Mehltau lag über Deutschland. Bundespräsident Roman Herzog (CDU) forderte bereits 1997 auf, ein Ruck müsse durch das Land gehen. Fast ein Jahrzehnt passierte nichts. Dann ging dieser Ruck tatsächlich durch das Land – in Form des Sommermärchens von 2006. Die Leute tanzten auf der Straße, hüllten sich in Schwarz-Rot-Gold und feierten zusammen mit der „Welt zu Gast bei Freunden“.
2024 findet die Fußball-Europameisterschaft statt. Die Berliner Polizeipräsidentin Barbara Slowik hat Polizisten das Tragen von schwarz-rot-goldenen Fähnchen verboten. Karl Lauterbach und die staatlich finanzierte „Zivilgesellschaft“ haben für den Juni Veranstaltungen gegen den „Hitzetod“ angekündigt. Und die Fanmeilen sind mit Betonblockaden abgesichert, weil die „Welt zu Gast bei Freunden“ die Freunde fürchten muss, die im Namen ihrer Religion Ungläubige mit Lastwagen totfahren wollen. Dass die EM zu einem Sommermärchen 2.0 wird, ist also eher unwahrscheinlich.
Die Frage steht im Raum, was dieses Mal Deutschland vom Mehltau befreien könnte? Die Antwort ist nicht die Ampel. Das Problem ist: Auch keine andere Koalition drängt sich auf, die dem Land einen Ruck verpassen könnte. Und das, obwohl sich an diesem Donnerstag ein Wechsel im Bundestag andeutete. Die Ampel steht – nach gerade mal zwei Jahren – vor einem Ermüdungsbruch. Die Nachfolge könnte eine Jamaika-Koalition aus Union, FDP und Grünen antreten.
Die Geschichte liegt in den Details. Das zeigte sich schon am Mittwoch in der Befragung des Bundeskanzlers. In der bewähren sich Abgeordnete der Regierungsfraktionen als treue Parteisoldaten. So wie Tanja Machalet (SPD). Sie stellen Fragen wie: Ist die Rentenpolitik der Ampel nicht absolut richtig und sind die Ideen der Opposition nicht voll gemein? Der Kanzler antwortet, dass die Rentenpolitik der Ampel genau richtig und die Vorschläge der Opposition voll gemein sind. Die Parteisoldatin hat sich ein Fleißkärtchen verdient und fünf Minuten Lebenszeit hunderter hochbezahlter Menschen ist nutzlos vertan worden.
Von diesem öden, abgeschmackten Treiben eine Ausnahme hat Konstantin von Notz gemacht. Der Grüne grillte den eigenen Kanzler. Er wollte von ihm wissen, was er über die neuen Erkenntnisse in der Wirecard-Affäre wisse und was eigentlich seine Rolle in der Affäre gewesen sei. Ein solch harter Angriff ist eigentlich der Opposition vorbehalten.
Auch in der Debatte um den Unions-Antrag zu Taurus muss sich der Kanzler wieder Ungeheuerliches von den Grünen anhören. Agnieszka Brugger sagt ihm, dass die Zeiten Gerd Schröders (SPD) zum Glück vorbei seien. Zum einen, was die Nähe zu Russland betreffe, und zum anderen, was dessen Basta-Politik angehe, strittige Themen mit der Richtlinienkompetenz des Kanzlers durchzusetzen. Wumms. Das hat gesessen. Verbal.
Doch an einer Frage kommen FDP und Grüne nicht vorbei: Was machen sie daraus, dass sie mit der SPD zu keinem Ergebnis kommen? Die Frage steht ja nicht nur in der Taurus-Sache im Raum. In der Wirtschaftspolitik haben Christian Lindner (FDP) und Robert Habeck (Grüne) erkannt, dass der Standort weltweit nicht mehr konkurrenzfähig ist. Was folgt aus dieser erschütternden Erkenntnis? Nichts. Zumindest nicht in der Ampel. Denn der Mann mit der Richtlinienkompetenz – Schröders ehemaliger Generalsekretär – ist nicht einmal bereit anzuerkennen, dass die deutsche Wirtschaft überhaupt in einer Krise stecke.
Doch die Dinge sind nicht einfach. Das zeigt sich auch darin, dass CDU und FDP darauf verzichten, in der Taurus-Debatte ihre Scharfmacher ans Rednerpult zu schicken. In Talkshows dürfen Roderich Kiesewetter und Marie-Agnes Strack-Zimmermann nicht fehlen, weil sie die Taurus-Lieferung so einfach machen – und vor allem so folgenlos. In der wirklich entscheidenden Debatte halten die Fraktionsvorsitzenden die beiden Scharfmacher am Spielfeldrand.
Eine Jamaika-Koalition wäre das Zusammenwachsen von Merkels Erben mit den Koalitionspartnern von Olaf Scholz. Cineastisch gesprochen wäre das wie ein Mix aus Halloween 14 und Police Academy 7. Etwas, was man nicht sehen will, einen aber zum Hinschauen zwingen würde wie ein Unfall. Eine Koalition. die nach zwei Jahren vermutlich genauso erschöpft wäre, wie es die Ampel heute ist.
„Die Welt ist im Aufbruch, sie wartet nicht auf Deutschland“, hat Roman Herzog in seiner Ruck-Rede gewarnt. 1997. Es stimmt 2024 mehr denn je. Die Welt setzt auf Künstliche Intelligenz und Deutschland mit der EU im Schlepptau hält mit deren Regulierung dagegen. Und mit dem Cookie-Button. Die Welt revolutioniert die Mobilität und Deutschland baut aufs Lastenfahrrad. Länder wie Indien, Brasilien oder Vietnam begehren auf und streben den Wohlstand an, den Deutschland heute hat. In Deutschland schwärmt im Staatsfernsehen die TAZ-Journalistin Ulrike Herrmann von den Freuden einer Zukunft, in der Millionen von Menschen die Kartoffeln mit der Hand säen und pflücken.
„Aber es ist auch noch nicht zu spät“, sagte Roman Herzog ebenfalls. Das stimmte genauso. 1997. Gerd Schröder schuf mit der Agenda 2010 die Voraussetzungen, dass 2006 ein Ruck durch Deutschland gehen konnte. Doch 2024? „Wirtschaftsminister“ Robert Habeck erklärt den Staat als unfehlbar und etabliert eine Wirtschaft, in der der Staat über komplizierte Verfahren entscheidet, wer Subventionen erhält. Die bezahlt sie mit Steuern, die so hoch sind, dass sie eigentlich gesunden Unternehmen die Gurgel zudrücken.
Deswegen redet die Ampel zwar darüber, die Bürokratie entschlacken zu wollen, hält sich aber bei jedem Gesetz daran fest, zur Sicherheit jeden Einzelfall regeln zu wollen. Was dann halt eine arme Sau in irgendeinem Büro überprüfen muss und sich daher Bürokratie nennt. Aus dem gleichen Grund redet die Ampel davon, die Wirtschaft fit machen zu wollen – kann sich darunter aber nichts anderes mehr vorstellen, als immer noch mehr Steuergeld zu verteilen. Von der Aufblähung des Sozialstaats erst gar nicht zu reden. Nur: Unter Jamaika ginge das genau so weiter.
Nun steht der Krieg buchstäblich vor der Tür. Seit über zwei Jahren. Der Krieg ist der Test für jede Gesellschaft, ob sie noch vital ist oder nicht. Deutschland fällt gerade durch diesen Test durch. Ein Krieg ist mit Opfern verbunden. Die ist ein Bürger nur bereit zu bringen, wenn er dem jeweiligen Anführer zu folgen bereit ist. Selbst glühende Patrioten werden sich schwer damit tun, für Olaf Scholz oder für Friedrich Merz in den möglichen Tod zu ziehen. Vorerst bleibt die Ampel, bleibt das Zackern um den Taurus-Marschflugkörper. Letztlich aus einem simplen Grund: Weil die Mehrheit im Bundestag die Frage nicht beantworten kann „Was nun?“ – Was kommt nach der Ampel?