Tichys Einblick
Black Lives Matter

Auf der fieberhaften Suche nach Nachteilen

Laut einer Studie haben in den USA schwarze Kinder nach einer Operation ein höheres Sterberisiko als weiße. Rassismusbewegte sehen in diesen Ergebnissen sofort eine strukturelle Benachteiligung Farbiger. Doch wieder einmal werden hier Statistiken für ideologische Kämpfe missbraucht.

Black Lives Matter. Aber scheinbar nicht im Operationssaal? Die Tageszeitung „USA Today“ schlägt jedenfalls Alarm. Das Risiko für schwarze Kinder, nach einer Operation zu sterben, sei dreieinhalbmal so hoch wie das für weiße Kinder. Das belege eine neue Studie. Auch das Nachrichtenportal „Zeit Online“ griff die Meldung auf und betonte zunächst die große Stichprobe, auf der die Analyse beruhe: 172.549 Kinder, die in den Jahren 2012 bis 2017 in 186 Krankenhäusern operiert wurden. Bei so vielen Daten ist die Evidenz der Ergebnisse kaum zu leugnen, sollte wohl insinuiert werden.

Zu den Fakten: Verstorben innerhalb von 30 Tagen nach dem operativen Eingriff waren 23 weiße Kinder und 13 schwarze. Dies entspricht ganzen 0,02 Prozent beziehungsweise 0,07 Prozent – ein dreieinhalbmal so hoher Anteil. Nun könnte man meinen, dass wieder einmal lediglich Journalisten krampfhaft versuchen, aus einer sehr kleinen Zahl eine sehr große Schlagzeile zu konstruieren. Doch sind es nicht womöglich bereits die Autoren der Studie, die – durchaus passend zum Zeitgeist – dem Leser ihrer Publikation strukturellen Rassismus als mögliche Erklärung nahelegen?

Bisher habe man, so schreiben sie in einem Infokasten auf der Titelseite ihrer Publikation, zu wissen geglaubt, dass Rassenunterschiede bei postoperativen Ergebnissen zwischen weißen und afroamerikanischen Patienten hauptsächlich einer größeren (präoperativen) Komorbiditätsbelastung Letzterer zuzuschreiben seien. Mit anderen Worten: Schwarze Patienten sind im Mittel kränker, wenn sie operiert werden, und haben deshalb schlechtere Überlebenschancen. Selbst unter scheinbar gesunden Kindern habe man nun aber einen großen Unterschied in der Sterblichkeit gefunden, weshalb man doch darüber nachdenken solle, ob diese Variation zwischen verschiedenen Rassen nicht andere Ursachen haben könne.

Der Funke zündet bereits. Ein Editorial im medizinischen Fachjournal „Pediatrics“, das die Studie publiziert hat, spricht von einem beunruhigenden Problem und fordert Ärzte wie Krankenhäuser dazu auf, sich mit ihrer Voreingenommenheit auseinanderzusetzen. Viel fehlt nicht mehr, damit das Urteil gesprochen werden kann.

Wirklich? Ein Blick in die Tiefen der Studie bringt Klarheit. Zunächst zeigt der Studienplan, dass lediglich Kinder, die sonst gesund erschienen beziehungsweise nur leichte Allgemeinerkrankungen aufwiesen, in die Auswertung der Daten eingingen. Außerdem wurde in der Analyse berücksichtigt, wie alt die Kinder waren, welches Geschlecht sie hatten, wann sie operiert wurden und ob es sich um komplexe Eingriffe handelte. Letzteres wurde gemessen anhand der Dringlichkeit, anhand der Dauer und anhand eines standardisierten Wertes der Arbeitsleistung der Beteiligten – weil ein hoch bezahlter Spezialist eben vornehmlich in schweren Fällen herangezogen wird.

Viel spannender ist jedoch, was alles nicht berücksichtigt wurde. Zum einen fällt auf, dass die Autoren der Studie recht grobe Kategorien gebildet haben, um den Effekt der potenziell verzerrenden Faktoren zu ermitteln. Die Operationsdauer wird beispielsweise nur dahingehend unterschieden, ob sie kürzer oder länger als 250 Minuten war. Beim Alter wurde nach Neugeborenen, Kleinkindern bis zum Alter von zwölf Monaten und älteren Kindern getrennt – also Zweijährige mit 17-Jährigen in einen Topf geworfen. Mögliche Wechselwirkungen, etwa zwischen der Komplexität des Eingriffs und dem Alter des Kindes, wurden nicht analysiert.

Die größte Überraschung folgt aber noch. Denn die Autoren erklären, dass die afroamerikanischen und die weißen Kinder insgesamt hinsichtlich Alters- und Geschlechtsverteilung und Begleiterkrankungen vergleichbar gewesen seien. Ebenso wenig hätten sich bedeutsame Unterschiede in der Risikobewertung der durchgeführten Eingriffe gezeigt. Nun mag man darüber streiten, ob es von Bedeutung ist, dass 31,8 Prozent der weißen Kinder vor der Operation insgesamt gesund, also selbst ohne leichte Allgemeinerkrankungen waren, aber nur 26,5 Prozent der schwarzen. Aber wenn man aus der Differenz von 0,02 zu 0,07 Prozent eine Geschichte strickt, dürfte man den signifikanten Unterschied von fast fünf Prozentpunkten nicht unter den Tisch fallen lassen.

Gleiches gilt praktisch durchgehend für die Komorbiditäten. Schwarze Kinder litten unter anderem etwas häufiger an Herzproblemen, an Krankheiten des Verdauungssystems, an Epilepsie und an chronischen Lungenerkrankungen. Weiße Kinder waren häufiger von einer vorangegangenen Sepsis oder bösartigen Tumoren betroffen. Absolut gesehen sind die Differenzen nicht groß, sie lagen meist im Bereich von weniger als einem Prozentpunkt. Das bedeutet aber relativ, dass Herzprobleme bei schwarzen Kindern um fast 20 Prozent wahrscheinlicher waren, Lungenprobleme sogar um 90 Prozent. Alle Unterschiede waren statistisch signifikant.

Genau daran kranken derartig große Studien. Einerseits lassen sich seltene Ereignisse nur finden, wenn die Fallzahlen groß genug sind. Andererseits werden damit praktisch irrelevante Unterschiede statistisch signifikant. Solange die Ergebnisse gleichwohl mit der nötigen kritischen Distanz interpretiert werden, ist daran nichts zu verurteilen.

An dieser kritischen Distanz mangelt es im vorliegenden Fall jedoch. Einerseits werden kleine Abweichungen in den Ausgangsbedingungen (den Komorbiditäten) herunterge- spielt. Um den Faktor zehn kleinere Abweichungen im Ergebnis (der Sterblichkeit) werden hingegen aufgebauscht. Unterschiede in der Qualität der Krankenhäuser wurden den Autoren zufolge nicht berücksichtigt, weil sie nicht im Fokus der Studie standen. Auch der sozioökonomische Status der Patienten oder die Umgebung, in der sie sich nach dem Eingriff erholen konnten, fehlen in der Analyse.

Was heißt das also? Nichts Genaues weiß man nicht und kann es auch nicht wissen, weil die Daten sehr limitiert sind. Nicht einmal die Namen der behandelnden Krankenhäuser sind bekannt. Dass dann struktureller Rassismus als Erklärung herhalten muss, sagt mehr über Vorurteile aus als über Fakten. Vielleicht sind es Forscher und Journalisten, die sich mit ihrer Voreingenommenheit auseinandersetzen sollten.

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