In diesen düsteren Zeiten gibt es auch gute Nachrichten. Bulgarien, das nicht zuletzt für seinen vorzüglichen Knoblauchschnaps bekannt ist, will der Eurozone beitreten, womit ein Wunschtraum von Herrn Juncker Erfüllung gehen wird. Gibt es einen stärkeren Beweis dafür wie attraktiv der so oft fälschlicherweise kritisierte Euro immer noch ist? Wohl kaum.
Ex oriente lux: Bulgarien und der Euro
Sicher, Bulgarien ist bitter arm, ärmer noch als Griechenland, allerdings ist das wirtschaftliche Wachstum erheblich und die Staatsverschuldung in der Tat gering. Freilich dürfte es auch eines der korruptesten Länder Europas sein (nach Transparency International sogar das korrupteste Land in der gesamten EU auch im Vergleich zu Italien und Griechenland), aber damit befindet es sich ja in guter Gesellschaft und gerade in diesen Fragen sollte man nicht kleinlich sein.
Korruption kann allerdings für Investitionen auch ein Hemmnis sein, denn Korruption und Rechtssicherheit schließen sich gegenseitig aus, aber mit Sicherheit wird Brüssel ein paar Verordnungen erlassen und damit dieses Problem beseitigen, das ist ja in Griechenland oder Süditalien auch in den letzten Jahren gelungen. Nachdenklich lässt einen freilich der Umstand werden, dass wirtschaftlich relativ starke Länder wie Dänemark und Schweden, aber auch das seit Jahren sehr erfolgreiche, wenn auch stark von Brüssel bezuschusste Polen (mit einem Pro-Kopf-Einkommen, das deutlich höher ist als das von Bulgarien) nicht im Traum daran denken, dem Euro in näherer Zukunft beizutreten. Aber wahrscheinlich liegt das nur an dem in diesen Ländern grassierenden Rechtspopulismus.
Das Programm der Groko: Schützenhilfe für Berlusconi und die italienische Rechte
Im übrigen wird ja jetzt Deutschland unter der Führung der allzeit wendigen Kanzlerin, die schon immer dazu bereit war, das genaue Gegenteil von dem zu tun, was sie gestern noch als höchstes politisches Prinzip verteidigt hatte, sein Bestes tun, um die wenigen noch verbleibenden Defizite des Euro zu beseitigen. In den Vereinbarungen zwischen SPD und CDU über eine zukünftige Koalition steht unter anderem eine Passage, in der die möglichen Koalitionäre sich dazu bekennen, die Kontrolle über den ESM auf das europäische Parlament und die Kommission zu übertragen.
Aus dem ESM soll ein parlamentarisch kontrollierter europäischer Währungsfonds werden, wie die FAZ meldet (Junckers Handschrift, von Werner Mussler, FAZ 13.01. 2018). Damit ginge das Vetorecht Deutschlands bei den Krediten des ESM ebenso verloren wie das Mitspracherecht des Bundestages bei der Vergabe der Kredite. Im Grunde genommen wäre damit der Weg frei für vollständig unbegrenzte und an keine Bedingungen mehr gebundene finanzielle Transfers, wie gerade die SPD sie ja auch im Prinzip für akzeptabel hält.
Man könnte damit einer zukünftigen italienischen Regierung, hinter der dann mutmaßlich der wieder auferstandene Berlusconi, aber auch die Nachfolger der italienischen Faschisten unter der jungen Giorgia Meloni stehen werden, zum Beispiel die Möglichkeit geben, die Rentenreformen von 2011, die damals unter dem Druck der Schuldenkrise vorgenommen wurden, zurückzunehmen, und genau das ist ja das Programm, mit dem die Rechtsallianz von Forza Italia, Lega und Fratelli d’Italia bei den bevorstehenden italienischen Wahlen antritt.
Ein solches Sozialprogramm zu unterstützen, wäre ja wirklich gute sozialdemokratische Politik, das muss man zugeben und ein wichtiges Zeichen europäischer Solidarität, das vielleicht selbst von Berlusconi anerkannt werden würde, auch wenn er sich ja schon mal sehr unfreundlich über den manchmal etwas hyperaktiven Herrn Schulz geäußert hat, eine Äußerung, die er angesichts der neuen deutschen Großzügigkeit aber vielleicht überdenken wird.
Denn Schulz, darin ein typischer lebenslustiger Rheinländer, beweist wirklich Großmut und Toleranz, dass er die damaligen Angriffe von Berlusconi nun als guter Europäer zu den Akten legt, und mutig den Italienern zur Seite springt. Er könnte das freilich nicht ohne eine Kanzlerin, deren Politik freilich mehr denn je durch Gleichgültigkeit gegenüber allen politischen Inhalten gekennzeichnet ist, solange sie nur Kanzlerin bleiben kann. Man kann angesichts dieser Entwicklung Herrn Lindner verstehen, dass er sich nicht auf ein Bündnis mit Angela Merkel einlassen wollte, obwohl das taktisch im Rückblick vielleicht ein Fehler war, weil es nach den nächsten Bundestagswahlen wohl nur noch Ruinen zu verwalten geben wird, und eine liberale Politik gar kein Fundament mehr haben wird. Das hätte die FDP in einer Jamaika-Koalition dann vielleicht doch verhindern können.
Man braucht Feinde, wenn man solidarisch sein will, oder „Gott strafe England“, der kleinste gemeinsame Nenner der EU
Indes, das großartige neue Zeitalter einer unbegrenzten europäischen Solidarität, das die SPD mit Hilfe des mental und intellektuell deutlich schwächeren Partners der neuen GroKo, der siechen CDU, nun ausruft, könnte kein Erfolg werden, wenn es nicht auch Feinde gäbe, gegen die man gemeinsam kämpfen kann. Nun sind Feindbilder natürlich an sich politisch sehr unkorrekt und könnten schnell als nationalistisch oder auch als rassistisch gelten. Aber da gibt es auch Ausnahmen, es gibt offenbar auch gute Feindbilder, und was die EU betrifft, so hat man diesen – legitimen – Feind rasch identifiziert, es ist das perfide Albion.
Dass ein Land wie England so einfach aus der EU austritt, wird nicht nur von Berufseuropäern wie dem famosen Juncker als tiefe Kränkung empfunden. Sicher, wie gut es den Briten außerhalb der EU ergehen wird, das ist so ganz klar nicht. Man darf aber nicht übersehen, dass eine vom Londoner Bürgermeister, Sadiq Khan, der nun wirklich ein überzeugter Remainer ist, vor kurzem in Auftrag gegebene Studie zu dem Ergebnis kam, dass selbst für den Fall eines harten Brexit die englische Wirtschaftsleistung 2030 nur etwa 3 % unter dem Niveau liegen würde, das sie ohne Brexit erreichen könnte (sky news 11. Januar 2018). Das ist nicht ideal, zumal auch etliche Arbeitsplätze verloren gingen, aber auch kein absolutes Katastrophenszenarium.
Nicht zu bezweifeln ist allerdings, dass England durch seinen Austritt Frankreich die Möglichkeit gegeben hat, die EU doch noch in jene französische Hegemonialsphäre zu verwandeln, zu der de Gaulle sie immer machen wollte. De Gaulle wusste, dass Deutschland nie ein wirkliches politisches Gegengewicht zu Frankreich sein wird, zu sehr ist es auf Grund seiner Lage im Herzen Europas, auf Grund seiner belastenden Vergangenheit als moralisch und politisch gescheiterte imperiale Macht, aber auch auf Grund seiner Wirtschaftsstruktur auf Partner in Europa angewiesen, deren „Freundschaft“ man sich dann schlimmstenfalls auch durch komplette Selbstverleugnung erkaufen muss.
Das war im englischen Fall nie so, aber diesen sehr unbequemen Gegenspieler ist Frankreich jetzt losgeworden und Macron, der sich offenbar wirklich als einen neuen de Gaulle sieht, kann jetzt die EU in seinem Sinne umbauen; die Unterstützung der von dem großen Europäer Martin Schulz gesteuerten neuen deutschen Regierung ist ihm sicher, allenfalls das Wiener Kanzleramt am Ballhausplatz mit seinen weitgespannten Netzwerken in Ostmitteleuropa und die Regierung in Den Haag könnten ihm noch Steine in den Weg legen, sonst ist der Weg frei.
Soweit es in Berlin in den nächsten Jahren überhaupt noch eine eigene Politik geben wird, die nicht direkt von Paris oder Brüssel konzipiert wird, fragt man sich freilich, ob es klug ist, den relativ harten Kurs, den Brüssel gegenüber London zur Zeit fährt, weiter mitzutragen. Es könnte die Zeit kommen, da Deutschland froh sein muss, in Europa überhaupt noch Partner zu haben, deren Vorstellung von politischer Freundschaft sich nicht stets mit der Forderung nach immer größeren Transferzahlungen verbindet.
Sicherlich, die unselige Neigung Großbritanniens, auch schon in der alten EU stets ein systematisches Rosinenpicken zu betreiben (alle Vorteile und möglichst viele Privilegien, aber möglichst wenige Verpflichtungen), war nicht immer hilfreich und in der akuten Phase der Eurokrise ließ sich die englische Presse – allen voran der konservative Daily Telegraph und der linke Guardian, aber dicht gefolgt von der Financial Times als Stimme der City – in ihrer Deutschlandfeindschaft vielleicht nur noch von der griechischen Presse überbieten. Während für viele Journalisten des Guardian Deutschland immer moralischer Paria bleiben wird, lasen sich die Artikel im Telegraph zeitweilig so, als seien sie alle im Herbst 1916 geschrieben worden, als es galt, die mörderischen „Huns“ und „Krauts“ aus Belgien hinauszuwerfen.
Diese Art von offen zelebrierter Abneigung gegen Deutschland hat sicherlich auch in Berlin im Kanzleramt ihre Spuren hinterlassen, auch wenn hinter manchen Spitzen nur die Interessen der Londoner Finanzindustrie standen, die ein elementares Interesse daran hatte und hat, dass Deutschland über Kredite oder Finanztransfers den Euro stabilisiert, weil sonst das Kartenhaus der eigenen Investitionen erneut wie 2008 zusammenbricht.
Dennoch könnte es für Deutschland, das in der EU respektive der Eurozone immer mehr zum politisch vollständig ohnmächtigen Zahlmeister werden wird, in Zukunft wichtiger denn je sein, auch außerhalb der EU über mögliche Partner zu verfügen, auch wenn es sich im englischen Fall zunächst um ein bloßes Zweckbündnis handeln mag. Aber eine Regierung, die auch mit Erdogans Türkei mittlerweile wieder gute Beziehungen aufzubauen sucht, sollte da nicht allzu kleinlich sein, zumal England für deutsche Exportgüter bislang einer der wichtigsten Märkte überhaupt ist, was sich nach einem harten Brexit wohl ändern würde.
Eine von Brüssel offenbar zur Zeit geplante Bestrafung Englands für seinen Ausritt ist jedenfalls kaum im deutschen Interesse, und je mehr es innerhalb der EU ausmanövriert wird, und das scheint unvermeidlich zu sein, desto weniger. Aber ob eine neue große Koalition diese Einsicht aufbringen wird, ist höchst zweifelhaft, zumal die Qualität des politischen Personals, das dieser Regierung zur Verfügung steht, einen kaum optimistisch stimmt. So bleibt also nur die Möglichkeit, sich auf Bulgarien als neues Euroland zu freuen, das immerhin dafür sorgen wird, dass wir die viel geschmähte Zuverlässigkeit und Effizienz des griechischen oder italienischen Beamtenapparates in Zukunft in einem ganz neuen Licht betrachten werden.
Historiker Ronald G. Asch lehrt an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.