„Die menschengemachte Klimakatastrophe für harmloser als den Holocaust zu halten, ist allerdings Klimakatastrophenverharmlosung. Es ist nur noch nicht passiert.“ Diesen Satz schrieb die führende Letzte-Generation-Aktivistin und Direktkandidatin der Linkspartei, Sonja Manderbach, in einer internen Chatgruppe der Organisation.
Manderbach schrieb das als Stellungnahme zur Frage des Umgangs der Gruppe mit dem Extinction-Rebellion-Gründer Roger Hallam, der nicht nur als Vordenker der Klimabewegung, sondern als heimlicher Vater der Letzten Generation gilt. Und der in einem Zeit-Interview so offen den Holocaust relativierte, dass sich ein Großteil auch der radikalen Klimabewegung mittlerweile von ihm distanziert hat.
Außer die Letzte Generation.
An dieser Frage spaltet sich die Gruppe jetzt: Das sogenannte „Kernteam“ (dreiköpfiges Führungsteam der LG) hält aufgrund persönlicher Verstrickungen trotz allem die Hand über Roger Hallam. Nachdem das Magazin Apollo News am Mittwoch die eingangs genannte holocaustrelativierende Äußerung aus der Letzten Generation selbst öffentlich machte, eskaliert in der Gruppe der Streit.
In einem internen Krisengespräch mit mehreren Teilnehmern im Nachgang zu dieser Veröffentlichung attackieren zahlreiche Mitglieder, die immer wieder auf eine Distanzierung von Hallam drängten, die eigene Führung heftig. Sie werfen der Führung vor, Hallam nur zu decken, weil sie selbst antisemitisch wäre.
Apollo News liegt ein Mitschnitt des internen Gesprächs vor, der als Zusammenschnitt anonymisiert veröffentlicht wurde:
Im Call kündigt ein Fünftel der Beteiligten – 4 von 20 Teilnehmern – konkret an, aus der Gruppe austreten zu wollen, wenn sich die Führungsriege nicht distanziere und das Thema Antisemitismus nicht bereinigt werden würde. Das scheint ein sehr realistisches Stimmungsbild zu sein – zahlreiche Mitglieder warnen vor einer Austrittswelle. Eine Teilnehmerin prophezeit sogar den Austritt eines halben Landesverbands. Viele der Mitglieder sind sehr aktiv und im inneren Kreis der Bewegung.
„Revolutionsgefährdend“
Einzelne Teilnehmer des Krisengesprächs weisen zusätzlich darauf hin, dass es noch weitere antisemitische Äußerungen gäbe, die bisher noch nicht öffentlich gemacht worden seien. Dem „Kernteam“ wird vorgeworfen, sich deshalb nicht vom Holocaustrelativierer Hallam zu distanzieren, weil es selbst antisemitisch sei.
Die harsche Kritik am „Kernteam“ ist außergewöhnlich: Intern ist das eigentlich überhaupt nicht gern gesehen und führte in der Vergangenheit teilweise zum Ausschluss aus der Gruppe. Aufgrund der hierarchischen Struktur der Letzten Generation kann nur das Kernteam eine Distanzierung zu den Vorgängen beschließen.
Durch den fehlenden Umgang mit den holocaustrelativierenden Äußerungen gerät die Führung in Bedrängnis. Im Call wurde unter anderem vorgeschlagen, dass das Kernteam einem „Privilegiencheck“ unterzogen werden soll. Möglicherweise scheitert die Distanzierung von Roger Hallam an persönlichen Befindlichkeiten.
Die Veröffentlichungen von Apollo News wurden als „revolutionsgefährdend“ bezeichnet. Durch eine mangelnde Distanzierung wird befürchtet, dass zukünftige Vernetzungstreffen schwierig würden und sich potenzielle Partner von der Letzten Generation abwenden könnten.
Es wurde gesagt, dass die Antifa die Letzte Generation als Feind im Kampf gegen Antisemitismus ansehen könnte – eine drohende „Distanzierungswelle von Links“ macht den Aktivisten zu schaffen.
Showdown am Montag
Innerhalb der Organisation werden jetzt noch weitere problematische Äußerungen angesprochen. Bei einem Gerichtsprozess von Carla Hinrichs, einer Mitgründerin der Letzten Generation, fiel auch ihr Anwalt mit einem kruden NS-Vergleich auf. Hinrichs’ Anwalt sagte, dass der Klimawandel schlimmer als die NS-Verbrechen wären. „Meine Generation hat ihre Eltern gefragt: Habt ihr den NS-Staat geduldet oder gar unterstützt oder habt ihr Spielräume genutzt, um ihn zu bekämpfen?“, fragte der Strafrechtler. „Diese Frage stellt sich mit der noch größeren Katastrophe, die auf uns zukommt, neu, und sie wird auch Ihnen, Herr Präsident, gestellt werden.“
Am Montag kommt es zum Showdown in der Causa Hallam. Henning Jeschke, de facto Chef der Letzten Generation, trifft sich mit von ihm ausgewählten Personen, um über das Thema Antisemitismus zu sprechen. Die Letzte Generation debattiert intern dabei zwei Szenarien:
- Die eine Möglichkeit wäre die vollständige Distanzierung – das wäre ein Wendepunkt. Denn Hallam gilt als Vordenker der radikalen Klimabewegung und wirkte entscheidend am Aufbau der Letzten Generation mit.
- Die andere und wahrscheinlichere Möglichkeit wäre es, das Thema öffentlich zu verschweigen, um die Aufmerksamkeit nicht auf Hallam zu lenken und weitere mediale Berichterstattung nicht aufkommen zu lassen. Im Call zum Thema wurde genau diese Schweige-Strategie auch erklärt.
Dann allerdings droht es, die Bewegung an der Frage zu zerreißen.