Weihnachten ist der Waldbauernbub: Eine Familie, die sich zurückzieht und in unwirklichen Umständen auf eine bessere Zeit hofft. Dank des Zusammenseins die eigentlich schlechte Zeit aber genießt und feiert. Wobei die Familie nicht andere ausschließt. Fremde, die mit einem feiern oder sinnieren wollen, sind herzlich willkommen. Nicht umsonst ist die Krippe ein wichtiges Symbol für Weihnachten, an der sich vom Hirten über den Zimmermann bis zum Gelehrten alle treffen und ein Kind ehren. Das Zeichen schlechthin für die Hoffnung aufs Weiterleben.
Über die Frage, was ein Weihnachtsfilm ist, wurde oft gestritten. Ist etwa „Stirb langsam“ ein Weihnachtsfilm, weil er am Heiligabend spielt? Nun: Die Privatsender haben einen Weihnachtsfilm daraus gemacht, indem sie den Actionfilm, in dem Bruce Willis den großartigen Alan Rickman jagt, immer wieder zum Fest gezeigt haben. Der Sturz von Hans Gruber aus dem 30. Stock ist für manche ein solch emblematischer Moment am Heiligabend wie für andere das Glöckchen zur Bescherung.
Ist das blasphemisch? Nein. Denn Weihnachten ist ein Fest, das längst über seinen christlichen Ursprung hinaus gewachsen ist. Das etwa auf die Menschen im ostasiatischen Raum einen großen Reiz ausübt und auf das auch Konfessionslose nicht verzichten wollen. Es ist ein Fest der Erinnerung. Viele Menschen ordnen ihr Gedächtnis an den verschiedenen Weihnachtsabenden: 2017 war das letzte Mal, dass Oma mit uns gefeiert hat. 2010 war Finn Thorben zum ersten Mal dabei. Oder 2001 haben wir den Baum zum ersten Mal in unserem neuen Haus aufgestellt … Die Weihnachtsgans mag die Standard-Erinnerung an Weihnachten sein, für andere sind es aber Würstchen mit Kartoffelsalat. Warum soll dann nicht auch „Stirb langsam“ zum Fest gehören?
In diesem Jahr zeigen die Privaten nicht das Original von „Stirb langsam“, sondern nur Fortsetzungen. An Weihnachten versuchen die Menschen zwar wie der Waldbauernbub, die Zeit auszuschließen. Aber so ganz gelingt das nicht immer. Oma ist tot und feiert nicht mehr mit uns. Die Regierung greift ins Privatleben ein und deswegen darf Onkel Franz nicht zu uns stoßen. Oder Onkel Franz ist trotz des Verbots gekommen, der Nachbar denunziert und das Ordnungsamt bestraft uns. Frohe Weihnachten. Wir wünschen uns zum Heiligabend das Idyll, die „Stille Nacht, heilige Nacht“. Aber geschenkt bekommen wir das nicht.
Das Fernsehen kann die Realität schon gerade gar nicht ausschließen: „Stirb langsam“ ist mittlerweile so beliebt zum Fest, dass sich die verschiedenen Streamingdienste darum reißen. Deshalb bleiben dem linearen Fernsehen nur die Fortsetzungen. Omas altes Fernsehen kann seinen Niedergang nicht ausblenden, bloß weil Weihnachten ist. Gerade zum Fest offenbaren sich die diversen Krisen des Fernsehens. Etwa dass für die Gutverdiener und Pensionsberechtigten von ARD und ZDF das Programm längst nur noch eine lästige Nebensache ist.
Die Sender der ARD zeigen alleine an Heiligabend fünf Mal „Drei Haselnüsse für Aschenbrödel“. Zack, vier Stunden Programm gefüllt. Fünf Mal läuft auch Loriots Familie Hoppenstedt. Zack, weitere zwei Stunden, über die man sich keine Gedanken machen muss. Einfach wie jedes Jahr: Sissi, Pippi, Michel, Feuerzangenbowle, Lümmelfilme, Carmen Nebel und die per Staatsvertrag aufgezwungenen Gottesdienste. Zack, ist der Redakteur fertig und kann nach dienstlichen Massagestühlen im Internet suchen. Die Programmmacher von ARD und ZDF haben schon seit Jahren jede Liebe fürs Weihnachtsprogramm aufgegeben.Vor allem die Zweitklassigen um ihren Intendanten Norbert Himmler machen es sich leicht, öffnen den Schrank mit alten Serien und kübeln ihn ins Programm. Das gilt besonders für den Spartensender, der ironischerweise ZDF „Neo“ heißt.
Das werbefinanzierte Privatfernsehen zeigt zum Fest seine materielle Krise. Streamingdienste konkurrieren mit ihnen nicht nur um Zuschauer. Sie treiben auch die Preise für Filmrechte nach oben. Zudem ist Weihnachten selber für die Privaten eher undankbar. Die kundenorientierten Unternehmen machen ihre Geschäfte vor dem Fest. Deshalb buchen sie ihre Werbespots ebenfalls, bevor das Glöckchen zur Bescherung ruft.
So füllen denn viele Wiederholungen die besten Sendeplätze: „Kevin – Allein zu Haus“ (1990), „Pretty Woman“ (1990), „Der Name der Rose“ (1986) oder „Die Glücksritter“ (1983). Wie „Banana Joe“ (1982) zu Weihnachten passt, müsste Kabel eins erklären. Bud Spencer prügelt sich im tropischen Südamerika mit der Verwaltung. Buchstäblich. Entweder will Kabel eins hier einen neuen Kult à la „Stirb langsam“ schaffen – oder doch nur zwei Stunden Sendezeit füllen. Irgendwie. Möglichst billig.
Es gibt aber noch Sender, die in Weihnachten Liebe investieren. ServusTV gehört dazu. Die Österreicher führen mit Konzerten und Dokumentationen zur Bescherung hin. Im Abendprogramm geben sie sich an Heiligabend traditionell Mühe, graben Filme mit unerwartetem Weihnachts-Touch aus, wie vor zwei Jahren „Die fabelhaften Baker Boys“. In diesem Jahr zeigt ServusTV eine fiktive Biografie der Sängerin Edith Piaf – ihre Erfolge im, aber auch ihr Leiden mit dem Chanson.
Ab 22.50 Uhr am Heiligabend zeigt ServusTV dann einen der ungekrönten Königsfilme des Weihnachtsgenres: „Wir sind keine Engel“ (1955): Humphrey Bogart, Aldo Ray und Peter Ustinow fliehen zum Fest aus dem Gefängnis auf Französisch-Guyana. Sie wollen eine Krämer-Familie ausrauben, entdecken aber, welch gute Menschen die sind, kümmern sich um ihre Probleme und retten ihnen das Fest und ihre Existenz. Ihre Giftschlange „Adolf“ greift an den entscheidenen Stellen ebenfalls ins Geschehen ein.
Verbrecher, Mord und eine zweifelhafte Moral. Trotz alledem ist „Wir sind keine Engel“ zusammen mit „Ist das Leben nicht schön“ (3Sat, erster Feiertag) zu einem der Weihnachts-Klassiker geworden. Wobei: nicht trotzdem. Sondern deswegen. Mit den Hirten stehen nicht zufällig Menschen an der Krippe, die im Jahre Null zum unteren Teil der gesellschaftlichen Hierarchie gehörten. Jesus‘ Persönlichkeit macht es aus, dass er Ausgestoßene aufgenommen hat: Zöllner, Dirnen und sogar Verbrecher.
Zu den zentralen Ideen Weihnachtens gehört nicht, gut zu sein. Sondern gut werden zu wollen. An ein besseres Leben zu glauben. „Wir sind keine Engel“ gehört zu den Klassikern des Festes, weil sich eine Familie in schweren Zeiten zurückzieht. Aber auch, weil sie sich dazu Fremde einlädt. Wie der Waldbauernbub. Und weil selbst Schwerverbrecher im Angesicht dieser Liebe geläutert werden. Dass dann eine Giftschlange namens Adolf ab und an eingreifen muss, ist der Dramaturgie geschuldet. Ganz lassen sich die Nöte der Realität an Weihnachten nie ausschließen.