Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) gibt sich gerne als der letzte senkrechte Straußianer – als Fan von FJS, des am 3. Oktober 1988 urplötzlich verstorbenen CSU-Urgesteins Franz Josef Strauß. Immer wieder betont Söder, dass er im Jahr 1984 bereits als 17-Jähriger sein Jugendzimmer mit einem FJS-Poster verziert hätte. Ein echter Straußianer ist er indes nicht, dazu fehlt ihm allein schon die rhetorische Urgewalt eines FJS, ferner das auf großem historischen Wissen aufbauende strategische Denken und der gelegentlich durchaus skandalumwitterte Charakter eines FJS.
Wenn es überhaupt noch einen Straußianer par exellence gibt, dann ist es Peter Gauweiler. Der 1949 in München geborene (protestantische) Altbayer stand nie ganz an der Spitze der CSU. Aber in der zweiten Reihe war er ein unbequemer Mann: als Staatsminister in Bayern von 1990 bis 1994, als Landtagsabgeordneter von 1990 bis 2002, als Bundestagsabgeordneter von 2002 bis 2015, als CSU-Vize von 2013 bis 2015. Im Jahr 2015 verzichtete er auf sein Bundestagsmandat und auf seinen CSU-Vizeposten, weil er mit der Eurorettungspolitik auch der CSU nicht einverstanden war.
Soeben hat Gauweiler der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ) ein längeres Interview gegeben. Da blitzt da und dort der Straußianer, der Rebell durch, aber insgesamt auch eine Menge Altersweisheit und Parteidisziplin. Der Interviewer Hansjörg Friedrich Müller macht es Gauweiler aber auch ein wenig leicht, sich abgeklärt und mit sich im Reinen darzustellen.
Richtig liegt Gauweiler in jedem Fall mit der Beschreibung der realen Regierungslage in Deutschland. Er sagt, mit der „Ampel“ habe sich gerade im Süden der Republik ein Gefühl norddeutscher Dominanz eingestellt. Nun, dieses Gefühl konnte man auch schon in den 16 Merkel-Jahren haben – mit einem erheblichen Schuss DDR-Prägung, kaschiert den einen oder anderen CSU-Bundesminister. Aber für die „Ampel“ gilt es in besonderer Weise, allein schon personalpolitisch. Aus den beiden wirtschaftlich führenden deutschen „Südstaaten“ finden sich in der „Ampel“ keine namhaften Leute. Wenn man einmal von zwei Leichtgewichten aus „The Länd“ absieht: vom „türkischen Schwaben“ Özdemir (Grüne) und Lambrecht (SPD).
Und dann meint Gauweiler: Ein süddeutscher Kanzler hätte der Bundesrepublik wieder einmal gutgetan. „Wieder einmal“? Es gab nur zwei Kurzzeit-Kanzler aus den „Südstaaten“: den Franken Ludwig Erhard (CDU, nicht CSU) von 1963 bis 1966 und den aus dem Zollernalbkreis stammenden Kurt Georg Kiesinger (CDU) von 1966 bis 1969. Das heißt: Sechs von 73 Jahren Bundesrepublik gab es einen Bundeskanzler aus dem zweit- und drittgrößten Bundesland. Auf mehr Jahre kommt man allenfalls, wenn man den in Ludwigshafen in der bayerischen (sic!) Pfalz aufgewachsenen Helmut Kohl (CDU) hinzunimmt.
Kulturkämpfe habe er, Gauweiler, gerne ausgetragen. Ob er einen Kulturkampf auch heute noch gerne aufnähme? Ob Friedrich Merz der richtige dafür sei? Ob man in NRW und in Schleswig-Holstein nicht mittlerweile von „grün-grünen“ Koalitionen sprechen könne? Die NZZ gibt Gauweiler nicht die Gelegenheit, darauf einzugehen. Oder er wollte nicht darauf eingehen und hat Fragen in diese Richtung abgelehnt. Aber man hätte Gauweiler provozieren sollen mit den Plänen der drei „Ampel“-Großideologen Nancy Faeser (SPD), Lisa Paus (Grüne) und Marco Buschmann (FDP), die mit einem gender- und transschwangeren „Selbstbestimmungsgesetz“, mit CSD-Regenbogenfahnen an Staatsgebäuden, einem Gesetz zur Co-Mutterschaft, einem „Demokratiefördergesetz“, neuen Staatsbürgerschaftsregeln, neuen Abtreibungsregeln usw. die Republik kulturmarxistisch umkrempeln.
Dieses Faeser/Paus/Buschmann-Bermuda-Dreieck, die „Ampel“-Giftküche, ideologiekritisch zu zerpflücken wäre mehr denn je Job der Bürgerlichen. Aber es gibt diese Intellektuellen nicht, und eigentlich gab es sie – Ausnahme für eine gewisse Zeit: Gauweiler – nie. Also werden CDU und CSU wohl weiter ergrünen, und sich dabei pseudointellektuell ebenfalls „woke“ vorkommen.