Tichys Einblick
Politiker ins BVerfG

Alles Müller oder was oder: das Ende der Professoren

Mit ihrem Parlamentskollegen Stephan Harbarth rächt sich die CDU/CSU-Bundestagsfraktion am Bundesverfassungsgericht für das Lissabon-Urteil – geeignetere Kandidaten gingen leer aus.

© Getty Images

Stephan Harbarth, ein bislang weithin unbekannter CDU-Bundestagsabgeordneter, soll – jedenfalls nach dem Willen der CDU/CSU – nicht nur demnächst Bundesverfassungsrichter, sondern auch ab 2020 als Nachfolger Andreas Voßkuhles nächster Präsident des Bundesverfassungsgerichts werden. Diese Nachricht war für Verfassungsrechtler nicht überraschend, sie wurde eigentlich erwartet. Denn zu offensichtlich hatte sich die Politik, und zwar in Reaktion auf die Lissabon-Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von 2009, darauf festgelegt, die ungeliebten, oft gedanklich wie fachlich zu eigenständigen und wenig direkte Unterordnung gewohnten Professoren schrittweise durch ehemalige Berufspolitiker zu ersetzen.

Diese Entscheidung reifte freilich nicht über Nacht, man musste erstmal darauf kommen. Als die Politik die Lissabon-Entscheidung verstanden hatte – was etliche Stunden und Tage dauerte, man stand erst zu sehr unter dem Eindruck der seinerzeit sogar live im Fernsehen übertragenen Eingangsfloskel der Entscheidungsbegründung, „das Grundgesetz sagt ja zu Europa!“ – da ergriff sie ein großer Zorn auf den zweiten Senat des Bundeverfassungsgerichts, dessen Richter, den zuständigen Berichterstatter (Udi di Fabio – ein Professor!) und dessen Vorsitzenden, damals noch Vizepräsident Voßkuhle (ebenfalls ein Professor).

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Erste Überlegungen – sie wurden u.a. in Berlin auf einer Geheimkonferenz CDU-naher Staatsrechtslehrer ventiliert – gingen eher dahin, dem Bundesverfassungsgericht durch eine Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes die Zuständigkeit für europarechtsrelevante Fragen zu entziehen. Dadurch wäre dann der Zustand geschaffen, den namhafte Europarechtler – ausgestattet mit lukrativen Gutachtenaufträgen der Kommission und aller möglichen anderen europäischen Stellen – seit langem einfordern, natürlich nur aus reinster wissenschaftlicher Erkenntnis: nur noch Gerichte der EU sollten über die Zuständigkeiten der EU und deren Grenzen entscheiden können, denn sonst wäre es ja „verkehrte Welt“!

Der Plan einer entsprechenden Änderung des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes verlief jedoch im Sande. Denn es wurde klar, dass das Bundesverfassungsgericht bei der nächsten europarechtlich konnotierten Klage oder Verfassungsbeschwerde – etwa aus der Schmiede Gauweiler/Murswiek – dann eben über die eigene Zuständigkeit und damit dann implizit auch über die Verfassungsmäßigkeit der entsprechenden Beschneidungen seiner eigenen Prüfungskompetenz entscheiden würde. Fazit: jedenfalls durch eine Änderung des einfachen Bundesrechts war dem Bundesverfassungsgericht und seinen selbstbewußten Professoren offenbar nicht beizukommen.

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Auf den Gedanken, statt der Gesetze besser die Zusammensetzung des Richterkollegiums zu verändern, kam man zuerst nicht. Denn es galt eben bislang, dass die Richterstellen am Bundesverfassungsgericht zwar nicht unbedingt an noch so brilliante Quertreiber und Feuerköpfe zu vergeben waren, andererseits aber eben auch nicht zur unmittelbaren Verteilungsmasse der Politik gehörten, da man entweder Bundesrichter oder aber Universitätsprofessor sein musste, um Bundesverfassungsrichter werden zu können. Dabei ist allerdings nur ersteres Gesetz für 50% der Richterstellen, letzteres reine Gewohnheit. Gewohnheiten können die Bahnen des Denkens aber ungleich stärker prägen als Gesetze, die ohnehin nur selten einer liest – bis man eben eine Gewohnheit aufbricht.

Und das tat, ursprünglich zur großen Überraschung seiner politischen Freunde und Weggefährten, Peter Müller 2011. Nichtpromiviert, seit vielen Jahren Berufspolitiker und Ministerpräsident des Saarlandes, mit hervorragenden Ergebnissen in den juristischen Staatsexamen (was bei Politikern eher selten ist), und vier Jahren Berufserfahrung als Richter in seiner reiferen Jugendzeit, wollte er auf einmal Nachfolger Udo di Fabios beim Bundesverfassungsgericht werden – und wurde es.

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Heute ist er zuständig für Wahl- und Parteienrecht. Die Bundesregierung ist mit seiner Arbeit zufrieden. Nicht selten – etwa bei der 3-%-Hürde bei Wahlen zum Europaparlament, nachdem die 5-%-Klausel schon abgeschafft werden musste – kann er sich in die Bedürfnisse der etablierten Parteien besser einfühlen als jeder Hochschullehrer. Und die Neuerung, auch Richterstellen beim Bundesverfassungsgericht an verdiente ehemalige Parteipolitiker vergeben zu können, kam dem Umstand entgegen, dass die Politik immer nach Stellen Ausschau hält, die eben als Belohnung für Loyalität vergeben werden können, und die Richterstellen beim Bundesverfassungsgericht gehörten bislang noch nicht dazu. Das ändert sich gerade.

Ja, wenn man doch alle EU- und vielleicht auch anderweitig skeptischen Udo Di Fabios oder auch Peter Michael Hubers (der, wie man hört, manches im Rahmen der „Flüchtlingskrise“ nicht völlig kritiklos sehen soll) durch einen politisch bewährten Müller ersetzen könnte! Dachte sich die Politik. Und entschloss dann, dies einfach mal zu versuchen. Und deswegen hatten diesmal so hervorragend geeignete Professoren-Kandidaten aus dem gemäßigten CDU-Beritt wie Frank Schorkopf, Christian Waldhoff oder auch Angelika Nußberger (die heißersehnte Lieblingskandidatin des Gerichts selber, die sich die Politik aber schon allein deswegen nicht vorschreiben ließ) keine Chance. Sondern der langjährige Bundestagsabgeordnete und Innenstaatssekretär Günther Krings aus Mönchengladbach, immerhin Kölner Honorarprofessor, sollte es werden. Der wurde es dann aber doch nicht, er war am Ende zu „rechts“, was immer das heute heißen mag. Deshalb wurde es dann Harbarth, der Wunschkandidat der Bundeskanzlerin, wie man hört. Anders nämlich als Krings. Nur: ob er wirklich auch erst Vizepräsident und später Präsident des Gerichts wird, das ist noch nicht entschieden. Zum Bundesverfassungsrichter wählt ihn der Bundestag, zum Vizepräsidenten jedoch erst danach der Bundesrat. Und hier sollen die Grünen noch Vorbehalte haben.

Vielleicht ist genau dies – also die Notwendigkeit, ausgerechnet die Grünen zu überzeugen, um nicht nur Richter beim Bundesverfassungsgericht, sondern auch dessen Präsident werden zu können – auch der Grund, dass Stephan Harbarth sich dieser Tage als Wortführer – um nicht zu sagen Reklameredner – der CDU/CSU-Fraktion für den Beitritt zum Global Compact for Safe, Orderly and Regular Migration“ (GRC) hervortut. Besonders kundig wirkt er dabei zumal aus völkerrechtlicher Sicht nicht. Aber wenn dies das entscheidende Kriterium wäre, hätte es ohnehin Frau Nußberger, Schorkopf oder eben Waldhoff werden müssen.


Ulrich Vosgerau ist Privatdozent für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht sowie Rechtsphilosophie an der Universität Köln.

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