliche Verfahren eingehalten werden. Stattdessen ließ sie die Rechtsbeugung durch leitende Beamte zu, ermutigte sie vermutlich, wie andere ihrer Einlassungen nahelegen. Das führte zu Ermittlungen gegen drei ihrer Beamter.

Die Grünen wollen es so: rechtlos und willkürlich

Erinnern wir uns: Was das Einfliegen von „Afghanen“ via Islamabad nach Deutschland anging, hatte Baerbock in einem schriftlichen Vermerk dazu aufgefordert, den Konflikt mit dem Innenministerium „bis zur Ebene Bundesministerin … gegebenenfalls öffentlich“ zu eskalieren. Traute man ihr gar nicht zu – war aber so, zumindest laut dem Vermerk, in dem es wörtlich heißt: „Hier hart bleiben, ggfs. weiter bis zur Ebene BMin eskalieren, ggfs. öffentlich.“ Es ist mithin belegt, dass Baerbock sogar da, wo BMI-Beamte Einwände geltend machten, systematisch und hartnäckig auf Einflüge aus Afghanistan hinarbeiten wollte.

Das Verhalten der hohen Beamten aus ihrem Haus stimmt genau mit dieser Maßgabe überein – und liegt ohnehin vollständig in Baerbocks Verantwortungsbereich als Bundesministerin. Allerdings: Vom Rücktritt der Spitzengrünen träumen kann jeder, nur geschehen wird er nicht. Denn dazu bräuchte es ein Vergehen gegen die „Parteimoral“ und das liegt hier nun einmal nicht vor. Denn grüne Funktionäre wie grüne Wähler wünschen sich ja genau dieses Verhalten von einer Bundesaußenministerin. Solange also deutsche Ministerien Erbhöfe von politischen Parteien sind, lösen Skandale wie dieser nur sehr bedingt etwas aus.

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