Tichys Einblick
Schlafwandelnd in die Isolation

Der schräge Nationalismus der neuen deutschen Außenpolitik

Die Bezeichnung "Die Schlafwandler" trifft nicht nur auf die Außenpolitik des wilhelminischen Deutschen Reiches zu, sondern auch auf die die von Ampel-Deutschland. Internationale Isolation war das Ergebnis – und wird es wieder sein.

IMAGO / ZUMA Wire

Der wirtschaftliche und kulturelle Aufstieg des deutschen Kaiserreichs war einst so fulminant, dass es den deutschen Esel mit aller Illusionsmacht, wie sie nur der deutsche Classe Politique und natürlich dem deutsche Bürgertum zu entspringen vermag, aufs Glatteis trieb. Der Wohlstand musste dringend durch das Elend ersetzt werden. Gesinnung, Großmannssucht und Utopismus traten – namentlich in der Außenpolitik – an die Selle vernünftiger Erwägungen, an die Stelle von Rationalität.

Die Graue Eminenz im Auswärtigen Amt, Fritz von Holstein, hat Bismarcks kluge Außen- und Bündnispolitik nach dessen Rücktritt 1890 vollständig demontiert und das Deutsche Reich außenpolitisch isoliert. Holstein hielt das Zarenreich für so rückständig, dass ein Krieg gegen den Zaren aus seiner Sicht unumgänglich war, schon aus zivilisatorischen Gründen. Übrigens stand er damit nicht allein, denn ins gleiche Horn stießen auch die Sozialdemokraten. Der alte Bebel ließ sich sogar auf dem Essener Parteitag 1907 zu der Äußerung hinreißen, dass er als „alter Knabe noch bereit“ wäre, „die Flinte auf den Buckel zu nehmen und in den Krieg gegen Russland zu ziehen.“

Der Rückversicherungsvertrag mit Russland wurde also nicht verlängert, der Versuch, England auf die deutsche Seite zu ziehen, scheiterte, stattdessen kam es zur Bildung der „Entente Cordiale“ zwischen England, Frankreich und Russland.

So blieben nur Bündnisse mit machtpolitischen Untoten übrig wie Österreich-Ungarn und dem Osmanischen Reich, damals auch bekannt als der „tote Mann vom Bosporus“. Auch die Verständigung mit Italien, das rechtzeitig im Ersten Weltkrieg auf die Seite der Sieger wechselte, erwies sich als Fehlschlag.

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Es sagt genug über das außenpolitisch handelnde Personal aus, dass man sich in einen Krieg ziehen ließ, der wohl eher zustande kam, weil die Inkompetenz in der Bürokratie der Habsburger-Monarchie so hoch war, dass man das kleine Wunder vollbrachte, die schwerfällige europäische Bündnismechanik in Gang zu setzen. Christopher Clark hat insofern recht, wenn er für sein Standardwerk über den Ausbruch des Ersten Weltkriegs von Hermann Broch den Titel „Die Schlafwandler“ entlehnte.

Für die deutsche Außenpolitik wird der Titel „Die Schlafwandler“ zu einer stereotypen, immer wiederkehrenden Gattungsbezeichnung.

In ihrer Gesinnungspolitik, in ihrem fehlenden Realismus wandelte die Außenpolitik der Vor-Ampel unter Merkel bereits auf den außenpolitischen Pfaden des wilhelminischen Deutschlands, auf denen nun die Ampel gesinnungseuphorisch voranstürmt. Das Resultat wird darin bestehen, dass Deutschland schließlich außenpolitisch isoliert wäre – und das zu einer Zeit, in der es fiskalpolitisch und wirtschaftlich in einer tiefen Krise steckte, also politisch kaum noch handlungsfähig sein würde.

Im Einzelnen:

1. In Europa haben Frankreich und Italien ein Bündnis gegen Deutschland geschmiedet, dem sich andere mediterrane Länder eher anschließen würden, schon aus Gründen des Euros und der Umverteilungspolitik der EU, die institutionalisiert und verstetigt werden soll. Für Deutschland, das seine Importe in die Euro-Zone im Grunde durch das Target-II-System selbst bezahlt, existieren also 1.066.604.266.793,58 (Stand des Saldo in Euro am 31. Oktober 2021) Gründe, der EZB zu Willen zu sein.

Deutschlands größter Außenhandelspartner sind die Visegrad-Staaten, die von der deutschen Außenpolitik aus ideologischen Gründen geschurigelt, gedemütigt und belehrt werden. Im Jahr 2020 exportierte Deutschland jedoch nach Ungarn, Polen und Tschechien Waren im Werte von 129,22 Milliarden Euro, gefolgt von den USA mit 103,48 und China mit 95,84 Milliarden Euro. Hohes Gut deutscher Außenpolitik müsste es daher sein, das Bündnis mit den mittel- und osteuropäischen Staaten zu festigen, ihr Anwalt in Brüssel und nicht Brüsseler Büttel zu sein. Deutsche Außenpolitik zerstört nachhaltig die traditionell und solide gewachsenen guten Beziehungen zu den mittel- und osteuropäischen Staaten.

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Frankreich unterhält enge wirtschaftliche Beziehungen zu den anderen mediterranen Staaten. Es ist daher nicht verwunderlich, sondern nur logisch und vernünftig ist, dass Frankreich diese Beziehungen stärkt, wie es verwunderlich, unlogisch und unvernünftig ist, dass Deutschland seine guten Beziehungen zu den mittel- und osteuropäischen Staaten zerstört – und dass, wo wir es im Gegensatz zu Italien und zu Frankreich mit wachsenden Volkswirtschaften zu tun haben, also mit Zukunftsmärkten.

Es stellt doch keinen Zufall dar, dass Polen erneut und gerade jetzt wieder mit Reparationsforderungen aus dem Zweiten Weltkrieg kommt. Es ist sogar denkbar, dass Baerbocks Außenpolitik einen so großen Schiffbruch erleiden wird, dass Deutschland am Ende diese „Reparationen“ wird bezahlen müssen.

Eine ideologiegeleitete Außenpolitik gefährdet unsere Position als Player auf den mittel- und osteuropäischen Märkten. Polen und Ungarn werden sich nach Großbritannien und nach China orientieren, denn in Mitteleuropa wird das Interesse an deutschen Windparks geringer sein als das an chinesischen Kohlekraftwerken. Sinnvoll wäre es also für Deutschland, die Beziehungen zu den mittel- und osteuropäischen Staaten und zu Großbritannien zu stärken.

2. Die deutsche Wirtschaft ist inzwischen so stark mit der chinesischen Wirtschaft verwoben, dass wir uns nüchtern betrachtet bereits von Medikamenten bis Halbleiter in der Abhängigkeit von China befinden. Bevor man an dieser Stelle mit Importbeschränkungen droht, sollte man einmal die Konsequenzen bedenken. Klüger wäre es, die Abhängigkeit mittelfristig zu minimieren und dann Forderungen zu stellen – und nicht umgekehrt. Niemand in Europa wird sich auf einen „Handelskrieg“ mit China, auch nur auf Importbeschränkungen einlassen – damit stünde Deutschland erneut isoliert in Europa.

3. Weder in der Welt, noch in Europa hat jemand auch nur die geringste Lust auf eine Weltinnenpolitik mit einer Weltinnenministerin Annalena Baerbock. Analenna Baerbock wird die einzige unter ihren Kollegen sein, für die Außenpolitik Weltinnenpolitik ist: „Ich verstehe Außenpolitik als Weltinnenpolitik.“ Passend zum Amtsantritt von Annalena Baerbock bringt der Econ Verlag Anfang nächsten Jahres das Buch „Die Zukunft der Außenpolitik ist feministisch“ von Kristina Lunz heraus, denn „feministische Außenpolitik wird im neuen Koalitionsvertrag der Ampel-Koalition als klares Ziel benannt.“

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In der Werbung des Verlages zu diesem Buch heißt es: „Die Gründerin des „Centre for Feminist Foreign Policy” denkt Frieden, Menschenrechte und Gerechtigkeit mit Außenpolitik zusammen und will so einen Paradigmenwechsel einleiten: Machtgebaren und militärischen Muskelspielen setzt Kristina Lunz Mediation in Friedensverhandlungen, feministische Machtanalysen und Klimagerechtigkeit entgegen. Realpolitik wird gegen Utopien ausgetauscht, und Botschafterinnen gibt es genauso viele wie Botschafter. Lunz Kernbotschaft also: Kein Frieden ohne Feminismus!“ Wenn der Verlag recht hat – und er wird von Baerbocks Interview mir der taz zu ihrer Außenpolitik bestätigt -, dann wird Leitlinie deutscher Außenpolitik nicht „Realpolitik“, sondern Utopie sein, nicht das Machbare, sondern das Wünschbare wird im Mittelpunkt stehen, nicht die Welt, wie sie ist, sondern wie sie einem gefällt. Der wilhelminische „Platz an der Sonne“ wird ersetzt durch den Baerbockschen Platz unter der Windkraftanlage.

4. Die Grünen wollen die Außenpolitik zum Mittel der Durchsetzung ihrer Klimapolitik machen, doch niemand in der Welt, auch nicht in Europa hat Lust auf den Import von Deutschlands klimaneutraler Gesellschaft. Aber wahrscheinlich werden die deutschen Botschaften das im Handumdrehen verändern, denn: „Unsere über 220 deutschen Auslandsvertretungen können dafür wichtige Klimabotschaften sein und auch zur Intensivierung des Technologietransfers beitragen“, so Baerbock. Doch deutsche Windkraftanlagen werden kein Exportschlager und niemand wird seine Atomkraftwerke abschalten. Im Gegenteil. Auch hier befindet sich Deutschland auf einsamer Position.

5. Im Grunde hegen die Grünen und ihre designierte Außenministerin die Vorstellung, dass am klimaneutralen Wesen der deutschen Grünen die Welt genesen wird. Sie sind hierin weit nationalistischer als die wilhelminische Außenpolitik es je war. Zwar wollen die Grünen und die Sozialdemokraten – und laut Koalitionsvertrag auch die FDP – Deutschland in der EU auflösen, nur soll die EU dabei deutsch werden, soll der neudeutschen Ideologie der Identitätspolitik, des Genderismus und der Klimaapokalyptik folgen. Glaubten die guten Deutschen im Kaiserreich, dass sie die Welt mit der deutschen Kultur erfreuen werden, so meinen die Grünen, die Welt mit der neudeutschen Klima-Ideologie zu beglücken. Der Weg in die Selbstisolation, der bereits von der Vor-Ampel eingeschlagen wurde, dürfte vom grünen Außenministerium vollendet werden. Man kann sich dessen sicher sein, Olaf Scholz und der Mann aus Holstein, nebst der Frau aus dem Völkerrecht werden uns neuen, herrlichen Zeiten entgegenführen.

Die Geschichte ist eine Meisterin der Ironie, sie liebt die Hybris als Stilmittel der Komik und den Bauern als Edelmann als Hauptfigur ihrer Grotesken. Dass ausgerechnet diejenigen, die den Nationalismus am tiefsten verachten und am schärfsten verurteilen, über ihre Gesinnung in einen krassen Nationalismus stolpern, hat etwas von Grand Guignol, allerdings auf Deutsch, was das Vergnügen minimiert.


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