Tichys Einblick
Seltsames Gehabe der CDU/CSU-Fraktion

Anhörung als Farce: Wie die Ampel das Selbstbestimmungsgesetz durchpeitscht

Ende November veranstaltete die Ampel eine Anhörung zum neuen Selbstbestimmungsgesetz, die zwar kontrovers verlief, die man aber getrost als Farce bezeichnen kann. Die CDU/CSU-Fraktion war kompetent vertreten. Doch der ursprünglich vorgesehene Fachmann Alexander Korte verschwand plötzlich von der Einladungsliste.

IMAGO / Political-Moments – TE-Collage

Darum geht es: Das „Selbstbestimmungsgesetz“ (SBGG) soll das seit 1980 geltende Transsexuellengesetz (TSG) ersetzen. Trans- und intergeschlechtlichen Menschen soll die Änderung von Namen und Geschlechtseintrag erleichtert werden. Statt wie bisher zwei psychiatrischer Gutachten sowie einem Gerichtsbeschluss soll mit dem SBGG nur noch eine einfache Erklärung beim Standesamt notwendig sein. 73 Seiten umfasst der SBGG-Entwurf. Für Minderjährige bis 14 Jahre sollen nur die Sorgeberechtigten die Änderungserklärung gegenüber dem Standesamt abgeben können. Minderjährige ab 14 Jahren sollen die notwendige Erklärung selbst abgeben dürfen; die Erklärung bedarf der Zustimmung der Sorgerechtsberechtigten. Stimmen diese nicht zu, kann diese Zustimmung vom Familiengericht ersetzt werden; dies allerdings nur dann, wenn die Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen dem Kindeswohl nicht widerspricht.

Nach einer erfolgten Änderung des Geschlechtseintrags und der Vornamen soll für eine erneute Änderung eine Sperrfrist von einem Jahr gelten. Was nichts anderes heißt als dies: Man kann sein „Geschlecht“ jährlich wechseln. Auf Grundlage des Gesetzes kann ein Bußgeld verhängt werden, wenn jemand die Änderung des Geschlechtseintrags von transgeschlechtlichen, nichtbinären oder intergeschlechtlichen Personen gegen deren Willen offenbart („dead naming“; sogenanntes Offenbarungsverbot). Ein Bußgeld von bis zu 10.000 Euro sei dann angemessen.

Eine Anhörung als Farce

Nun will die Ampel Dampf machen. Am 28. November veranstaltete sie dazu eine Anhörung, die zwar kontrovers verlief, die man aber getrost als Farce bezeichnen kann. 11 Experten waren zugegen: nominiert von AfD (1), Linke (1), Grüne (2), CDU/CSU (3), SPD (3), FDP (1). Oder anders gerechnet: 6 Professoren aus den Bereichen Psychiatrie, Psychologie, Jura saßen zusammen mit einem von der CDU/CSU nominierten Publizisten (transkritischer Transmann) und 4 NGO-Vertretern (Institut für Menschenrechte, Bundesverband Trans*, Transgender Europe, Frauenrat). Viermal darf man raten, welche Fraktion wen eingeladen hatte.

Und noch anders gerechnet: Zu den 11 Expertisen der anwesenden Experten kamen hinzu: weitere 11 angeforderte Stellungnahmen und 43 unangeforderte Stellungnahmen. Von 8.30 bis 10.00 Uhr (gigantische 90 Minuten) nahm man sich dafür Zeit. Denn um 10.00 Uhr ging es in den Plenarsaal zu einer Regierungserklärung des Kanzlers. Pro anwesenden Experten gab es 4 Minuten Redezeit. Siehe hier das Wortprotokoll und hier eine (tendenziöse) amtliche Zusammenfassung.

Das Herumeiern der CDU/CSU-Fraktion – Kotau vor „Springer“?

Die CDU/CSU-Fraktion war mit einem Professor für Psychologie, einer Professorin für Rechtswissenschaften und einem Betroffenen sehr kompetent vertreten. Aber es war ursprünglich anders geplant. Die CDU/CSU hatte als Experten zunächst Dr. Alexander Korte (*1969) nominiert. Korte ist Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie am LMU-Klinikum München sowie Vorstandsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Sexualmedizin, Sexualtherapie und Sexualwissenschaft. Seit 2004 behandelt er Jugendliche mit Geschlechtsdysphorie.

Korte ist allerdings nicht nur ein erfahrener Fachmann, sondern auch ein mutiger Mann, der zusammen mit vier anderen Fachleuten Anfang Juni 2022 vor einem quasi öffentlich-rechtlichen, indoktrinierenden „Gender-Hype“ gewarnt hatte. Er hatte dies in einem Gastartikel am 1. Juni 2022 im Springer-Blatt „WELT“ veröffentlicht. Die Gegenreaktion der Springer-Spitze ließ nicht lange auf sich warten. Springer-Vorstandschef Döpfner schlug am 3. Juni 2022 zurück und diskreditierte Kortes Beitrag öffentlich als „intolerant und ressentimentgeladen“. In der Folge verließen übrigens mehrere namhafte Journalisten das Haus Springer.

Nun aber hat die CDU/CSU in Sachen Korte reichlich verspätet, aber plötzlich kalte Füße gekriegt und Angst bekommen vor der Öffentlichkeit – womöglich auch vor Springer. Denn plötzlich verschwand Korte von der CDU/CSU-Einladungsliste; seine bereits abgegebene Stellungnahme verschwand, wiewohl sie noch vor der Anhörung auf der Website des Familienausschusses – für drei Tage – veröffentlicht worden war. Kortes Text sollte anschließend lediglich als „unangeforderte“ Stellungnahme wieder online gehen können, was Korte – zu Recht – zurückwies.

Und dann Springers Salto mortale: Am 18. Dezember 2023 veröffentlichte die „Welt“ Kortes Stellungnahme. Ob Springer Korte mit der Veröffentlichung des für die Anhörung vorgesehenen Textes rehabilitieren wollte? Die einmal mehr rundgelutschte CDU/CSU steht jedenfalls als begossener Pudel da.

Da die Stellungnahme hinter einer Bezahlschranke steht, fassen wir hier Kortes Argumente straff zusammen:

1. Besonders problematisch sind aus kinder- und jugendmedizinischer Sicht die vorgesehenen Regelungen bei Minderjährigen … Es stellen sich hier zwei Fragen. Wer, wenn nicht ein/e Facharzt/-ärztin für KJP, soll – erstens – die Bewertung vornehmen, ob die Änderung der Angaben zum Geschlecht und der Vornamen dem Kindeswohl entspricht (oder diesem zuwiderläuft), und – zweitens – ob Elternrechte ausreichend berücksichtigt werden und Jugendliche mit vollendetem 14. Lebensjahr regelhaft in der Lage sind, Bedeutung, Tragweite und Folgen einer solchen Entscheidung einschätzen zu können … Wir wissen aus Langzeitstudien, dass sich die Selbstdiagnose „trans“ im Entwicklungsverlauf vieler Kinder/Jugendlicher nachträglich als Fehleinschätzung herausstellt.

2. Weitere wichtige Argumente gegen den Gesetzentwurf kommen von Frauengruppierungen, die unabhängig von finanzieller Förderung durch Ministerien und auch unabhängig vom Deutschen Frauenrat sind. So wird u.a. darauf hingewiesen, dass die gefühlte „Geschlechtsidentität“ im Kern auf traditionellen Geschlechterstereotypen aufbaut. Die staatliche Gleichstellungspolitik nach Art. 3 (2) GG, die diesen Stereotypen durch geeignete Maßnahmen entgegenwirken soll, würde damit konterkariert, Geschlechterstereotype und Rolleneinengung, die es ja gerade aufzulösen gelte, würden festgeschrieben.

3. Mit der Neudefinition der rechtlichen Kategorie „Geschlecht“, die im deutschen Rechtssystem seit jeher auf körperlichen Merkmalen beruht, künftig aber auf der Grundlage eines „Geschlechtsidentitäts“-Empfindens definiert werden soll, könnten Gleichstellungspolitik und Frauen-/Mädchenförderprogramme nicht mehr an der objektiv gegebenen, körperlichen Geschlechtszugehörigkeit ansetzen, um Nachteile auszugleichen, die Frauen aufgrund eben derer erfahren. Geschlechtsbezogene Daten und deren valide Erhebung sind aber essenziell für Sozial-, Medizin- und Kriminalstatistiken ebenso wie für die Transparenz und faire Bewertung bei Sportwettbewerben.

4. Zudem untergräbt der Gesetzentwurf die Sicherheit von Frauen und Mädchen. Er sieht vor, dass Männer, die sich per Sprechakt zu Frauen erklärt haben, Zugang zu allen Institutionen und Bereichen erhalten, die zum Schutz von Frauen und Mädchen vor Übergriffen und Dominanz durch Männer geschaffen wurden. Dazu gehören z.B. Frauenhäuser, öffentliche Toiletten, Mädchen-/Frauenumkleiden und -duschen in Schulen und Sportstätten, Frauengefängnisse, Frauengesundheitszentren, Zimmer für Frauen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen sowie die separierten Bereiche für Frauen und Mädchen in Unterkünften für Geflüchtete.

5. Fortgesetzt geleugnet werden von der Regierung die im Zuge mit Self-ID-Gesetzgebung in anderen Ländern bereits gemachten Negativ-Erfahrungen. Es wird als frauenverachtend abgelehnt, dass im Selbstbestimmungsgesetz der Begriff „schwangere“ oder „gebärende Person“ statt Frau/Mutter verwendet wird. Auch werden homosexuelle Frauen sprachlich quasi eliminiert, wenn Männer sich per Sprechakt rechtlich zu „Frauen“ und so ggf. auch zu „Lesben“ erklären können.

6. Mehrere Frauengruppierungen und Eltern-Selbsthilfe-Organisationen kritisieren außerdem, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend deren fristgerecht eingereichte kritische Stellungnahmen erst auf beharrliches Nachfragen hin und mit großer Verspätung auf seiner Internetseite veröffentlicht habe. Damit habe das Ministerium den Meinungsbildungsprozess tendenziös beeinflusst.

7. Das sogenannte „Selbstbestimmungs“-Gesetz ist ein Etikettenschwindel. Tatsächlich geht es schlichtweg um die Forderung nach Bestätigung durch andere. Es geht darum, dass andere einen als demjenigen Geschlecht zugehörig identifizieren, das man selbst für sich proklamiert. Aus Sicht des Sachverständigen und der allermeisten Kritiker des Gesetzentwurfs ist es eine Frage der Toleranz, der Höflichkeit und des Respekts, erwachsene transidentifizierte Personen nach erfolgter sozialer und juristischer Transition in ihrem Wunschgeschlecht, mit dem gewählten neuen Namen und den gewünschten Personalpronomina anzusprechen. Das vorgesehene bußgeldbewehrte Offenbarungsverbot jedoch würde die ganze Gesellschaft unter Strafandrohung zwingen, eine Illusion zu bestätigen und Realität zu leugnen.

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