Josef Švejk – die weniger bibelfesten unter den Christen mögen es mir verzeihen – und Jesus Christus, haben manche Eigenschaft gemeinsam, andersgesagt: sie weisen manche inhaltliche Verbindung auf, und zwar mehr als nur das, was dem gebildeten Leser zuerst auffällt, nämlich dass der eine so heißt wie der Vater des anderen.
Eine jener Verbindungen – und für diese hat weder der eine noch der andere eine Schuld – besteht darin, dass wenn Politiker sich auf die jeweiligen Bücher berufen, es fragwürdig erscheint, ob diese diese wirklich selbst gelesen haben. Wenn sie es doch gelesen haben, also den Klappentext und die ersten Seiten, wie Politiker eben so lesen, dann zweifelt man, ob sie es (oder irgendwas anderes) verstanden haben. (1952 etwa zitierte ein Abgeordneter der »Deutschen Partei« den Schwejk als schlechtes Beispiel für Soldatentum, siehe bundestag.de, S. 8202 – der Tscheche in mir nickt stolz, es mahnt und warnt ja sogar in Deutschland der deutsche deutschlandfunk.de, 28.7.2014: »In jedem Tschechen steckt ein kleiner Schwejk«!)
Eine andere ähnliche Eigenschaft dieser beiden großen Figuren der Weltgeschichte, also dem gottlosen Josef (Gott kauft keine Hunde, was also will der hundeverkaufende Schwejk mit ihm?) und Josefs Adoptiv-Sohn, eine weitere Eigenschaft teilen sie, nämlich dass beide an die Autoritäten verraten wurden, woraufhin man sie gefangen nahm und befragte. (Der eine wurde von einem Herrn Iskariot, und kam daraufhin ans Kreuz, der andere von einem Herrn Bretschneider, worauf er auf die Polizeiwache und dann an die Front kam, obwohl er es zwar nicht mit dem Kreuz, dafür aber mit dem Rheumatismus hatte.)
Wie Jesus von Judas verraten wurde, das wird sich der kirchengehende Teil der Christenheit in wenigen Monaten ins Gedächtnis rufen, zu Ostern nämlich, wenn Jesus stirbt, aufersteht, und Faust spazieren geht. (Und zwei Wochen danach werde ich wieder ein Jahr älter, oh weh! Umso langsamer unsere Knochen werden, um so schneller eilt die Zeit, das ist die eigentliche Relativitätstheorie.) – Wie Schwejk verraten wurde, das aber erfahren wir gleich zu Beginn des Romans:
»Also sie ham uns den Ferdinand erschlagen«, so eine deutsche Übersetzung des Buchanfangs, und es ist eine Kneipenszene. Nach einigen wenigen Erklärungen des Autors zur Szene, fragt Schwejk zurück: »Was für einen Ferdinand, Frau Müller?«, und: »Ich kenn zwei Ferdinande. Einen, der is Diener beim Drogisten Pruscha und hat dort mal aus Versehn eine Flasche mit irgendeiner Haartinktur ausgetrunken, und dann kenn ich noch den Ferdinand Kokoschka, der was den Hundedreck sammelt. Um beide is kein Schad.«
Die Rede ist vom Erzherzog Franz Ferdinand. Wir wissen, dass dann der Erste Weltkrieg begann. In der Kneipe weiß man es noch nicht. Man redet und man sagt seine Meinung. Seine Meinung zu sagen, das kann zu so mancher Zeit ein Fehler sein. Dank des Bieres und anderer die Hemmungen hemmender Getränke sagt man bisweilen auch Politisches. Beim Schwejk sitzt dann immerzu ein Herr Bretschneider da, und der überwacht, ob man etwas sagt, was man als »Hochverrat« deuten könnte (heute würde man es wohl nennen: etwas »Rechtes«). Schließlich sagt auch Schwejk etwas, das er nicht hätte sagen sollen; er schließt seine Ausführungen mit »Es wird Krieg geben, mehr sag ich euch nicht«, woraufhin Bretschneider ihn wegen Verdacht auf Hochverrat zur Polizeistation mitnimmt, zusammen mit dem Wirt, der geäußert hatte, die Fliegen hätten auf den Kaiser geschissen, wie der gutgelaunte Denunziant Bretschneider lachend erklärt – gemeint war natürlich das gerahmte Portrait, nicht der Kaiser selbst, doch was kümmert die Denunzianten das eigentlich Gemeinte? – Nun, zumindest Schwejk hält seine Prioritäten in guter Ordnung, als er noch vom Wirt erbittet: »Ich hab fünf Biere und ein Kipfel mit einem Würstl. Jetzt geben Sie mir noch einen Sliwowitz und dann muss ich schon gehn, weil ich verhaftet bin.«
Um es höflich zu sagen
Nicht nur die alten weisen Männer unter uns erinnern sich an gewisse Vorgänge innerhalb der CDU rund um Spenden, Ehrenworte und schwarze Koffer.
Dieser Tage jährt sich zum zwanzigsten Mail die Spendenkoffer-G’schichte eines gewissen Herrn Wolfgang Schäuble, genauer: der Tag, als er es zugab. – »”Schäuble war Mittäter”«, titelte damals der Spiegel (spiegel.de, 11.1.2000), in den Zeichen für die Maßeinheit Zoll, welche wohl für Anführungsstriche stehen sollen, also für ein Zitat. Ohne Anführungsstriche oder Zollzeichen schrieb man dagegen, gleich danach: »Es wird eng für Schäuble.« – Man müsste, eben diesen Herren paraphrasierend, auch sagen: Eine anständige Politiker-Kaste würde so einen in der politischen Versenkungen verschwinden lassen, ihm vielleicht einen Job in der Wirtschaft nahelegen. Diese Politiker-Kaste machte Schäuble erst zum Innenminister (Stichwort »Stasi 2.0«, siehe Wikipedia) und dann schließlich zum Parlamentspräsidenten ohne besondere Sympathien für die Opposition, um es höflich zu sagen (siehe spiegel.de, 16.5.2019, faz.net, 20.04.2019 und viele andere).
Das Geld, das Herr Schäuble im Koffer annahm, beschädigte den Glauben der Bürger an die Demokratie. Später, als Innenminister Schäuble via Online-Durchsuchung in die Privatsphäre der Bürger eingreifen wollte, wurde der Staat gefühlt vom Beschützer zum Gegner der Bürger – es hatte seinen Grund, dass »Stasi 2.0« zum Schlagwort wurde, mit Schäubles Portrait als Anti-Ikone.
Zum zwanzigsten Jahrestag seiner Koffer-G’schichten-Einräumung (die eigentliche Geschichte war ja 1994 passiert, soweit man weiß), und der Präsident des Hohen Hauses im besten aller möglichen Deutschlande hat sich etwas feines zur Feier ausgedacht (wer Sarkasmus zu hören meint, hier oder anderswo, der darf sich über sein feines Gehör freuen). Wir lesen: »Schäuble fordert Klarnamenpflicht im Netz« (handelsblatt.com, 12.1.2020).
Die »Regeln und Werte der analogen Welt« sollten »auch in der digitalen Welt« gelten. Entweder er versteht selbst nicht, was er da sagt – das wäre schlimm genug – oder er versteht es, und das erschiene mir fast noch schlimmer.
»Das Ökosystem Internet«
Forderungen nach Klarnamenzwang erhalten durchaus gewisse mindestens ideelle Rückendeckung (auch schon vor Schäubles Vorstoß), etwa von den Axel-Springer-Autoren Miriam Hollstein (vergleiche @HollsteinM, 13.1.2020), Alan Posener (welt.de, 9.1.2020: »Wir sind nicht Burka, also weg mit den Internet-Pseudonymen!«) oder, Herrn P. zustimmend, Heike Vowinkel (@HVowinkel, 10.1.2020).
Deutschland wäre nicht die erste Regierung, welche Klarnamen bei der Anmeldung an Internet-Diensten erzwingt. – Vor einigen Jahren lasen wir etwas Ähnliches über China:
China möchte so gegen Beschimpfungen und die Verbreitung von Falschinformationen und Propaganda vorgehen, die in den meisten Fällen von Fake-Accounts ausgehen. Jeder Nutzer im Internet müsse eindeutig indentifizierbar [sic] sein, sodass “das Ökosystem Internet nicht durch Fake Accounts verschmutzt wird, sowie den Interessen der Massen geschadet wird und sozialistische Werte massiv verletzt werden”. (gulli.com, 5.2.2015, archiviert)
Es ist erschreckend, wie wenig am Zitierten ausgetauscht werden müsste, damit es wie die Aussage eines heutigen Politikers oder Journalisten mit »Haltung« durchginge. (Weitere Berichte: netzpolitik.org, 6.2.2015; spiegel.de, 28.8.2017)
Kann man die deutschen Forderungen mit der neuen Praxis in China vergleichen? Nicht ganz. Chinesischen Nutzern ist es auch weiterhin freigestellt, sich zwar mit echten Daten anzumelden, dann aber unter Pseudonym zu posten. Einige der Forderungen aus Deutschland dagegen, also von jenen, die eine »Haltung« haben, wo bei anderen Gewissen und das demokratische Herz schlagen, scheinen über China hinaus zu gehen, so dass jeder auch mit Klarnamen auftreten müssen soll.
Chinesische, wenig demokratische Ideen, in Deutschland neu aufgewärmt. »Alles geht hier wie am Schnürl«, wie Schwejk sagen würde.
Es hat gute Gründe, warum es in Demokratien keine Klarnamenpflicht gibt. Das Supreme Court der USA etwa entschied, dass das Recht auf Anonymität ein »Schutz gegen die Tyrannei der Mehrheit« sei (siehe law.cornell.edu).
Eine Pflicht zu Klarnamen würde alle Randgruppen zum Verstummen bringen, deren Existenz, deren Wohlbefinden oder sogar Leben gefährdet wären, wenn sie unter Klarnamen auftreten würden. Ein schwuler Jugendlicher in einer sehr konservativen Familie, könnte nicht mehr online nach Rat suchen. Individuen, die in archaisch religiösen Familien aufwachsen, wo die Religion zu verlassen einem Todesurteil gleichkommen kann, würden nicht einmal mehr online Gesprächspartner finden, ihre Zweifel zu bereden.
Schon heute kann es in Deutschland zur wirtschaftlichen und sozialen Vernichtung führen, Zweifel am Handeln der Regierung und der vom Staatsfunk verkündeten Lehre zu äußern. Klarnamenpflicht würde manche Kritik an Globalisten, Staatsfunk und NGOs zum Verstummen bringen. (Nicht dass einer noch denkt, das sei das eigentliche Ziel – ein »Pfui!« solchen Vermutungen!)
Es gibt zu denken, so oder so
Immer wieder taucht als Argument auf, in der virtuellen Welt müssten dieselben Regeln gelten wie in der echten. Doch, der Vergleich und die Forderungen sind schräg. Oft wird der Vergleich etwa mit der Kneipe herangezogen – nehmen wir ihn ernst.
Die Kneipe, die Schäuble und anderen Klarnamenpflicht-Fans vorzuschweben scheint, ist eine, wo jeder der anwesenden ein Namensschild trägt, und wo alles Gesprochene aufgezeichnet wird, so dass es noch Jahre später zugeordnet werden kann. Roboter scannen ununterbrochen die Audio-Mitschnitte aller Kneipen der Republik. Wenn irgendwo morgens um 2:30 Uhr etwas gesagt wird, was gegen die Regeln politischer Korrektheit geht, kann es passieren, dass im Stil von »Minority Report« schwer bewaffnete Kräfte die Kneipe umzingeln und den Bürger mit der falschen Meinung verhaften. Auch Jahre im Nachhinein könnte festgestellt werden, was ein Bürger gesagt hat, und ob das, was er damals sagte, und sei es betrunken und im Scherz, so ausgelegt werden kann, dass es gegen neue Regeln verstößt.
Klarnamenpflicht würde zur Einschüchterung all derer führen, die eine andere Meinung haben, als jene, welche Politik, NGOs und Staatsfunk aktuell vorgeben. Zu einem jener fragwürdigen »Aktionstage gegen Hatespeech« verkündete der deutsche Peinlichminister, das »entschlossene Vorgehen der Ermittlungsbehörden sollte jedem zu denken geben, bevor er bei Facebook in die Tasten haut« (siehe »Ironie 2018: Maas-Ministerium warnt vor Verfolgung kritischer Meinung in der Türkei«). Ja, es gibt uns zu denken, so oder so.
„Es is viel«, möchten wir mit Schwejk sagen, und »allzu viel is ungesund.“
Besinnungslose Papageien
Der Autor des Braven Soldaten Schwejk, Jaroslav Hašek, starb 1923 im Alter von nur 39 Jahren, gezeichnet von Tuberkulose und Alkohol, doch was für ein Leben hatte er zuvor geführt! Soldat war er gewesen. Seine Arbeitsstelle in einer Zeitung hatte er verloren, nachdem er von frei erfundenen Tieren geschrieben hatte, etwa bis zur Besinnungslosigkeit trinkenden Papageien, oder einem neu entdeckten Urzeitfloh, zu dessen Details ihn große Wissenschaftler aus der weiten Welt anschrieben. Wie sein Held Schwejk verkaufte er Straßenköter mit gefälschten Papieren als reinrassige Zuchthunde. Und er gründete berühmterweise die »Partei für gemäßigten Fortschritt in den Schranken der Gesetze« (siehe Wikipedia), die jeden Radikalismus ablehnte, Fortschritt nur langsam und allmählich anstrebte, und außerdem die Wiedereinführung der Sklaverei forderte.
Die Geschichte des braven Soldaten Schwejk beginnt damit, dass man in einer Kneipe sitzt und der Denunziant Bretschneider die Leute verhaften lässt, wenn ihre Zunge einen Schlag zu locker sitzt. Hašek ist tot, aber Bretschneiders treffen wir heute viele, auch und gerade in diesem Internet. (An dieser Stelle ein »Sorry« an alle unbescholtenen Leute, die tatsächlich Bretschneider heißen.) Der letzte Absatz der letzten Szene des unvollendeten Werkes endet mit einer Ansprache des Leutnants Dub, welcher (ins Deutsche übersetzt) sagt: »Mit dem Bezirksgouverneur haben wir immer gesagt: Patriotismus, Pflichterfüllung, Selbstüberwindung, das sind die richtigen Waffen im Krieg! Ich erinnere mich besonders daran, da unsere Truppen in absehbarer Zeit die Grenze überqueren werden…«
Ähnliche Trottel, wie jene, die damals Schwejk zusetzten, würden heute von »Haltung« sprechen, vom »Kampf gegen Rechts« und »Zivilcourage«, und sie würden wieder dasselbe meinen: Hirn aus, Gehorsam an, mehr Macht den Mächtigen.
Es gilt heute, sich nicht aufzuregen, und vorsichtig zu sein, selbst im Nebensatz. Mancher Bretschneider wartet heute darauf, dich fertigmachen zu lassen. – »Die Zeitungen lügen. Wozu soll ich mich aufregen?«, so sagt einer im Schwejk-Roman, als er im Restaurant von einem Denunzianten provoziert wird, und wenig später wird auch er verhaftet. Seid vorsichtig, auch bei eurer Kritik an den Redaktionen, wenn sie den Mächtigen ihr »Hurra!« und ihr »Weiter so!« zubrüllen. (Nebenbei: Habe ich heute schon mein »Der Staatsfunk muss weg!« wiederholt? Nun denn, hiermit sei’s nachgeholt.)
»Ja, mit uns allen steht’s sehr schlecht«, sagt Schwejk, und wenn es auch heute wahr wäre, so wäre es doch kein Grund, die gute Laune zu verlieren!
In jedem Tschechen, so heißt es, steckt ein kleiner Schwejk. Ich weiß, dass auch in manchem Deutschen ein Schwejk steckt! – Doch, leider, leider steckt auch in zu vielen Deutschen ein Bretschneider (also der aus dem Roman), der in Kneipen lungern möchte, der »Haltung beweisen«, und »ein Zeichen setzen« will, und der davon träumt, Bürger ins Gefängnis zu werfen, wenn ihnen ausrutschen sollte, dass die Fliegen auf den Kaiser geschissen haben.
Passt auf euch auf. Hütet euch vor den Denunzianten, die online wie offline herumlungern. Und wenn sie euch doch drankriegen, die Block- und Blogwarte, die Pisser und Petzer, und wenn dann kein Bitten und Betteln mehr hilft – auch dieser Tage kennen die Untertanen und Denunzianten wenig Gnade – dann könnt ihr es noch immer mit Schwejks Entschuldigung versuchen: »Ich bin ein amtlich anerkannter Idiot.«
Dieser Beitrag erschien zuerst auf dushanwegner.com
Dushan Wegner (geb. 1974 in Tschechien, Mag. Philosophie 2008 in Köln) pendelt als Publizist zwischen Berlin, Bayern und den Kanaren. In seinem Buch „Relevante Strukturen“ erklärt Wegner, wie er ethische Vorhersagen trifft und warum Glück immer Ordnung braucht.