Tichys Einblick
Verdreifachung seit 2023

Antisemitische Straftaten weiter auf hohem Stand

Bei antisemitischen Straftaten führt mittlerweile der Phänomenbereich „Ausländische Ideologie“. Auffällig ist die Steigerung seit dem Angriff vom 7. Oktober auf Israel. Doch die Statistik, die diese Fälle auflistet, hat ihre Tücken.

picture alliance/dpa | Annette Riedl

Auf den Einmarsch palästinensischer Terroristen in Südisrael am 7. Oktober folgte die Explosion antisemitischer Straftaten in Deutschland: Registrierte das Bundeskriminalamt (BKA) für das dritte Quartal 2023 noch 1.018 solcher Straftaten, waren es für das vierte Quartal 2024 nach aktuellem Stand 3.025 Straftaten – eine Verdreifachung also.

Nun wird deutlich: Die Zahlen sind mittlerweile rückläufig, bleiben aber auf erhöhtem Niveau. Mit Stand vom 30. Juni hat das Innenministerium auf Anfrage der Linken-Abgeordneten Petra Pau mitgeteilt, dass für das erste Quartal 2024 1.282 Straftaten mit antisemitischem Bezug erfasst wurden. Für das zweite Quartal sind es 715.

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Die Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen, weil in der Statistik Nachmeldungen im erheblichen Umfang üblich sind. Beispiel: Für das erste Quartal 2024 hatte das BKA zum Stichtag 31. März zunächst nur 793 Straftaten gemeldet anstatt der aktuell angenommenen 1.282. Es ist daher damit zu rechnen, dass die Zahlen auch im aktuellen Quartal deutlich über dem Niveau des dritten Quartals 2023 bleiben.

Führender Phänomenbereich für antisemitische Straftaten ist im zweiten Quartal 2024 der Bereich „Ausländische Ideologie“ mit 298 Taten, gefolgt von „rechts“ mit 256 Taten und „Religiöse Ideologie“ mit 90 Taten. Nicht zuzuordnen waren demnach 59 Vorgänge; dem linken Spektrum wurden 12 Taten zugeschrieben. Von 19 Gewalttaten sollen 11 durch ausländische Ideologie motiviert gewesen sein, 2 nicht zuzuordnen, jeweils 2 sollen von links und rechts gekommen sein und 1 aus dem religiösen Bereich.

Auffällig im Vergleich zur Zeit vor dem 7. Oktober: Damals waren in den Vormeldezahlen in den Phänomenbereichen „Ausländische Ideologie“ und „Religiöse Ideologie“ stets nur Taten im einstelligen oder niedrigen zweistelligen Bereich verzeichnet worden, während Taten, die dem rechten Spektrum zugeordnet wurden, deutlich dreistellig zu Buche schlugen.

Im vierten Quartal 2023 steigen dann Taten in den Bereichen ausländischer und religiöser Ideologie stark an. Auch aktuell sind die Zahlen hier im Vergleich zur Zeit vor dem Hamas-Überfall hoch. Die dem rechten Phänomenbereich zugeordneten Taten gingen im vierten Quartal 2023 ebenfalls deutlich in die Höhe. Nun bewegen sie sich aber wieder auf dem Niveau von vor dem 7. Oktober.

Fatalerweise entsteht immer wieder der Eindruck, dass Zahlen als gewissermaßen harte Fakten über alle Zweifel erhaben sind und die Wirklichkeit realistisch abbilden. Das aber ist nicht der Fall. Zunächst ist zu bemerken: Die BKA-Statistik erfasst nur Kriminalität, keine antijüdischen Ressentiments, die unterhalb der Strafbarkeitsgrenze bleiben oder schlicht nicht zur Anzeige gelangen.

Zu hinterfragen ist aber vor allem die politische Zuordnung der Taten: Seit dem 7. Oktober hat es in Deutschland zahlreiche Debatten über anti-israelische bis antisemitische Vorfälle und Stimmungen gegeben. Omnipräsent war dabei nicht rechter Judenhass, sondern Antisemitismus aus dem muslimisch-migrantischen und dem akademisch-linken Milieu.

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In der BKA-Statistik spiegelt sich das kaum wider: Hier erscheint rechter und islamistischer Antisemitismus als etwa gleich großes Problem, während linker Antisemitismus kaum messbar ist. Grund ist die problematische Erhebungspraxis. Erst im November 2023 verlieh das Harding-Zentrum für Risikokompetenz an der Uni Potsdam Pressemeldungen über angeblich vor allem rechten Antisemitismus den Preis der „Unstatistik des Monats“.

In der Begründung führte das Zentrum an, seit geraumer Zeit sei bekannt, dass Fallzahlen antisemitischer Straftaten „systematisch fehlerhaft erfasst“ würden. Taten würden zu oft der Kategorie rechts zugeordnet, wodurch die Statistik die tatsächliche Verbreitung antisemitischer Einstellungen verschleiere. Diese Fehlerhaftigkeit verführe dann dazu, „Statistiken zum Werkzeug politischer Narrative zu missbrauchen“.

Die EU-Grundrechtsagentur veröffentlichte im Juli Ergebnisse einer in 13 Mitgliedsländern durchgeführten Erhebung unter knapp 8.000 Menschen, die sich als Juden verstehen. Betroffene wurden vor dem 7. Oktober dazu befragt, wie die Täter antisemitischer Belästigungen gegen sie einzuordnen seien. Ergebnis: 20 Prozent gaben einen rechtsextremen Hintergrund an, ebenso viele einen linksextremen, aber 30 Prozent einen islamistischen.

Deutlicher waren die Zahlen im Falle antisemitischer Gewalt. Hier gab die Hälfte an, dass der Täter einen islamistischen Hintergrund gehabt habe, 22 Prozent nannten einen linksextremen und nur 17 Prozent einen rechtsextremen Kontext. Auch diese nicht-repräsentative Befragung kann nicht beanspruchen, die Realität vollumfänglich abzubilden. Aber sie unterstreicht, dass die Statistik des Bundeskriminalamts hinterfragt werden muss.

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