Der amerikanische Präsident George W. Bush besuchte am 23. Februar 2005 Mainz. Er war nicht willkommen – und für die Bewohner eine Qual. Es fehlte nicht viel, dann wäre im Dom scharf geschossen worden.
Die Bilder vom 24. Februar 2005 waren für die Mainzer ein Schlag ins Gesicht. Der amerikanische Präsident George W. Bush steht auf einem Platz in Bratislava und hält eine Rede. Tausende Menschen sind gekommen – erleben einen Präsidenten fast zum Anfassen. Nur einen Tag vorher war der selbe Bush in Mainz und stattete den Rheinhessen einen Polizeistaatsbesuch ab. Hundertschaften setzten für einen trostlosen Tag lang Grundrechte außer Kraft.
Die Sicherheitsbestimmungen sind irre: Bush soll mit der America One in Frankfurt landen. Ob er von dort mit dem Hubschrauber oder einer Limousine weiterreist, bleibt bis zur letzten Sekunde offen. Ebenso welchen Weg er mit der Limousine nehmen würde. Die deutschen Sicherheitskräfte räumen in Nebenbemerkungen ein, dass sie für diesen Tag nicht das Sagen haben. Die Amerikaner gehen rigoros vor: Sie lassen mehrere Autobahnen sperren, ebenso den Luftverkehr über Mainz und den Schiffsverkehr auf dem Rhein. Anwohner dürfen nur nach einer Ausweiskontrolle in ihre Wohnungen. Garagen müssen leer sein und werden versiegelt, Gullideckel zugeschweißt und Fenster mit Scharfschützen besetzt. Einen Bestatter fordern die Amerikaner auf, die Grabsteine zu entfernen, die an einem der möglichen Routen des Präsidenten stehen – sie könnten als Wurfgeschütze gegen Bush genutzt werden.
Der 23. Februar 2005 ist ein trister Tag. Auch äußerlich. Es ist kalt und dunkelt, es nieselt. Der Regen geht in Schnee über. Eine Präsenz von Uniformierten ist zu sehen, die nach der Besetzung kaum größer gewesen sein wird. Dutzende gepanzerte Wagen stehen am Flachsmarkt in einer Reihe. Auf der schneematschigen Wiese am Beginn der Kaiserstraße versammeln sich die Gegendemonstranten. 5.000 sind angekündigt. Angesichts des Wetters sind es deutlich weniger. Die Polizei droht ihnen an, wenn der Präsident sie zu Gesicht bekäme, würden sie rigoros durchgreifen. Ein Anwohner hängt ein Banner in sein Fenster. Herr Bush sei nicht willkommen. Eine Sturmeinheit bricht seine Wohnung auf, entfernt das Banner. Am 23. Februar 2005 ist der Rechtsstaat in Mainz aufgehoben – es herrscht der Polizeistaatsbesuch.
Bushs Frau Laura ist vorab angereist. Sie besichtigt die Sehenswürdigkeiten der Touristenstadt. Dabei kommt es im Dom fast zum Massaker. Dort fahren zu einer bestimmten Zeit die Orgelpfeifen heraus. Das hatten Bistum und Protokoll nicht bedacht. Als es passiert, greifen die Sicherheitskräften zu ihren Maschinengewehren. Es fehlt nicht viel und im Dom wird scharf geschossen.
Die Bilder aus Mainz waren trübe und traurig. Doch für Bush genau richtig. Sie zeigten seine politischen Gegner, die in einem trostlosen Land leben müssen – und sich dem amerikanischen Präsidenten unterwerfen. Wenn auch widerwillig, so doch lächelnd. Die jubelnde Menge einen Tag später im „Neuen Europa“ ergänzt die Bilder aus Sicht Bushs perfekt.
Den Mainzern bleibt ein denkwürdiger Tag. Schüler bekommen frei am 23. Februar 2003. Angesichts der Probleme mit der Anfahrt geben auch viele Behörden, Versicherungen oder Banken ihren Mitarbeitern frei. Die Stadt Mainz bietet einen zusätzlichen verkaufsoffenen Sonntag an, als Ausgleich für die Geschäfte, die zum Bush-Besuch sinnvoller Weise geschlossen bleiben. Nur wenige versuchen, an diesem Mittwoch die Geschäfte normal weiterlaufen zu lassen. Doch kaum ein Kunde kommt, traut sich in die vom Polizeistaatsbesuch dominierte Innenstadt.
Das führt zu seltenen Szenen. In einem Elektromarkt sind mehr Mitarbeiter als Kunden anwesend. Und müssen die sonst meist vergeblich nach Beratung Ausschau halten, steht plötzlich auf Nachfrage ein halbes Dutzend Berater um sie und erklärt, welche CD – die gibt es damals noch – von Joss Stone am besten sei. Es bleibt dennoch ein trostloser Tag.
Neun Monate später steigt im Kurfürstlichen Schloss wie jedes Jahr „Mainz bleibt Mainz“. Der Polizeistaatsbesuch ist wider Erwarten kein großes Thema mehr in der Fernseh-Fastnacht. Der Mainzer ist leidensfähig. George Bush schüttelt er ab, hat er schon vergessen. In der gut 400-jährigen Leidensgeschichte des Schlosses bleibt er nur eine Anekdote. Eine Randanekdote. Mit dem Schaden, den Napoleon Bonaparte angerichtet hat, kann der amerikanische Präsident ohnehin nicht mithalten.