Tichys Einblick
Mordversuch an Salman Rushdie:

„Man kann den Terrorismus nur besiegen, indem man sich entscheidet, keine Angst zu haben“

Der Schriftsteller Salman Rushdie liegt nach einem Messerattentat in einer Klinik. Was ihn auszeichnet, ist die geglückte Verbindung von schriftstellerischem Können und Eintreten für die Werte der Aufklärung, die von Identitätspolitikern inzwischen als solche der alten „weißen Männer“ geschmäht werden.

IMAGO / Olaf Malzahn

Chautauqua im Nordwesten von New York ist ein beschaulicher Ort. Im Hauptgebäude der Chautauqua Institution begann am 12. August um 10.45 Uhr eine Veranstaltung, in der die Bedeutung der Schaffung von Schutzräumen für bedrohte Schriftsteller thematisiert werden sollte. Der Gründer einer Stiftung, die verfolgten Schriftstellern Asyl bot, Henry Reese, wollte nach dessen Vortrag mit Salman Rushdie über den Schutz der Autoren als Schutz der Freiheit der Kunst und des Denkens reden. Doch dazu kam es nicht mehr. Kaum hatte Salman Rushdie mit seiner Rede begonnen, da stürmte ein junger Mann auf die Bühne und stach voller Wut auf Rushdie ein. Auch Henry Reese wurde verletzt. Nach Schilderungen von Augenzeugen versuchten Besucher der Veranstaltung, den Angreifer von Salman Rushdie zu trennen, bevor dann die Polizisten eingriffen und dem Täter Handschellen anlegten. Der Schriftsteller wurde schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht.

Im US-Bundesstaat New York
Anschlag auf Salman Rushdie auf offener Bühne
Rushdie hatte schon länger auf Polizeischutz verzichtet, weil er ihn für nicht mehr nötig hielt. So waren wohl auch nur drei Polizisten im Saal. Chautauqua selbst, aber auch die Sommerakademie gelten als sicherer Ort, sodass der Angriff alle im Saal überraschte, die Besucher der Veranstaltung, die drei Polizisten. Die Fatwa, die der Ayatollah Khomenei einst erließ, durch die Salman Rushdie zum Tode verurteilt und jeder Muslim aufgefordert wurde, den Schriftsteller zu ermorden, ist nicht außer Kraft, sondern gilt noch. Doch sie nahm Rushdie in den letzten Jahre immer weniger ernst. Die Lage schien sich beruhigt zu haben.

Die gute Nachricht ist, dass Salman Rushdie vom Beatmungsgerät genommen werden konnte, die schlechte Nachricht lautet, dass der 75-Jährige ein Auge verlieren könnte und die Nervenstränge in seinem Arm und die Leber betroffen seien.

Die New York Times zitierte eine Zeugin: „Es gab nur einen Angreifer“. Und weiter: „Er war schwarz gekleidet. Er hatte ein loses schwarzes Kleidungsstück an. Er rannte blitzschnell auf ihn zu.“ Offenbar hatte der 24-jährige Hadi Mattar, der auf unschuldig plädiert, das Attentat geplant. Unter falschem Namen war er zumindest schon Tage vor der Veranstaltung angereist.

Deutsche Medien betonen, dass Angaben, wonach der Täter in den sozialen Medien Sympathien für die Iranische Revolutionsgarde ausgedrückt haben soll, nicht offiziell bestätigt werden. Allerdings werden sie auch nicht dementiert, zudem berichten amerikanische und britische Medien darüber. Laut Washington Post verwies bei der Anhörung vor Gericht Staatsanwalt Schmidt auf die Fatwa als mögliches Motiv, um gegen eine Kaution zu argumentieren: „Selbst wenn dieses Gericht eine Kaution in Höhe von einer Million Dollar festsetzen sollte, laufen wir Gefahr, dass die Kaution erfüllt werden kann.“ „Seine Ressourcen“, so argumentierte Schmidt, „sind mir egal. Wir sehen, dass die gestern durchgeführte Agenda von größeren Gruppen und Organisationen weit über die Zuständigkeitsgrenzen des Landkreises Chautauqua hinaus vertreten und verfolgt wird.“

Hadi Mattar, der in den Vereinigten Staaten geboren wurde, stammt aus Fairview, New Jersey. Seine Eltern wanderten aus Yaroun im Südlibanon in die USA ein. Flaggen der radikal islamischen Hisbollah, die der Iran unterstützt, sind laut Washington Post, „zusammen mit Porträts des Anführers Hassan Nasrallah, des weiteren von Khamenei, Khomeini und des getöteten iranischen Generals Qassem Soleimani“ im ganzen Dorf zu sehen. Weiter berichtet die Washington Post, dass Journalisten, die „Yaroun am Samstag besuchten“, aufgefordert worden seien, „das Land zu verlassen. Hisbollah-Sprecher antworteten nicht auf Anfragen nach Kommentaren.“

Nach Rushdie-Attentat
Öffentliche islamistische Morddrohung gegen Autorin JK Rowling
Am 11. April trug sich Mattar in den State of Fitness Boxing Club ein, um dort zu trainieren. Rosaria Calabrese, die Managerin des Klubs, sagte, dass Mattar an ca. 27 Gruppensitzungen für Anfänger, die ihre Fitness zu verbessern strebten, teilnahm, bevor er kürzlich in einer E-Mail seine Mitgliedschaft kündigte, weil „er für eine Weile nicht zurückkommen würde“. Desmond Boyle, der Besitzer des Klubs, beschrieb Mattar als höflich und ruhig, aber als jemanden, der immer „enorm traurig“ wirkt. Den Versuch, ihn willkommen zu heißen und einzubeziehen, habe er stets abgewehrt. „Er hatte dieses Aussehen jedes Mal, wenn er hereinkam. Es sah aus, als wäre es der schlimmste Tag seines Lebens.“

Was Salman Rushdie auszeichnet, ist die geglückte Verbindung von schriftstellerischem Können und Eintreten für die Werte der Aufklärung, die von Identitätspolitikern inzwischen als Werte der alten „weißen Männer“ geschmäht und verteufelt werden. Nicht zuletzt hat Salman Rushdie mit seinem Leben und Denken und Standhalten den Beweis dafür erbracht, dass die Werte der Aufklärung: Gleichberechtigung, Gerechtigkeit, Toleranz und vor allem Freiheit im umfassenden Sinne als Freiheit des Denkens und Meinens, als Freiheit des Menschen, formuliert in den Rechten der Bürger einer demokratisch verfassten res publica, universell sind, dass sie eben nicht an die Ethnie, an das Alter, das Geschlecht, von dem biologisch nur zwei existieren, und erst recht nicht an die Sexualität gebunden sind oder durch diese Kategorien gewichtet werden dürfen.

Oft hat man nur das eine, einen mutigen Menschen, aber schlechten Schriftsteller, oder einen sehr guten Schriftsteller, aber einen höflich formuliert sehr zurückhaltenden Menschen. Die Bücher des ersteren hatte Lichtenberg einmal als „Arschwische mit Mottos“ tituliert. Das ist bei Salman Rushdie ganz anders, seine Romane erweitern mit hoher Virtuosität die erzählerischen Möglichkeiten des Romans – und erfüllen damit die Voraussetzung von Kunst, denn alle Kunst ist Erweiterung –, während er als Bürger für die Freiheit des Individuums und für die Toleranz, in einem universellen Sinne für die Autorschaft des Menschen kämpft.

Mit den „Mitternachtskindern“, für die er 1981 den renommierten Booker Prize erhielt, wurde Salman Rushdie sehr bekannt. „Die satanischen Verse“, 1988 erschienen, veränderten sein Leben, erschütterten seine Existenz und begründeten sie gleichsam neu. Ironischerweise erfuhr der Schriftsteller ausgerechnet am Valentinstag, den 14. Februar 1989, von einer Reporterin der BBC, dass der iranische Repressionsführer Ayatollah Khomeini ihn in einer Fatwa faktisch zum Tode verurteilt hatte und jeder Muslim aufgerufen war, ihn zu ermorden, weil sein Roman sich gegen den Islam, den Koran und den Propheten richten würde. Von da an lebte Rushdie unter Lebensgefahr und unter Polizeibewachung.

Wir Ostdeutschen waren in dieser Zeit gerade dabei, ein Regime zu stürzen, das uns verbot, das zu sagen und zu schreiben, was wir wollten, Kritik am Staat und seinen Funktionären zu äußern, das zwar nicht mehr zum Tode verurteilte, aber jede Kritik verfolgte unter dem Stichwort der Verächtlichmachung, der Delegitimierung des Staates. Umso weniger konnten wir fassen, wie hasenfüßig, wie opportunistisch man sich in der alten Bundesrepublik gegenüber dem Iran und Khomeini verhielt. Der Verlag Kiepenheuer und Witsch, der die Rechte an Rushdies „Satanischen Versen“ erworben hatte, verzichtete auf die Publikation und knickte so vor Khomeini ein. Veröffentlicht konnte der Roman in Deutschland nur werden, weil sich eine Gruppe von fast 100 Verlagen zusammenfand, die den Roman in einer GmbH, die sie gründeten und »Artikel 19« (nach einem Abschnitt der UN-Menschenrechts-Charta) nannten, gemeinsam herausbrachten.

Fairerweise muss man sagen, dass die Publikation des Romans in der Tat nicht ungefährlich war, genügend gewaltbereite Muslime lebten damals schon in Westeuropa, und auch in Deutschland. Es sei nur daran erinnert, dass am 2. März der Iran wegen des Romans seine diplomatischen Beziehungen zu Großbritannien abbrach, die er erst am 28. September wieder aufnahm. Auf Übersetzer des Romans wurden Attentate verübt. So wurde der italienische Übersetzer Ettore Capriolo am 3. Juli 1991 in seiner Mailänder Wohnung überfallen und es wurde auf ihn eingestochen, am 11. Juli wurde der japanische Übersetzer Hitoshi Igarashi in der Universität erstochen. Auf den norwegischen Verleger wurde geschossen und William Nygaard dadurch schwer verletzt.

Kommentar
Die Gefahr „islamisch motivierter Antisemitismus“ endlich beim Namen nennen
Der Terror ging vom Iran aus, von der Fatwa, die bis heute gilt und die der Iran nicht widerrufen will, von dem Iran, dem der Westen faktisch durch das sogenannte Atomabkommen zumindest keine Steine beim Bau der Atombombe in den Weg legte, der Iran, dem Steinmeier ein Glückwunschtelegramm schickt und in dem sich Claudia Roth überzüchtig mit Kopftuch bekleidet aufhielt. Auch wenn sie das Attentat vom Freitag auf Salman Rushdie mit starken Worten verurteilt, stellt sich die Frage, auf welche Glaubwürdigkeit Roth Anspruch erheben darf, wenn sie antisemitische Darstellungen auf der Documenta erst verdrängt und herunterspielt, bevor sie sich nur auf den massiven öffentlichen Druck hin empört zeigt, wie sie sich eben jetzt empört zeigt, dieselbe Claudia Roth, die einem Antrag gegen den BDS im Bundestag die Zustimmung verweigert.

Auch die Innenministerin kommentierte den Anschlag mit nicht minder starken Worten, die noch vor kurzem sowohl islamistischen, als auch linksextremistischen Terror in ihrem Kampf gegen Rechts zu übersehen oder zu verharmlosen trachtete; die alles unternimmt, um die unkontrollierte Einreise zu erhöhen, Einbürgerungen zu beschleunigen auch von Menschen aus dem islamischen Raum, ohne dass hierbei Sicherheitserwägungen auch nur die allergeringste Rolle spielen.

Messerangriffe, Gruppenvergewaltigungen und Terroranschläge, Manifestationen muslimischen Antisemitismus prägen immer stärker Deutschlands öffentlichen Raum. In München griffen am 11. August zwanzig Jugendliche die Polizei an, weil sie einen mordverdächtigen Jugendlichen befreien wollten. Auch in Deutschland müssen Kritiker des Islams von der Polizei, von Personenschützern bewacht werden, während diejenigen, die muslimischen Kritikern des Islams die Legitimität absprechen, sogar noch Antidiskriminierungsbeauftragte werden.

Was Integration beutetet, was Aufklärung und Freiheit, das kann man in Salman Rushdies Autobiographie „Joseph Anton“ nachlesen, der auktorial in der dritten Person erzählt wird, als wäre Rushdie selbst die Figur eines seiner Romane. In diesem Werk schildert Salman Rushdie mit einer Liebe zur Wahrheit, zur Freiheit und mit einem Humor, der verhindert, dass aus der Geschichte über Verfolgung und Mut eine Leidensgeschichte wird, seine Ankunft in Großbritannien, seine Integration, wie er zum Schriftsteller, schließlich zum vom Mord bedrohten Autor wird, wie sein neues Leben unter Polizeischutz verläuft. Der Roman, der aktueller denn je ist, endet mit der Feier, die Rushdies Personenschützer für ihn gaben, als man glaubte, dass man den Schutz einstellen kann.

Die Personenschützer Bob und Nick standen auf. „Es war ein Privileg, Joe – Verzeihung, Salman“, sagte Bob und streckte seine Hand aus. „Gut gemacht, Kumpel“, sagte Nick. „Er schüttelte ihnen die Hände, dann drehten sie sich um und gingen. Das war’s. Über dreizehn Jahre, nachdem die Polizei in sein Leben getreten war, machten sie auf dem Absatz kehrt und verschwanden daraus … Er stand im Eingang des Halcyon Hotel und sah den davonfahrenden Jaguaren der Polizei nach. Dann fiel ihm ein, dass er zum Immobilienmakler nach Westbourne Grove musste, um den Mietvertrag für die Colville Mews zu unterzeichnen und sich das Haus noch einmal anzusehen. ‚Na schön‘, dachte er, ‚auf geht’s‘. Er trat aus dem Halcyon Hotel auf die Holland Park Avenue hinaus und hob den Arm, um ein Taxi heranzuwinken.“

Vor zehn Jahren sagte der Schriftsteller Salman Rushdie, als die Autobiographie erschien, dass der Terrorismus eine Kunst der Angst sei und man ihn nur dadurch besiegen kann, indem man sich entschließt, keine Angst zu haben.


 

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