Tichys Einblick
„Kein Grund zur Entwarnung“

Mehr Auszubildende in der Pflege – aber immer noch viel zu wenige

Im letzten Jahr haben mehr junge Menschen eine Ausbildung in der Pflege angefangen – ein gutes Zeichen in Zeiten des „Pflegenotstands“. Der „Arbeitgeberverband Pflege“ gibt allerdings keine Entwarnung: Die Ampel muss handeln.

IMAGO / Ralph Lueger

Der Wind in der Pflege hat gedreht – so scheint es jedenfalls: Vor einigen Monaten war noch von einem „Pflegenotstand“, zu wenig Pflegern und von schlechten Bedingungen in Pflegeheimen sowie Krankenhäusern die Rede. Nun berichtet das Statistische Bundesamt: Im letzten Jahr haben 3 Prozent mehr eine Ausbildung zur „Pflegefachkraft“ angefangen als im Vorjahr. Und Thomas Greiner vom „Arbeitgeberverband Pflege“ sagt, „die Pflegeausbildung erfreut sich bei jungen Menschen großer Beliebtheit“.

Viele junge Menschen reize die „Job-Garantie“ in der Pflege, die „Top-Ausbildungsvergütungen“ und die „überdurchschnittlichen Gehälter“, meint Greiner. So „überdurchschnittlich“ sind die Gehälter in der Pflege allerdings nicht: Zwar verdienen Pfleger im Mittel rund 4.000 Euro brutto im Monat und somit mehr als Beschäftigte in anderen Ausbildungsberufen, wie Zahlen des Statistischen Bundesamtes zeigen. Aber sie verdienen deutlich weniger als Beschäftigte mit einem Bachelorabschluss: Die bekommen im Schnitt fast 800 Euro mehr für ihre Arbeit.

Trotzdem: Die Regierung – vor der Ampel – scheint neue Anreize für eine Ausbildung zum Pfleger geschaffen zu haben. Wer hätte das gedacht? Sie hat zum Beispiel die drei bis dahin getrennten Ausbildungen in den Berufen „Gesundheits- und Krankenpfleger“, „Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger“ sowie „Altenpfleger“ zu einer Ausbildung zusammengeführt. Damit hat die damalige Regierung insgesamt neun Jahre Ausbildung auf drei Jahre verkürzt. Diese Ausbildungsreform von 2020 ermöglicht es Pflegern, flexibler zwischen diesen Berufen zu wechseln.

Allerdings hat diese „Generalistikausbildung“ nicht nur Vorteile: Einige Pfleger, mit denen TE gesprochen hat, bemerken, dass die Auszubildenden somit zwar alle drei Pflegebereiche sehen – aber jeweils nur oberflächlich. Die herangehenden Pfleger können während der drei Jahre in keinem Bereich tiefgehend ausgebildet werden, weil das die kurze Zeit nicht hergebe. In der Tiefe lernen die herangehenden Pfleger ihren Beruf demnach erst nach der Ausbildung kennen, wenn sie sich zwischen Krankenhaus und Altenheim entschieden haben. Die meisten Pfleger würden jedoch von den Krankenhäusern abgefangen oder sogar abgeworben, kritisiert ein Altenpfleger gegenüber TE: In den Altenheimen kommen die Pfleger somit selten an. Somit ändere sich die Personalressource kaum, sie verschiebe sich nur. Aber vor allem in der Altenpflege braucht es mehr Personal: Denn immer mehr Menschen sind auf eine altersbedingte Pflege angewiesen.

Der „Pflegenotstand“ ist also noch lange nicht beendet, nur weil im letzten Jahr 1.800 mehr als im Jahr zuvor eine Ausbildung zum Pfleger begonnen haben. Das betont auch Greiner: „Die steigenden Ausbildungszahlen sind kein Grund zur Entwarnung.“ Denn noch immer sei Deutschland „meilenweit“ von den Ausbildungsrekorden von vor einigen Jahren entfernt: 2019 haben zum Beispiel mehr als 71.000 Personen eine Ausbildung in einem Pflegeberuf begonnen – fast ein Viertel mehr als letztes Jahr. Außerdem scheiden immer mehr Pfleger altersbedingt aus, während geburtenschwache Jahrgänge nachkommen. „Die bloße Steigerung der Ausbildungszahlen genügt nicht“, sagt Greiner.

Er fordert ein Handeln von der Ampel: Erstens soll sie die Träger der Sozialhilfe und Pflegekassen dazu bringen, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. Denn einige solcher Träger gefährden laut Greiner die „Pflegeinfrastruktur“, weil sie „kurzfristige Sparmaßnahmen“ ergreifen. Wie TE berichtete, setzen zum Beispiel einige private Träger von Altenheimen weniger Pfleger ein, damit sie weniger Personalkosten haben – und somit höhere Gewinne erzielen.

Zweitens müsse die Ampel die Pfleger und die Pflegeeinrichtungen von „bürokratischen Fesseln“ befreien, betont Greiner: So soll die Bundesregierung „innovative und vielfältige Wege zu einer guten und bezahlbaren Pflege für alle Pflegebedürftigen“ finden – auch mit weniger Personal. Das ganze „Klein-Klein“ verhindert eine gute Pflege, wie Greiner ausführt: Pflegebedürftige „möchten sich an ihrem Lebensabend sicher aufgehoben und wohl fühlen. Bürokratische Vorschriften, kleinteilige Dokumentationen und Detailprüfungen tragen hierzu nicht bei“, sagt er. In einem Altenheim in der Nähe von Hamburg, das TE besucht hat, bauen sich die Pfleger regelrecht „Qualitätsmanagement-Tage“ ein, um all den bürokratischen Regelungen gerecht werden zu können. Die Pfleger nennen diese Arbeitstage, die sie mit Stapeln von Formularen statt mit ihren Heimbewohnern verbringen, „Zetteltage“.

Greiner meint, dass Deutschland nie wieder so viel Pflegepersonal wie heute haben werde. Der Altenpfleger Frederik Doiel findet daher, dass Heimbetreiber und die Bundesregierung die Pfleger, die es gibt, „behüten muss wie eine kleine Blume“, wie er gegenüber TE sagte. Um die Pfleger zu halten und neue Pfleger zu mobilisieren, müssen sie wertgeschätzt werden: Dass Pfleger im Schnitt fast 800 Euro weniger verdienen als Geisteswissenschaftler und Altenpfleger durchschnittlich 150 Euro weniger verdienen als Krankenpfleger, erscheint wenig wertschätzend. Immerhin sorgen Altenpfleger dafür, dass sich Senioren an ihrem Lebensabend möglichst wohlfühlen und sich auf eine humane Weise aus ihrem Leben verabschieden können.

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