Tichys Einblick
Ampel-Eiertanz

Findet Deutschland noch einmal die Kraft zum Wiederaufbau?

Lindner will die Koalition nicht platzen lassen. Habeck auch nicht. Und Scholz ist ein machtloser Kanzler. Auf den letzten Metern der Legislatur erinnert die Ampel an eine schlechte Telenovela. Sie führt einen Tanz auf, den keiner sehen will. Nicht sie scheitert, sondern Deutschland.

picture alliance / PIC ONE | Ben Kriemann

Der Auto- und Industriezulieferer Schaeffler meldet, dass er angesichts des dümpelnden Industriegeschäfts 4700 Stellen, davon allein 2800 in Deutschland, streichen wird. Der Verwirtschaftungsminister Habeck löst die Frage des Fachkräftemangels auf sehr eigene Art und Weise. Wenn eben zu wenig Fachkräfte da sind, muss man eben die Wirtschaft herunterfahren.

Wie Audi heute bekannt gibt, ging der Betriebsgewinn um 91 Prozent zurück. Das einzige, was in Deutschland wächst, ist der Staat, im ersten Sektor die Bürokratie, im zweiten Sektor die NGOs, die immer mehr hoheitliche Aufgaben übernehmen, was zunehmend zur Auflösung des Rechtsstaates führt, weil die NGOs, teils staatlich finanziert, zuweilen über gerichtsfeste, dennoch aber demokratietheoretisch dubiose Wege, in einer Art und Weise tätig werden, wie es dem Staat zurecht verwehrt ist. Zur Machtsicherung und zur Bekämpfung der Opposition handelt die Ampel so, dass man die Methoden der Hütchenspieler noch ehrbar nennen wird.

Es war von Anfang an klar, dass dieses reaktionäre Bündnis nicht funktionieren wird. Die Koalition hielt bis heute, weil die Ampelparteien den Grünen Gefolgschaft geleistet haben und die FDP den Liberalismus gründlich vergessen hat. Wofür die FDP steht, weiß niemand, auch niemand in der FDP. Das zutiefst illiberale und totalitäre Gesetz, das in seinem Namen gleisnerisch den Begriff „Selbstbestimmung“ führt, hat die FDP sogar noch unter ihrem Justizminister Buschmann vorangetrieben.

„The Economist“
Merkels Schatten: Eine Ära des Rückschritts für Deutschland
Galt Deutschland zu Beginn der Kanzlerschaft von Gerhard Schröder als „kranker Mann Europas“, so hat die Politik von Angela Merkel und natürlich die ihrer „schrecklichen Kinder“ Deutschland wieder zum „kranken Mann Europas“ gemacht, wie sogar der linksliberale britische „The Economist“ einschätzt: „Das Zeugnis für die Wirtschaft ist sogar noch vernichtender: 16 Jahre des Durchwurstelns ohne Reformen haben Deutschland wieder einmal zum wirtschaftlich kranken Mann Europas gemacht.“ Den Vorwurf des Durchwurstelns kann man der Ampel nicht machen.

Die Außenministerin speist anscheinend mit Israelgegnern unter größter Geheimhaltung. Unter ihrer Amtsführung hat Deutschland jegliche außenpolitische Bedeutung verloren und ist zur Lachnummer geworden, während Baerbock mit deutschen Steuergeldern mittelbar die Hamas finanziert – jedenfalls konnte sie das Gegenteil bisher nicht belegen – und Million für Million für Million deutscher Steuergelder in die Ukraine verschiebt, für die sie allein und eben nicht für Deutschland Politik macht, derweil in Deutschland nicht nur die Finanzierung des Gesundheitswesens zusammenkracht.

Der Wirtschaftsminister hat durch eine rein ideologiegestützte und zum Wohle der Finanzwirtschaft, insbesondere der Wall Street, projektierte Wirtschaftspolitik den Wirtschaftsstandort Deutschland beschädigt, sodass man Deutschlands Depression die Habeck-Depression nennen muss. Habecks Antwort auf das Desaster für die deutsche Wirtschaft, für die deutschen Arbeitnehmer lautet: noch mehr vom Falschen, weil er glaubt, dass das Falsche richtig ist und sich doch irgendwann einmal als richtig erweisen muss, wenn man nur fest die Augen schließt und seine Unfähigkeit für Mathematik und Logik durch unanfechtbaren Glauben und durch die wahre Nibelungentreue zur Mazzucato-Ideologie ersetzt. Vor dem Geld, das den Firmen und den Bürgern dieses Landes abgepresst wird, haben die Ampel-Leute nicht nur keinen Respekt, sie haben mehr noch vergessen, woher das Geld stammt, und glauben tatsächlich, dass sie es erwirtschaftet hätten und es ihnen gehört.

Doch immer weniger lässt sich der politische, der gesellschaftliche und der wirtschaftliche Niedergang bemänteln und vertuschen trotz des gewaltigen grünaffinen und teils zwangsfinanzierten Medienimperiums.

Ultimatum an SPD und Grüne
Christian Lindner blamiert sich wie selten ein Politiker zuvor
Insofern herrscht in der Ampel Krisenstimmung, weil sich die FDP im freien Fall befindet und hofft, im Sturz noch den Ast eines Baumes, der aus dem Felsen herauswächst, zu ergreifen. Seit Wochen und seit Tagen spekulieren die Medien in immer kürzeren Abständen darüber, wann die Ampel auseinanderbricht. Es ist wie beim lauten Quietschen der Bremsen eines Autos, bei dessen Krach man auf den erlösenden Aufprall wartet. Man gewinnt inzwischen den Eindruck, dass außer bei den grünen Propagandamedien des öffentlichen Rundfunks in allen Medien, ganz gleich, wo sie politisch stehen, der einhellige Wunsch besteht, dass diese unselige Koalition auseinandergeht. Weshalb man die Ampel-Leute weder sehen noch hören möchte, liegt einfach daran, dass sie unfähig sind, Intrige von Politik zu unterscheiden. Das absurde Theater, das den Deutschen geboten wird, hat die Ebene der Politik verlassen und sich auf die Ebene einer schlechten Telenovela begeben, die kaum einer – außer den Darstellern – noch sehen möchte.

Christian Lindner, der „Spielmaxe“ der FDP, hat ein achtzehnseitiges Diskussionspapier vorgelegt, das bei weitem nicht konsequent ist und bei weitem nicht genügend Maßnahmen enthält, der deutschen Krise zu wehren, aber immerhin in die richtige Richtung weist. Obwohl Olaf Scholz über Lindners Vorschläge, die völlig der Politik der Grünen entgegenlaufen, reden möchte, hat die Parteivorsitzende der SPD, Esken, anscheinend ohne mit dem Kanzler, den ihre Partei stellt, Rücksprache gehalten zu haben, gleichmal öffentlich das Papier als Wahlkampf abgekanzelt und als indiskutabel klassifiziert. An diesem Vorgang kann man erkennen, welchen Rückhalt der Bundeskanzler noch in seiner eigenen Partei besitzt.

Und auch Christian Lindner will, obwohl er weiß, dass das Papier für die Grünen unannehmbar ist, nicht die Koalition platzen lassen, ein bisschen schon, aber nicht richtig, am Ende doch eigentlich nicht oder vielleicht doch. Angeblich entscheidet sich die Frage der Koalition daran, ob man einen Haushalt zusammenbekommt. Obwohl eigentlich nach Berechnungen der Opposition 40 bis 50 Milliarden Euro fehlen, geht die Ampel stur von 12 Milliarden Euro aus. Fast gleichzeitig zu seinem Papier hat Lindner Habeck eine Hintertür geöffnet, als er andeutete, die 10 Milliarden Euro, die als Subvention für Intel gedacht war, zu nutzen, um damit das Haushaltsloch zu schließen. Durch die Tür stürmte Habeck sogleich. Damit hätte die Koalition einen Scheinhaushalt. Und das andere ist nicht so wichtig. Ein Papierchen für einen Kaminabend. So hatte es bis eben noch den Anschein.

Habeck will die Koalition unbedingt erhalten. Seine politische Existenz hängt daran. Er hofft, koste es Deutschland, was es solle, dass er mit Turboaktivismus, mit erhöhter Geschwätzigkeit – Politik ist ja für ihn Kommunikation – mit der Ankündigung von Programmen und Initiativen, wovon schon die nächste ihre Vorgängerin kaum ausgesprochen verdrängt, bevor sie durchdacht und vernünftig politisch umgesetzt wird, und mit so viel Geld als möglich, die Stimmung zu seinen Gunsten noch zu drehen.

Die Logik des Politikbetriebs
Christian Lindner scheitert am Realitätsverlust des Berliner Politikbetriebs
Die listige Annalena Baerbock hat sich aus der ersten Reihe zurückgezogen, Habeck das Stoppelfeld überlassen, auf dem jeder Grüne derzeit stolpern würde und stürzen muss. Baerbock beobachtet kühl Habecks Wanken. Würden demnächst Neuwahlen stattfinden, würden die Grünen abstürzen, auch weil sie momentan über keine funktionierende Parteispitze verfügen, die eingearbeitet ist, was für Kampagnen und Wahlkämpfe von großer Bedeutung ist. In der FDP ist man vollkommen unschlüssig, ob man aufhören oder weitermachen soll. Jeder in der Partei sieht den Absturz, nur kann auch niemand die Frage beantworten, ob der Aufprall härter wird, wenn man jetzt die Koalition verlässt oder bis zum Ende in ihr ausharrt. Wäre die FDP nicht in die Koalition gegangen und hätte als liberale Opposition gewirkt, stünde sie heute bei 12 Prozent. Tempi passati.

Nur die SPD könnte sich zurücklehnen, denn sie kann mit den Grünen in einer Minderheitsregierung weiter vor sich hindümpeln, was diese Partei ja liebt. Oder sie treibt Neuwahlen voran mit der Perspektive, wieder in eine große Koalition zu gehen. Das Problem der SPD besteht in der SPD selbst, die irgendwie links, die irgendwie grün, aber letztlich keine Programmpartei mehr, sondern eine Phrasenpartei geworden ist.

Eines muss die FDP wissen: Sie muss sich jetzt entscheiden, jetzt, bevor der Haushalt beschlossen ist. Denn mit einem beschlossenen Haushalt kann eine Rest-Ampel noch bis zum Herbst nächsten Jahres vor sich hinfunzeln. Dafür trüge die FDP dann die Verantwortung. Niemand nimmt ihr die Entscheidung ab: gehen oder bleiben? Nach der Verabschiedung des Haushaltes zu gehen, heißt bleiben, auch wenn man körperlich die Regierung verlässt. Doch irgendwie weiß das die FDP auch, denn jetzt geht es ihr plötzlich nicht mehr um das 12-Milliarden-Haushaltsloch, nicht mehr um die 10 Milliarden Intel-Subvention, sondern nur noch um Lindners Papier.

Denn jetzt, wo Habeck durch die Tür gestürmt ist, ist es der FDP auch nicht recht. Deshalb lässt Lindner wohl seine Parlamentarische Staatssekretärin Katja Hessel posten: „Es geht gerade nicht um das Stopfen von Haushaltslöchern, um zehn Milliarden mehr oder weniger. Es gibt im Haushalt kein Spielgeld für einzelne Parteien.“ „Der Wirtschaftsminister muss nun vorschlagen, wie er den Standort Deutschland ohne mehr Schulden oder höhere Steuern wieder fit machen will.“ Lindner habe schließlich dazu Vorschläge unterbreitet. Der Ton der FDP ist die Antwort auf Habecks taktischen Fehler, die Koalition unbedingt auch um einen hohen Preis erhalten zu wollen, wie er es gerade geäußert hat. Lindner spürt, wie blank Habecks Nerven liegen.

Bis zum 14. November wird die Ampel noch einen Tanz aufführen, den keiner sehen will, einen Eiertanz. Vielleicht will auch niemand in der Koalition am Platzen der Ampel schuld sein, obwohl es sich eigentlich alle wünschen. Keiner hat von denen mehr Lust auf den anderen. Die Frage lautet für Deutschland aber: Wird das Land wieder einmal einen Wiederaufbau hinbekommen?


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