Vor dem Hintergrund der aktuellen Demonstrationen gegen Rechts fordern nun führende SPD- und Grünen-Politiker eine zügige Verabschiedung des Anfang letzten Jahres vorgelegten Demokratiefördergesetzes. Die Demokratie brauche nicht nur engagierte Demonstrationen, sondern auch Initiativen, die zwar schon überall im Land existierten, nun „aber eine Bestärkung des Staates benötigen“, so die Parteivorsitzende Saskia Esken. Auch Bundesinnenministerin Nancy Faeser will den – wegen des Widerstands der FDP im Gesetzgebungsverfahren steckengebliebenen – Gesetzentwurf nun zügig durch den Bundestag bringen. Faesers Worten zufolge werde das Gesetz benötigt, um „unzählige zivilgesellschaftliche Initiativen […] dauerhaft und verlässlich zu unterstützen“, denn „eine wache Zivilgesellschaft ist die stärkste Brandmauer gegen Rechtsextremisten“.
Trotz der Begeisterung, die den über eine Million Bürgern, die in den vergangenen Wochen auf die Straße gingen, von Politik, Medien und staatlichen Stellen für ihr Engagement entgegengebracht wird, stellt die Bundesregierung der großen Masse der Bürger mit dem Demokratiefördergesetz jedoch ein geradezu vernichtendes Zeugnis aus. Denn die Zivilgesellschaft in Deutschland sei derzeit nicht das „Bollwerk gegen fremdenfeindliche und rassistische Umtriebe“, das sich – allen voran – Bundeskanzler Olaf Scholz und Nancy Faeser (beide SPD) so sehr wünschen und das man dringend benötige, um die Demokratie zu schützen.
„Rassismus, Antisemitismus, Antiziganismus, Islam- und Muslimfeindlichkeit, Queerfeindlichkeit, Frauenfeindlichkeit, Sexismus, Behindertenfeindlichkeit und Extremismen wie Rechtsextremismus, islamischer Extremismus, Linksextremismus sowie Hass und Hetze“ seien immer größer werdende Probleme, so der Regierungsentwurf. Zudem nähme „die Verbreitung von Verschwörungsideologien, Desinformation und Wissenschaftsleugnung […], aber auch Hass und Hetze im Internet sowie multiple Diskriminierungen und Bedrohungen immer weiter zu“.
Das Problem sind die Bürger
Im Regierungsentwurf wird an keiner einzigen Stelle gezeigt, dass die adressierten „demokratie- und menschenfeindlichen Phänomene“ tatsächlich zugenommen haben, noch wird eine Erklärung dafür geliefert, woran das liegen könnte. Stattdessen wird postuliert, dass eine Situation entstanden sei. „die eine zunehmende Bedrohung für die freiheitliche demokratische Grundordnung und den gesellschaftlichen Zusammenhalt“ darstelle. Es lasse „sich [eine] in Teilen der Gesellschaft verfestigende demokratiefeindliche und gegenüber staatlichen Institutionen ablehnende Haltung erkennen“. So steht schließlich der schlimme Verdacht im Raum, dass die Bürger nicht nur zu passiv sind, um der gesellschaftlichen Entwicklung eine positive Richtung zu geben, sondern dass sie selbst – oder zumindest ein relevanter Teil von ihnen – zu einem Problem für die Demokratie geworden sind.
Um einer fortgesetzten Erosion der Demokratie vorzubeugen und um den Trend umzukehren, setzt das Demokratiefördergesetz daher beim Bürger an. Die im Gesetz problematisierten Einstellungen seien nämlich inzwischen „leider auch in der Mitte der Gesellschaft“ vorzufinden. Mit Hilfe staatlicher und staatlich geförderter zivilgesellschaftlicher Initiativen sollen die vermeintlich bestehenden Defizite der Bürger durch politische Bildung und Teilhabe behoben werden. Zudem sollen sie widerstandsfähiger gegenüber demokratiefeindlichen Auffassungen werden.
Das Demokratiefördergesetz basiert auf der Annahme einer geistigen und moralischen Schwäche einfacher Bürger und ihrer politischen Verführbarkeit. Das gesamte Vorhaben der Demokratieförderung speist sich aus der Einschätzung, dass die große Masse der Wähler weder über die intellektuelle Reife verfügt noch moralisch hinreichend gefestigt ist, um etwa Desinformation nicht auf den Leim zu gehen oder sich von Extremisten nicht verleiten zu lassen. Die Bürger selbst gelten als Nährboden für die problematisierten Auffassungen, indem sie sich von dumpfen Parolen beeinflussen und verführen lassen.
Demokratie von oben
Im Bestreben, die Bürger vor vermeintlich demokratiegefährdenden Ansichten bestmöglich abzuschirmen, lanciert das Demokratiefördergesetz eine heftige Attacke auf die Meinungsfreiheit. Im Gesetzentwurf wird deutlich, dass es der Bundesregierung in erster Linie darum geht, Auffassungen und Meinungen abzuwehren, die etwa als rassistisch, extremistisch, leugnend, hassend oder hetzend gelten. Das wird jedoch verklausuliert, indem pauschalisierend von der Bekämpfung „demokratie- und menschenfeindlicher Phänomene“ die Rede ist.
Das Demokratiefördergesetz stellt einen tiefen Eingriff in die Meinungsfreiheit dar, denn es zielt darauf ab, Meinungen zu bekämpfen, die nicht in den Bereich von Straftaten fallen. Die Verbreitung rechtswidriger Inhalte wie zum Beispiel Volksverhetzung und öffentliche Aufforderung zu Straftaten oder sogar tätliche Angriffe sind nämlich nicht Gegenstand des Demokratiefördergesetzes. Diese strafrechtlich relevanten Äußerungen und Taten werden üblicherweise in erster Linie von staatlichen Organen verfolgt, geahndet und bestenfalls von diesen vereitelt.
Die demokratiefördernden Ambitionen der Bundesregierung liegen vielmehr darin, gewissermaßen das zivilgesellschaftliche Vorfeld zu bearbeiten. Bürger sollen durch Aufklärung resilienter werden und von gefährlichen Meinungen ferngehalten werden. Und hier liegt das zentrale Problem: Mit dem neuen Gesetz geht es ausschließlich um die Bekämpfung von Meinungen und Auffassungen, die unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Relevanz liegen und die aus gutem Grund vom Grundgesetz geschützt sind. Der grundgesetzliche Schutz der freien Meinungsäußerung wird durch das Demokratiefördergesetz, wie bereits seit 2017 durch das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), massiv untergraben.
Die so definierte Meinungsfreiheit steht mit dem Demokratiefördergesetz zur Disposition, denn es zielt explizit auf die Verdrängung aller Phänomene, die als demokratie- oder menschenfeindlich eingestuft werden können. So wird staatlichen und als förderungswürdig erachteten zivilgesellschaftlichen Initiativen die Rolle eines Lautsprechers zugedacht. Indem sie „die Stärkung und Förderung demokratischer Werte, demokratischer Kultur [und] demokratischen Bewusstseins“ übernehmen, sollen „Hass und Hetze“ weitestmöglich aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden. So soll eine Zivilgesellschaft geschaffen werden, die regierungsfreundliche Meinungen und Haltungen vertritt und auf die sich Medien und Politik wiederum beziehen und die sie referenzieren können.
Das Ergebnis ist eine staatlich sanktionierte Meinungsblase, die die öffentliche Meinung immer stärker prägt und dominiert. Für schädlich gehaltene Auffassungen werden aus dem öffentlichen Raum verdrängt und an dessen Ränder verbannt. Der suspekt gewordene Bürger wird schleichend seines demokratischen Einflusses beraubt, indem das institutionelle Gefüge der wehrhaften Demokratie immer weiter in den öffentlichen Raum hinein ausgebaut wird.
Mutige und tolerante Bürger
In einer fatalen Umkehrung des demokratischen Prinzips beabsichtigt die Bundesregierung mit dem Demokratiefördergesetz nicht etwa, den Einfluss der Bürger auf den gesellschaftlichen Meinungsbildungsprozess durch Förderung der öffentlichen Debatte und Kontroverse zu stärken, sondern ihn zu behindern. Mit der Etikettierung Andersdenkender als demokratie- und menschenfeindlich macht sie sich und die gesamte Öffentlichkeit im besten Fall zu Sklaven ihrer eigenen Meinung, da sie Anderen das Recht vorenthält, sich zu äußern. Im schlimmsten Fall geht es darum, oppositionelle Meinungen zu unterdrücken.
Frei zu denken erfordert auch, zu sagen und zu schreiben, was man selbst für richtig hält. Und es geht darum, die eigene Meinung auf die Probe zu stellen, indem Andere die Möglichkeit erhalten, die eigenen Auffassungen zu hören, zu prüfen und zu kritisieren. Von diesem Standpunkt aus betrachtet wird die Wahrheit durch unabhängiges Denken der Bürger entdeckt, die in offenen Debatten voneinander lernen. Die leichtfertige Ächtung und Unterdrückung unliebsamer Auffassungen behindert die unabhängige Meinungsbildung aller Bürger.
Meinungsfreiheit erfordert ein Höchstmaß an Toleranz. In diesem Sinn bedeutet Toleranz, jedwede politische Auffassung zuzulassen, auch wenn sie den eigenen Vorstellungen oder den vorherrschenden gesellschaftlichen Moral- und Wertmaßstäben widerspricht. Auch wenn sie einen abstößt und anwidert. Toleranz bedeutet jedoch nicht, diese Auffassungen mit respektvoller Gleichgültigkeit hinzunehmen, gar zu akzeptieren, sondern sie schließt die Möglichkeit oder gar Pflicht ein, durch eigene Meinungsäußerung den als falsch empfundenen Vorstellungen entgegenzutreten. Toleranz ohne Widerspruch ist Gleichgültigkeit.
Indem wir Toleranz üben, ermöglichen wir, dass auch solche Meinungen sicht- und hörbar werden, die wir ablehnen. Die freie Artikulation ist sogar ausdrücklich zu begrüßen, denn nur dann können Andere Idee und Argumentation verstehen, dieser zustimmen oder sie ablehnen, um sie dann selbst einer öffentlichen Kritik zu unterziehen. Das verlangt uns mehr ab als der einfache Weg der Diffamierung oder Unterdrückung durch Verbote. Aber es ist unabdingbar für mehr Meinungsfreiheit und Demokratie.
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