Tichys Einblick
Comeback nach Ahrtal-Flut

Anne Spiegel strebt zurück in den Bundestag

Anne Spiegel drängt zurück in den Bundestag. Als Bundesministerin für Familie hatte sie vor zwei Jahren zurücktreten müssen, weil sie in der Ahrtal-Flut versagt und danach öffentlich gelogen hat. Die Chancen der Grünen sind gut.

Anne Spiegel (Grüne), Deutscher Bundestag, 07.04.2022

picture alliance / Flashpic | Jens Krick

Der rheinland-pfälzische Landesverband der Grünen holt im Schnitt schlechtere Ergebnisse als die Bundespartei. Als Joschka Fischer einst gefragt wurde, ob es sich bei ihnen um Fundis oder Realos handele, soll er geantwortet haben: Die rheinland-pfälzischen Grünen sind Banalos. Die Banalos entscheiden nun, ob sie Anne Spiegel zu einem aussichtsreichen Listenplatz und damit zu einem Comeback in der Bundespolitik verhelfen.

Zur Erinnerung: Anne Spiegel (43) wurde 2021 Familienministerin im ersten Kabinett von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD). Doch ein halbes Jahr später tauchte belastendes Material aus ihrer Zeit als Landesministerin in Rheinland-Pfalz auf. Vor der Flutkatastrophe im Ahrtal hatte ihr Haus eine Pressemitteilung herausgegeben, mit der es die Anwohner in falscher Sicherheit täuschte – das anstehende Hochwasser werde nicht so schlimm. Wider besseres Wissen hat das Ministerium die Mitteilung nicht widerrufen. Rund 140 Menschen starben in der Nacht.

Am Morgen danach machte sich Spiegel Sorgen: Ihr könne die Schuld gegeben werden und ihr Urlaub sei in Gefahr. Ersteres dementierten die Banalos, Letzteren nahm Spiegel ohne Einstriche wahr. Zwar behauptete sie, sie habe aus dem Urlaub heraus virtuell an Kabinettssitzungen teilgenommen – aber das stellte sich als Lüge heraus. Nun sind Grüne hoch moralisch und schnell mit Rücktrittsforderungen. Wenn es um andere geht. Geht es um sie selbst, sind sie supergenerös und kleben an Geld und Macht wie ein gestürztes Marmeladenbrot am Küchenboden. Erst auf massiven Druck – auch aus den eigenen Reihen – trat Spiegel zurück. Nachdem sie sich zuvor versucht hatte, mit einem maximal bizarren TV-Auftritt zu retten.

Nun sind die Übergangsgelder verbraucht und Spiegel will wieder politisch gestalten. 11.000 Euro Gehalt und 5000 Euro steuerfreie „Unkostenpauschale“ monatlich würde sie als Nebeneffekt in Kauf nehmen. Wie die Bild berichtete, will Spiegel 2025 als rheinland-pfälzische Spitzenkandidatin der Grünen antreten. Als Ober-Banalo sozusagen. Ihre Chancen stehen dabei gar nicht mal so schlecht. Zur Bundestagswahl stellen die größeren Parteien Landeslisten auf. Eine Formel, zu der Ergebnisse auf Landes- und auf Bundesebene gehören, entscheidet darüber, wer letztlich in den Bundestag einzieht.

Zu den letzten drei Bundestagswahlen trat Tabea Rößner als Spitzenkandidatin der rheinland-pfälzischen Grünen an. In 16 Jahren konnte sich die blasse ZDF-Redakteurin nicht über die Hinterbank hinausarbeiten. 2019 versuchte sie zudem Mainzer Oberbürgermeisterin zu werden und scheiterte bereits im ersten Wahlgang kläglich. Zu ihren größten internen Kritikern gehört Bernhard Braun. Der ehemalige Fraktionsvorsitzende im Landtag ist mächtig genug, um Rößner dazu zu bringen, bereits frei gegebene Interviews zu ändern.

Braun wiederum gilt als Förderer von Anne Spiegel. Zudem ist er in der Partei – wohlwollend ausgedrückt – ein Strippenzieher. Bereits bei der Kandidatur zum Bundestag 2009 verhinderte er durch Absprachen mit dem Mainzer Kreisverband, zu dem Rößner gehört, dass Rößner Spitzenkandidatin wird. Auch in Sachen Spitzenkandidatur 2025 könnte er im Zusammenspiel mit Spiegel wieder mit den Mainzern zusammenarbeiten.

Rheinland-Pfalz ist mit Eifel, Hunsrück und Westerwald stark ländlich geprägt. Umso stärker ist daher die Rolle des Kreisverbands aus dem akademisch geprägten Mainz. Doch mit Katrin Eder (Verkehr) und Katharina Binz (Familie, stellvertretende Ministerpräsidentin) ist dieser Kreisverband in der rheinland-pfälzischen Landespolitik schon stark vertreten. Würde Rößner wieder Spitzenkandidatin, hätte ein anderer Mainzer Kandidat kaum noch eine Chance auf einen aussichtsreichen Listenplatz.

Würde Rößner aber nicht mehr antreten, hätte ein Mainzer Mann gute Aussichten auf den gerade noch als aussichtsreich geltenden Listenplatz vier. Das könnte Daniel Köbler, der ehemalige Fraktionsvorsitzende im Landtag, sein. Vor allem aber käme Christian Viering in Frage, der im vergangenen Jahr die erneute Oberbürgermeisterwahl gegen den parteilosen Nino Haase deutlich verlor. Seit der Niederlage gilt er wie Spiegel als vakant und müsste wieder mit politischer Verantwortung versorgt werden. 11.000 Euro Gehalt und 5000 Euro „Unkostenpauschale“ kämen auch nicht allzu ungelegen. Rößner (57) hat ein Rückkehrrecht beim ZDF. Statt grüner Politik im Bundestag würde sie also wieder grüne Politik im Fernsehen machen – und dank Zwangsbeiträgen wird das auch nicht ganz so schlecht bezahlt.

Die Entscheidung fällt der grüne Landesparteitag Anfang Dezember. Bisher sitzen fünf Banalos im Bundestag. In Folge der Wahlrechtsreform und angesichts des zu erwartenden Ergebnisses dürften es aber nicht so viele bleiben. Der Landesparteitag nennt sich übrigens Landesdelegiertenkonferenz. Parteitag ist ein Begriff der alten Parteien, denen es nur um Pfründe geht, über die in Hinterzimmern gekungelt wird. Die Grünen sind da komplett anders. Zumindest in ihrer Selbstwahrnehmung.

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