Volker Wissing stellt das Durchführungsgesetz zum „Digital Services Act“ der EU vor. Das ist ein smarter Zug der Ampel. Als Digitalminister ist Volker Wissing zuständig für das Thema. Vor allem aber ist er FDP-Mitglied, war sogar Generalsekretär der Partei. Durch ihn zeigt sich, dass eine liberale Partei hinter dem Gesetz steht – obwohl die Grünen in der Ausführung die Dinge in der Hand haben.
Die Ampel gründet in Folge des Gesetzes eine „zentrale Stelle für die Beaufsichtigung der Anbieter von Vermittlungsdiensten“. Diese Stelle erhält Zuständigkeiten, die sonst nur Ermittlungsbehörden haben, wie Beatrix von Storch (AfD) sagt. Die Stelle darf Verhöre führen, Strafen verhängen und Eigentum beschlagnahmen. Vor allem aber darf die Stelle Dienste wie Facebook oder Twitter unter Strafandrohung zwingen, unliebsame Inhalte zu entfernen. Und das ohne jede demokratische Kontrolle, wie von Storch sagt. Unabhängig, wie es die Ampel nennt.
Und wer leitet diese Stelle? Klaus Müller. Präsident der Bundesnetzagentur. Ein Mann, der weder bei Wissing noch bei Justizminister Marco Buschmann (FDP) angedockt ist, sondern bei „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck (Grüne). Müller, ein ehemaliger Bundestagsabgeordneter – der Grünen. Er entscheidet darüber, was auf Twitter, Facebook und Co noch gesagt werden darf. Unabhängig. Oder ohne demokratische Aufsicht. Ganz, wie man es sehen mag. Viel Verantwortung ist es auf jeden Fall. Und wie will Müller seine verantwortungsvolle Rolle als Richter und Staatsanwalt in einer Person ausüben? Er will ein „Exempel statuieren“ an Twitter, wie Müller dem Spiegel im Interview vorab sagte.
Exempel bedeutet auf Deutsch Beispiel. Ein Exempel statuieren will jemand, der so handeln will, dass es andere abschreckt. Ein negatives Beispiel setzen. Das nimmt sich Müller vor, noch bevor er Richter und Staatsanwalt in einer Person wird. Ja, noch bevor diese Stelle überhaupt offiziell geschaffen ist. Das trägt die FDP mit. Das stellt ihr ehemaliger Generalsekretär vor. Dass das Zensur sei, weisen Vertreter von FDP, Grünen und SPD aber weit von sich. Mit dem Gesetz verteidige die Ampel die Meinungsfreiheit.
Wie sieht das in der Praxis aus? Das Gesetz verteidige die Meinungsfreiheit, lautet die Sprachregelung der Ampel. Doch wie ehrlich die Sprachregelungen der Ampel sind, wissen alle, seitdem Schulden Sondervermögen heißen. Was der Digital Services Act mit sich bringt, zeigt sich in den Reden der Ampel-Vertreter. Etwa der von Maximilian Mordhorst (FDP). Der Liberale sagt: „Wir haben das Problem von asymmetrischer Propaganda.“
Was meint Mordhorst damit? Das Interview des russischen Präsidenten Wladimir Putin mit dem amerikanischen Journalisten Tucker Carlson habe sich in Deutschland jeder ansehen können. Gegenpositionen zu Putins Aussagen seien in Russland aber nicht zu sehen gewesen. Das sei asymmetrisch. Das will Mordhorst abschaffen.
Was bedeutet das? Mordhorst wird in Russland keine Meinungsfreiheit durchsetzen können. Auch keine Pressefreiheit. Will der Liberale also die Asymmetrie zu Russland abschaffen, muss er in Sachen Presse- und Meinungsfreiheit in Deutschland russische Zustände einführen. Das spricht Mordhorst nicht aus. Würde er es tun, bräuchte er als FDP-Kandidat nie wieder Wahlkampf zu machen. Doch weil seine Aussagen faktisch darauf rauslaufen, wird Mordhorst nie wieder einen erfolgreichen Wahlkampf machen.
Die Grünen stellen den Mann, dessen „Stelle“ entscheidet, was noch im Internet geäußert werden darf und was Netzwerke löschen müssen – falls sie nicht millionenschwere Strafen zahlen wollen. Die grünen Abgeordneten machen im Bundestag deutlich, nach welchen Kriterien ihr Mann entscheiden wird. Dann, wenn er ein „Exempel statuieren“ will. Zum Beispiel Tabea Rößner sagt: „Die Verbreitung besonders polarisierender Inhalte zahlen sich für die Betreiber aus.“ Schon Rößners Parteifreundin und Familienministerin Lisa Paus hatte gesagt, dass es im Kampf um das Sagbare eben nicht mehr um strafbare Handlungen geht. „Besonders polarisierende Inhalte“ genügen den Grünen schon, um aktiv zu werden – und ihrem Mann Klaus Müller haben sie alle Vollmachten dazu in die Hand gedrückt – mit Hilfe der FDP.
Worum es den Grünen geht, macht ihr Abgeordneter Maik Außendorf im Bundestag deutlich, wenn er sagt: „Meinungsfreiheit bedeutet eben nicht, dass Sie hetzen können gegen Klimaaktivstinnen, gegen Menschen mit Migrationshintergrund, gegen Transmenschen, gegen Demokratinnen. Es heißt: Meinungsfreiheit ist nicht das Recht auf eigene Fakten. Es ist das Recht auf Meinungsfreiheit und zwar in einem friedlichen Umfeld, in einem demokratischen Umfeld. Ohne Hetze.“
Meinungsfreiheit heißt für Außendorf, dass Bürger es öffentlich gut finden dürfen, wenn die Letzte Generation Flughäfen stürmt oder das Brandenburger Tor nachhaltig beschädigt. Sie dürfen es auch feiern, wenn Kinder Wachstumshemmer erhalten. Oder Bürger dürfen es begrüßen, wenn die Einreise nach Deutschland nicht an Vorstrafen oder fehlenden Papieren scheitert. Das ist für den Grünen demokratisch, das ist für ihn friedlich. Wenn die Bürger einen dieser Punkte aber kritisieren, kann es „Hetze“ sein. Und dann werden sie ein Fall für den Grünen Klaus Müller.
Das ist nicht neu. „Staatsfeindliche Hetze“ gab es in Deutschland schon einmal. In dem Deutschland, das sich eine Demokratische Republik nannte. So konnte deren Einheitspartei, die SED, auf eine Verfassung verweisen, in der die Meinungsfreiheit garantiert war – aber in der Rechtspraxis von der Stasi jeden einsperren lassen, der die Regierung kritisiert hat. Meinungsfreiheit fand die SED super, nur „staatsfeindliche Hetze“ durfte es nicht geben.
Das Gesetz nun sei kein Angriff auf die Meinungsfreiheit, das Gesetz schütze die Meinungsfreiheit – sagt die Ampel. Doch was die Ampel sagt und was die Ampel meint, das sind zwei Dinge. Die Ampel spricht von einer Koordinierungsstelle, weil „Stelle“ sich ja viel besser anhört als Amt oder Behörde. Das sind Begriffe, die durch die deutsche Geschichte in diesem Zusammenhang verbrannt sind – und mit dieser Geschichte will die Ampel nichts zu tun haben, bloß weil sie an manchen Stellen so ähnlich handelt. Aber ja aus einem ganz anderen Zweck. Russland und so.
Der „Stelle“ arbeitet ein Beirat zu. Diese „vertrauenswürdigen Hinweisgeber“ nennt von Storch eine „Armee linker Netzwerksdenunzianten“, welche die Ampel aufbauen wolle und zu der einschlägig bekannte Akteure wie die Amadeu Antonio Stiftung gehören würden. Die Grüne und ZDF-Journalistin Rößner weist da mehr Sprachkunst auf: In diesem Beirat säßen „Mitglieder der Zivilgesellschaft“, die ehrenamtlich Hinweise auf Hetze geben und dafür eine „angemessene Aufwandsentschädigung“ erhalten.
Wo kämen wir auch hin, wenn der Staat Mitarbeiter aussuchen und bezahlen würde, die für ihn das Netz auf missliebige Äußerungen durchsuchen? In einem solchen Staat will Tabea Rößner nicht leben. Wenn aber Mitglieder der Zivilgesellschaft ehrenamtlich gegen Hetze kämpfen und eine angemessene Aufwandsentschädigung erhalten, ist das etwas ganz anderes. Es ist mühsam, grüne Wortverdrehungen geradezuziehen – aber es ist möglich. Noch. Demnächst kann der Grüne Klaus Müller das als Hetze brandmarken und aus dem Netz entfernen lassen. Er kann es kaum noch abwarten, ein Exempel zu statuieren.
Inhaltlich ist dieser Text fertig, bliebe noch die traurige Aufgabe, die Union abzuarbeiten. Die ist in ihren „Rechten Wochen“ vor einer wichtigen Wahl und hat gegen das Gesetz gestimmt. Aber eigentlich finden CDU und CSU es gut, es kommt ja auch aus den Reihen ihrer Spitzenkandidatin Ursula von der Leyen. Deswegen hätte die Union an manchen Stellen mehr oder weniger gemacht, schneller oder langsamer gehandelt, härter oder bedachter und so weiter – daher sei das Gesetz Ampelmurks und nicht zu unterstützen, aber eigentlich super. Sollte es zu der von Friedrich Merz angestrebten Koalition kommen, werden sich CDU und Grüne in der Wortfindung prima verstehen.