Tichys Einblick
REPORTAGE


Wissen wir „genau, wer kommt“? Auf Spurensuche nach Faesers vermeintlichen Grenzkontrollen

Innenministerin Nancy Faeser behauptet, es gebe Kontrollen und wir wüssten „genau, wer kommt“. Eine Spurensuche an den Grenzen zeigt das Gegenteil: Es gibt keine Kontrollen. Der Vize-Vorsitzende der Bundespolizeigewerkschaft erklärt, wie die Innenministerin echte Grenzkontrollen schaffen könnte.

IMAGO / Pixsell

Frankfurt (Oder)/Słubice. Zwei Bundespolizisten stehen oben am Gleis und passen auf, dass kein Zivilist die Stufen nach oben läuft. Denn diese zwei Gleise dienen einzig den Flüchtlingen aus der Ukraine. Links fahren Züge von Polen nach Berlin ein, rechts fahren Züge von Frankfurt (Oder) nach Hannover ab. Über 30 Bundespolizisten sind hier im Einsatz, arbeiten in Tag- und Nachtschichten. Genau hier an der deutsch-polnischen Grenze reist derzeit die Mehrheit der Geflüchteten vor Putins Krieg in Deutschland ein.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) behauptet, dass die Bundespolizei an den Grenzen „sehr stark“ unterwegs sei, sich „alle Pässe“ anschaue, weshalb man „mitnichten von Kontrollverlusten“ sprechen könne. Ist das so? Eine Spurensuche soll helfen, diese Frage zu beantworten.

Am Bahnhof Frankfurt (Oder) fahren am Tag acht Züge nach Berlin und sechs Züge nach Hannover ab. Die Bundespolizisten nehmen ihre Arbeit hier sehr ernst, sie sind wachsam. Mit einer Stunde Verspätung fährt ein Zug aus Polen ein. Überall am Gleis stehen die Polizisten bereit. „Der Zug muss warten, bis wir alle Pässe kontrolliert haben“, sagt eine Polizistin. Der Zug hält. Die Tür geht auf, ein Mann will aussteigen. „Halt stopp, ihr Pass!“, ruft die Polizistin. Ein schneller Blick auf den Pass, weiter geht’s. Rein in den Zug, „Passkontrolle!“. Hier wird jeder Pass angeschaut.

Doch: Gleichzeitig wird auch jeder durchgewunken, der einen biometrischen Pass hat. Und diesen hat jeder, gleich ob er echt oder gefälscht ist. Auch ob jemand einen zweiten Pass eines Drittstaates besitzt, ist hier obsolet. Zwei Bundespolizisten geben zu, in dieser blitzartigen Passkontrolle sei es „sehr schwierig“, einen gefälschten Pass zu erkennen. Ich als Beobachterin würde sogar behaupten: Mit einem Sekundenblick eine Fälschung zu erkennen, ist nahezu unmöglich.

Es geht in den nächsten Wagon. Überwiegend sitzen hier ukrainische Frauen, Kinder und ältere Menschen. Die Kontrolle eines Wagons durch zwei Polizisten dauert gefühlt nur eine Minute. Insgesamt sind die Züge bis zu elf Wagons lang. Aber es wird in jeden Toilettenraum geschaut und rasch noch ein Blick in die Küche geworfen. Kein Quadratmeter wird ausgelassen. Und schon steigen die Polizisten wieder aus, schreiben auf einen Notizzettel die Passagieranzahl. Das war’s.

Und dennoch: Das Gefühl bleibt, dass dies keine echte „Kontrolle“ ist. Das Rote Kreuz braucht fürs Getränkeverteilen länger als die Polizei für ihre „Grenzkontrolle“.

Ich bleibe skeptisch, versuche, mich an weitere Bundespolizisten zu wenden. „Grenzkontrollen und generell Kontrollen zu schaffen, ist eine Illusion“, sagt schließlich einer der Polizisten. „Wer illegal einreisen will, tut es auch. Diese Menschen brauchen nur ein Prozent ihrer Verbrecher einzuschleusen, um hier große kriminelle Strukturen aufzubauen“, dies sei das Gefährliche. Nur die offiziellen Grenzübergänge seien „sicher“.

Was ich mich beim Gang durch die Flüchtlingszüge frage: Wenn es an Drehkreuzen wie Frankfurt (Oder) solche „Kontrollen“ gibt sowie wachsame Bundespolizisten, die nach illegalen Einreisenden Ausschau halten, wieso konnte man dann in den letzten Wochen am Berliner Hauptbahnhof verdächtige Personen beobachten, die keine Flüchtlinge sein könnten? Nancy Faesers „Grenzkontrollen“ sind offensichtlich keine effektiven Kontrollen, um mutmaßlich illegal Einreisende herauszufiltern.

Hinzu kommt: Laut den Bundespolizisten gibt es diese strikten Kontrollen erst seit zwei Wochen. Der Krieg brach bereits am 24. Februar aus. Dass die erste Woche des Fluchtstromes größtenteils unter das Radar fiel, ist also sehr wahrscheinlich. Grundsätzlich existieren an der Grenze Frankfurt (Oder) „immer nur stichpunktartige Kontrollen“, so ein Polizist. Letztendlich werden nur Pässe angesehen, aber nicht Identitäten kontrolliert. Fingerabdrücke werden nicht überprüft. Weder an der Grenze noch am Hauptbahnhof Berlin wird registriert. Ob vereinzelt Islamisten und Terroristen zu uns kommen, wovor der Thüringer Verfassungsschutz warnt, wissen wir also nicht.

Des Weiteren finden an anderen Grenzübergängen keine Grenzkontrollen statt. Denn es existieren in Deutschland keine flächendeckenden Kontrollmöglichkeiten. 
Mehrere Personen berichten verwundert, dass an einigen wesentlichen Grenzübergängen keine Bundespolizisten kontrollieren, beispielsweise an der Brücke „Lusatian Neisse“ oder auch am Übergang von der polnischen Stadt Rzepin über die „Grenzbrücke Oder“ nach Güldendorf. An der Stadtbrücke von Frankfurt (Oder) nach Słubice, wo stichpunktartig kontrolliert wird, steht nur ein Polizeiwagen. Eine Kontrolle konnte ich nicht beobachten. Nur einen Polizisten, der sich sonnte. Die Polizisten im Wagen starrten auf ihr Handy. Sie bemerkten mich zuerst nicht einmal, als ich vor ihrem Wagen stand, um sie zu fragen. Ebenso finden stichpunktartige Kontrollen auf den Autobahnen, etwa an der Ausfahrt Frankfurt (Oder) statt.

Wenn man Bundespolizisten vorsichtig fragt, ob ihnen Personen aufgefallen seien, welche die Notsituation ausnutzen, machen sie sofort dicht, verweisen schnell auf die Pressestelle. Gibt es also ein Protokoll? Ein Polizist bejaht dann doch, sie hätten in den letzen Wochen bereits Personen vereinzelt aus Zügen geholt, die keine Einreiseberechtigung hatten. „Darunter waren Personen aus Georgien, Afrika und Afghanistan.“ Dies wird wohl der Grund dafür sein, dass am Hauptbahnhof Berlin weniger Menschen aus dieser Personengruppen ankommen. Besonders in der ersten Woche stiegen viele Männer aus Afrika aus, aber auch aus Tschetschenien – das habe nun abgenommen.

Immer wieder behaupteten diese Männer, sie seien Studenten. Alle studieren angeblich dasselbe: Medizin. Überprüfen ließ mich das kaum einer. Russisch sprach ebenso nahezu keiner. Am auffälligsten waren aus den Zügen ausgestiegene Tschetschenen, die gut gebaut waren, oftmals längere Bärte trugen und auffallend gute Laune hatten und laut lachten. Keinem Kriegsflüchtling ist zum Lachen zumute. Und wieso mussten diese Männer nicht im Land bleiben um zu verteidigen oder zu kämpfen?

Der Verdacht: Diese Männer wurden von Putin geschickt. Bereits seit 2002 werden tschetschenische Agenten von der russischen Regierung in Europa eingeschleust, die sich als Flüchtlinge ausgeben. Deren Ziel sei es, für Chaos und Destabilisierung zu sorgen. Diese Tschetschenen sind in der Regel zugleich Islamisten. Könnte das Putins neue Kriegsführung sein? Ich spreche einen Bundespolizisten an der Grenze darauf an – „ja, davon haben wir schon gehört. Der Hauptbahnhof Berlin hat uns hingewiesen, dass wir auf Tschetschenen achten sollen“.

Wo war Frau Feasers Kontrolle, als diese Tschetschenen mit mutmaßlich gefälschten Pässen eingereist sind? Sie sind nun in Deutschland. Wer sie sind, wo sie sind, und was sie vorhaben, bleibt unbekannt. Wenn die Bundespolizei, die dem Bundesinnenministerium unterstellt ist, darüber Kenntnis hat, dann hat Nancy Faeser diese Informationen ebenfalls vorliegen. Ist das also Faesers „Kontrolle“? Sind das die Personen, von denen Faeser „genau“ weiß, dass sie kommen?

Am Bahnhof Frankfurt (Oder) treffe ich auf einen Mann pakistanischer Herkunft. Er hätte Medizin in Kiew studiert, behauptet auch er. Sein Englisch ist schlecht. Russisch kann er nicht. Die FFP2-Maske trägt er um 180 Grad falsch herum. Ob er den Krieg mit Bomben miterlebt hätte, frage ich. „Nein, aber meine Freunde, sie haben mir Videos geschickt“, behauptet er emotionslos. Zeigen kann er mir die Videos nicht. Wie er nach Frankfurt (Oder) kam, weiß nur er selbst. Er geht zu einem Gleis, an dem keine Bundespolizisten stehen, und nimmt einen Zug in die andere Richtung.

An dem Gleis, an dem die Züge nach Hannover fahren, steht eine junge Mutter mit ihrem Kind auf dem Arm. Die Ukrainerin kommt aus Kiew und ist erleichtert hier zu sein, weg vom Krieg, mit ihrer Familie in Sicherheit. „Ich hoffe, Ihr könnt irgendwann wieder zurück in Eure Heimat“, sage ich im Gespräch. Schnell füllen sich ihre Augen mit Tränen. Es ist dieser Verlust der Heimat, den man in den Zügen voller Flüchtlinge spürt, in denen man Kinder mit ihren Müttern sitzen sieht, die ihre vertraute Umgebung verlassen mussten und nicht wissen, ob und wann sie zurückkehren können.

Zurück in Deutschland bleiben viele Fragen offen – diese voran: Inwiefern sind Faesers Kontrollen echte Grenzkontrollen?
 Mithilfe der Bundespolizeigewerkschaft (DPolG) versuche ich, diese zu beantworten. Sind kurze Passkontrollen an wenigen Grenzübergängen wirklich echte Grenzkontrollen? Der stellvertretende DPolG-Bundesvorsitzende, Manuel Ostermann, meint: „Erst wenn die Grenze notifiziert ist, dann haben wir echte Grenzkontrollen. Doch für diesen echten Grenzschutz müsste erst die vorhandene Rechtsgrundlage anwendbar gemacht werden. Binnengrenzen müssen zu EU-Außengrenzen werden.“

Ostermann erklärt, wann wir wirklich „genau wissen“ können, wer kommt: Dafür bräuchte es eine Notifizierung der Grenze. Vor Ort brauche es eine Registrierung durch die Bundespolizei und das BAMF, also das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge. Man müsse „stationäre Grenzkontrollen einführen mit einem Registrierungssystem“. Das hätte den Vorteil, dass man ganz genau wisse, welche Personen kommen, und die Erreichbarkeit der Personen könnte so gewährleisten werden. Es ginge keinesfalls darum, Menschen von der Grenze abzuweisen. „Wir wollen das Recht der Freizügigkeit nicht in Frage stellen.“ Im Gegenteil, es ginge auch um wichtige Vorteile für Flüchtlinge, meint Ostermann, „durch echte Grenzkontrollen wissen wir mit welchen Transportunternehmen Geflüchtete ins Land gebracht werden, so können wir besser Schleuserkriminalität und Zwangsprostitution verhindern“.

Bei echten Grenzkontrollen geht es also nicht nur um sichere Grenzen, sondern auch um Schutz für die Geflüchteten. „Wir wollen Grenzkontrollen, um humanitäre Hilfe zu gewährleisten“, macht der stellvertretende Bundesvorsitzende deutlich. Wenn Nancy Faeser also keine echten Grenzkontrollen einführt, ist dies ein Nachteil für die Kriegsflüchtlinge. Und nicht nur für die Geflüchteten, sondern auch für die – von der bisherigen Politik überforderten – Kommunen. So betont Ostermann: „Durch echte Grenzkontrollen kann verhindert werden, dass die Kommunen in Selbstverwaltung untergehen.“ Es sei alles andere als zielführend, Personen einreisen zu lassen, „irgendwo in Kommunen abzugeben, ohne zu wissen, wie viele und wer kommt“. Stattdessen wäre es für die Kommunen entlastend, die Registrierung sofort an der Grenze durchzuführen. Dann könnte „den Kommunen organisiert Bescheid gegeben werden, wie viele Personen kommen“. Und vor der Verteilung wären die Geflüchteten schon überprüft, dokumentiert und sogar auf Covid-19 getestet. „Es geht auch um Gesundheitsschutz.“

Aber für diesen echten Grenzschutz mit all seinen Vorteilen für Deutschlands innere Sicherheit und für die bei uns schutzsuchenden Flüchtlinge müsse die tatsächlich schon vorhandene Rechtsgrundlage auch genutzt werden können – das ist bislang nicht möglich, wodurch die Polizisten nicht tätig werden können. Es bräuchte erst die sogenannte Notifizierung, bei welcher „der Status der Binnengrenze zu einer Außengrenze“ werde. Erst dann hätten die „Kollegen und Kolleginnen vollumfängliche Rechtsbefugnisse, um vernünftige und zielgerichtete Grenzkontrollen durchführen zu können“. „Die Bundesregierung müsste über die Europäische Union die Grenze notifizieren. Dann kann die Binnengrenze den Status einer Außengrenze bekommen“.

Der stellvertretende Bundesvorsitzende Ostermann appelliert: „Für echte Grenzkontrollen braucht die Bundesinnenministerin bloß die Notifizierung bei der Europäischen Kommission anzuzeigen.“

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