Rückblickend auf die Geschichte der Menschheit sind Ausgrenzungen anderer Personen aus der Gesellschaft immer wieder zu finden. Ob man wegen seiner Hautfarbe, seiner Religion, seiner Sexualität, seines Geschlechtes oder wegen der politischen Einstellung ausgegrenzt wurde – egal. Ausgrenzung tut weh. Ausgrenzung ist eine Form des stillen Mobbings. Indem man ausgegrenzte Menschen einfach ignoriert, sie nicht teilhaben lässt, fügt man den Betroffenen Schmerzen zu. Ausgrenzung kann aktiv geschehen. Meist aber passiert Ausgrenzung still. Ohne aktives Handeln. Es geschieht einfach. Natürlich nicht einfach so. Es muss im Vorfeld etwas geschehen, damit man andere Menschen ausschließen und damit ausgrenzen kann.
Ausgrenzung ist Macht
Vor ein paar Tagen wurde auf Twitter ein Bild mit den „2G-Regeln“ für einen Weihnachtsmarkt in Erinnerung gerufen.
Der Twitter-Account stellte die Frage „Was für eine ekelhafte Gesellschaft ist das, die so etwas tut?“ Gemeint ist damit nicht allein, dass nur Geimpfte und Genesene am Weihnachtsmarkt teilnehmen durften. Gemeint ist auch – und das ist in dem Bild rot eingekringelt – die Tatsache, dass auf dem Schild deutlich zu lesen ist, dass die Weitergabe von Speisen und Getränke an Personen, die weder geimpft noch genesen sind, ausdrücklich nicht erlaubt sei.
Es ist ein bedrückendes Dokument aus der Corona-Zeit. Menschen wurden ausgeschlossen, durften nicht einmal Speisen und Getränke erhalten. Und die anderen Besucher nahmen an der Ausgrenzung teil. Natürlich finden sich viele ekelhafte Kommentare darunter. Ekelhaft deshalb, weil sie das Schild verteidigen und mit Schadenfreude darauf reagieren, dass Ungeimpfte ausgeschlossen wurden. Nun mag man denken, dass es ja nur Twitter sei. Das ist in der Sache korrekt. Doch auch bei einer Vielzahl von Verfassern dieser widerwärtigen Kommentare, die sich hinter anonymisierten Accounts verstecken, handelt es sich um Menschen. Und diese Menschen leben tatsächlich unter uns. Keine schöne Wahrheit. Nun repräsentiert Twitter gewiss nicht die gesamte Gesellschaft. Doch muss unbedingt die Frage gestellt werden, wie es überhaupt dazu kam, dass ein solches Schild aufgestellt wurde.
Wer?
Was war mit den Budenbesitzern? Übten sie Kritik? Wohl nicht. Denn sie waren froh, endlich wieder was zu verdienen. Aber reicht das als Begründung? Mal angenommen, alle Budenbesitzer hätten sich dieser Regelung nicht unterworfen. Dann hätten sie ihren Stand wohl nicht aufbauen dürfen. Klar. Und der Weihnachtsmarkt wäre ausgefallen.
Oder was wäre wohl passiert, wenn die Besucher auf Grund des Schildes kehrt gemacht hätten und somit ausgeblieben wären? Mit Verweis darauf, dass hier Menschen ausgeschlossen werden. Das hätte echte Solidarität bedeutet.
Hätten die verantwortlichen Politiker das riskiert? Vermutlich nicht. Bevor Weihnachtsmärkte erneut ausgefallen wären, hätte man bei den Vorgaben eingelenkt. Wie sehr sich ein wenig Protest lohnen kann, zeigt folgendes Beispiel.
Man hätte sich wehren können
Im Dezember 2021 ruderte die bayerische Regierung nach heftiger Kritik von Berufsverbänden zurück und erlaubte in Skigebieten 2G statt 2G plus. Das bedeutete, die Besucher mussten keinen zusätzlichen Test vorlegen.
Dieses Zurückrudern macht das unsinnige 2G keineswegs besser. Es zeigt aber deutlich, dass hier mit der Politik durchaus verhandelt werden konnte. Es standen wirtschaftliche Interessen und Druck durch die Verbände im Raum. Dies ließ den „Gesundheitsschutz“ dann doch zurücktreten. Wäre die Pandemie tatsächlich so schrecklich gewesen, dann hätte es keinen Raum für derartige Verhandlungen und Spielräume geben dürfen.
Doch warum ist Ausgrenzung so schlimm? Und weshalb können diejenigen, die es bisher nicht erfahren mussten, wenig mit diesem Leid anfangen? Oder wie lässt sich sonst so manch abscheuliches Verhalten auf Twitter erklären? Und weshalb hat sich bisher niemand aus der Führungsriege der Politik für diese Unmenschlichkeit entschuldigt?
Ausgrenzung zielt auf das Innerste
Fragen sie mal einen Mannschaftskapitän, wie sich der Ausschluss aus der Spielmannschaft anfühlt. Er wird es nicht beantworten können. Weil er es nicht kennt. Oder fragen Sie mal bei einem Klassentreffen den Schülersprecher. Den, der inmitten der Schüler stand und von diesen und den Lehrern beachtet und respektiert worden ist. Traurigerweise können sich manche Schüler an andere gar nicht mehr erinnern.
Was ist wohl das Schlimmste bei einem Streit unter Paaren? Wenn einer geht. Wenn derjenige, mit dem man sich gerade streitet, einfach aufsteht, den Rücken zudreht und davongeht. Hilflos und ohnmächtig bleibt der andere zurück. Er ist verdammt zu schweigen, denn er kann nichts mehr tun.
Und obwohl nun viele Leser zumindest innerlich nicken werden, so können es doch nur diejenigen verstehen, die in ihrem Leben diese Situationen schon selbst erlebt haben. Ausgrenzung ist kein Kavaliersdelikt. Sie ist natürlich nicht strafbar. Ausgrenzung ist aber zutiefst inhuman und absolut abschätzig. Und dieses Wissen scheint bei fast jedem vorhanden zu sein. Auch wenn man das Gefühl selbst nicht kennt, so wissen es die meisten, dass man dies nicht tut. Und doch ist es passiert. Dies macht die Aufarbeitung so schwierig. Es fehlte den meisten Besuchern des Weihnachtsmarktes an Größe, sich diese Unmenschlichkeit einzugestehen.
Wir können entscheiden, wie wir sein wollen
Also liebe Besucher, Trainer, Lehrer und ihr vielen anderen, die Ihr mitgemacht und zugesehen habt. Ihr habt dazu beigetragen, dass aus einem bloßen Schild Realität werden konnte. Und auch wenn es Euch nicht passt – es wurden Menschen ausgegrenzt, während Ihr getrunken und gegessen habt. Manchen mag das nun unangenehm und beschämend auffallen. Andere hingegen werden feststellen, dass sie solches Schild regelrecht gut hießen. Diese Lust an Ausgrenzung gab es schon vor der Pandemie. Einige Trainer, Chefs, Behördenleiter, Lehrer, Erzieher u. v. m. beweisen es täglich aufs Neue. Die Pandemie hat es sichtbar werden lassen. Dieses Bild ist der Beweis. Und nun sollten sich einige zutiefst schämen und ab sofort anders handeln. Denn zu jeder Zeit kann der Mensch für sich entscheiden, wie er sein möchte.
Dr. med. Friedrich Pürner, MPH
Facharzt für Öffentliches Gesundheitswesen, Epidemiologe