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Armin Wolf: Fakenews über Silvester in Köln

Über die Silvester-Übergriffe 2015/16 existieren viele Falschbehauptungen. Jetzt fügte der ORF-Moderator eine neue hinzu.

imago images / Horst Galuschka

In Österreich gehört der ORF-Moderator Armin Wolf zu den bekanntesten TV-Gesichtern – und mittlerweile dürften auch in Deutschland einige etwas mit dem Namen anfangen können. Wolf lieferte sich in der Vergangenheit immer wieder Auseinandersetzungen mit FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache und dessen Generalsekretär Harald Vilimsky – beziehungsweise umgekehrt.

Wolf hatte vor Kurzem in seiner Sendung den FPÖ-General auf einen Flyer angesprochen, der im Sommer 2018 vom steirischen Ring Freiheitlicher Jugend (RFJ), der Jugendorganisation der FPÖ, verteilt wurde. Weil die Zeichnung unter dem Titel „Tradition schlägt Migration“ – sie zeigt ein junges Trachten-Paar, umringt von finster karikierten Gestalten, die Migranten darstellen sollen – Wolf offenbar nicht ausreichend skandalträchtig schien, blendete er an der Studiowand außerdem eine Karikatur der NS-Zeitung „Stürmer“ ein. Worauf Vilimsky noch in der Sendung drohte, das werde „nicht ohne Folgen bleiben“.

Etliche deutsche Qualitätsmedienvertreter stellten sich hinter Wolf und suggerierten, dessen Rauswurf aus dem ORF drohe tatsächlich (was selbst Wolf nicht so sieht). Und was übrigens unter öffentlich-rechtlichen Verhältnissen in Deutschland sowieso undenkbar wäre. Anders als die meisten deutschen Medien sah etwa die Neue Zürcher Zeitung den Wolf-Auftritt eher kritisch.

So weit, so plural.

Die „Welt“ führte nach dem Eklat ein Interview mit Wolf. Und darin fügte er den mittlerweile zahlreichen Falschbehauptungen zu den Silvester-Übergriffen in Köln 2015/16 eine neue hinzu. Auf die Frage, ob Medien damals in ihrer Berichterstattung (beziehungsweise mit ihren Nichtberichten) möglicherweise etwas falsch gemacht hatten, antwortete Wolf:

„Ich kann bei der Berichterstattung zu den Vorfällen in Köln kein Versagen der nationalen Medien erkennen. Köln war ein Versagen der dortigen Lokalmedien, die offenbar tagelang nicht mitbekommen haben, was mitten in ihrer Stadt los war.“

Wolfs Behauptung ist frei erfunden. Nachweislich verhielt es sich genau andersherum. Als einziges der etablierten Medien berichtete die lokale Zeitung, der „Kölner Stadtanzeiger“, schon am 1. Januar 2016 ab 13:21 Uhr online von den Angriffen in der Nacht unter der Überschrift: „Sexuelle Belästigung in der Silvesternacht Frauen im Kölner Hauptbahnhof massiv bedrängt“.

Am 2. Januar folgte ein ausführlicherer Bericht in der gedruckten Ausgabe mit detaillierteren Berichten. Der „Kölner Stadtanzeiger“ informierte – nur eben allein. Die Tatsache ist deshalb wichtig, weil sie die spätere Behauptung von ARD, ZDF und anderen Medien widerlegt, für eine schnelle Berichterstattung über die Ereignisse hätte es am 2. und 3. Januar noch zu wenige Informationen gegeben.

Die überregionalen Medien begannen erst ab 3. Januar mit ihrer Berichterstattung über die Massenübergriffe mit etwa 1.000 einzelnen Straftaten. In die ZDF-heute-Nachrichten schaffte das Ereignis, über das zu diesem Zeitpunkt sogar schon außerhalb Deutschlands gesendet wurde, erst am 6. Januar. Die Verantwortlichen redeten sich zunächst damit heraus, es hätten noch immer nicht „genügend Informationen“ vorgelegen, und man habe erst „ergänzende Interviews“ einholen wollen. Für diese Fehlleistung geriet der Sender unter erheblichen Druck; Vize-Chefredakteur Elmar Theveßen musste sich öffentlich entschuldigen:

“Die Nachrichtenlage war klar genug. Es war ein Versäumnis, dass die 19-Uhr-heute-Sendung die Vorfälle nicht wenigstens gemeldet hat. Die heute-Redaktion entschied sich jedoch, den geplanten Beitrag auf den heutigen Tag des Krisentreffens zu verschieben, um Zeit für ergänzende Interviews zu gewinnen. Dies war jedoch eine klare Fehleinschätzung.”

Dass Armin Wolf auch mehr als drei Jahre später von dieser Chronologie überhaupt nichts mitbekommen haben sollte, ist schwer vorstellbar. Aber falls es so war: dann ergibt sich erst recht die Frage, warum er meint, sich trotzdem dazu äußern zu müssen. Und alternative Fakten auftischt.

Das deutsche Medien-Trauerspiel der öffentlich-rechtlichen Auseinandersetzung mit den Massenbelästigungen der Kölner Silvesternacht erschöpfte sich nicht in der tagelangen redaktionellen Überlegung, ob eine Berichterstattung überhaupt sein muss. Am 7. Januar 2016 trat die #Aufschrei-Aktivistin Anne Wizorek vor die Kameras des ZDF und verkündete im Morgenmagazin, man müsse doch sehen, dass es jedes Jahr eine „Dunkelziffer von 200 Vergewaltigungen“ auf dem Münchner Oktoberfest gebe. Abends im heute-journal durfte sie noch einmal, anmoderiert von Claus Kleber, behaupten, dass es eine „rassistische Zuschreibung“ sei, über die Herkunft der Täter von Köln zu reden. Ihre Zahl von den 200 jährlichen Vergewaltigungen auf dem Oktoberfest war frei erfunden.

Das ZDF hatte also nicht nur versucht, die Berichterstattung über Köln zu unterdrücken, sondern dann auch, sie mit einer Falschbehauptung umzuinterpretieren. Möglicherweise haftete Wolf die Erinnerung an diese Blamage seiner deutschen öffentlich-rechtlichen Kollegen doch noch im Unterbewusstsein, als er seinerseits eine faktenwidrige Umdeutung vornahm – und dabei gerade das lokale Medium schlechtredete, das professionell gearbeitet hatte.

Die Seltsamkeiten des Armin Wolf erschöpfen sich damit noch nicht. Die „Welt“ fragt ihn in dem gleichen Interview:

„Abgesehen von der Kölner Silvesternacht. Haben Medien in Deutschland und Österreich im Zuge der Flüchtlingskrise, vor allem in den ersten Monaten, einseitig informiert?“

Worauf der ORF-Mann antwortet:

„Ich glaube, sie haben die damaligen Positionen der etablierten politischen Akteure ziemlich korrekt wiedergeben. Tatsächlich haben ja bis auf die AfD und die FPÖ alle Parteien zu Beginn eine großzügige Asylpolitik verfolgt. Das ist im Herbst 2015 und endgültig mit Köln gekippt.“

Tatsächlich – gerade mit der Öffnung der Grenze im September 2015 für alle Asylantragssteller und dem Aussetzen des Dublin-Abkommens soll die vorher großzügige Asylpolitik „gekippt“ sein?

Interessant ist auch, was Wolf offenbar als Hauptaufgabe von Medien sieht: Die „Positionen der etablierten politischen Akteure“ korrekt wiederzugeben.

In einer Untersuchung für die Otto-Brenner-Stiftung über die „Medien in der Flüchtlingskrise“ hatte der Medienwissenschaftler und frühere Spiegel-Redakteur Michael Haller gerade diese Orientierung der Medien an Sprechregelungen von Regierung und Parteien als zentrales Problem seziert.

Der ORF-Stiftungsratsvorsitzende Norbert Stegner – ein FPÖ-Mann – hatte Wolf empfohlen, eine „Auszeit“ zu nehmen, um über sein Berufsverständnis nachzudenken.

Die Auszeit muss nicht sein. Aber vielleicht sollte sich Armin Wolf bei Gelegenheit einer Archivrecherche widmen.


Der Beitrag von Alexander Wendt ist zuerst bei PUBLICO erschienen.

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