Der studierte Sozialwissenschaftler und Jurist Ali Ertan Toprak ist kurdischer Abstammung und wurde in der Türkei geboren. Da Toprak bereits im Alter von zwei Jahren nach Deutschland gekommen ist, kann man ohne Zweifel sagen, dass er hierzulande sozialisiert wurde, seine Wurzeln und Herkunft nie leugnete, warum auch? Ali Ertan Toprak kann man als neuen deutschen Europäer bezeichnen, der auch ein Stück weit stolz auf die Errungenschaften dieses Deutschlands ist, der Emanzipation, dem Freiheitsgedanken sowie der Liberalität und der Selbstbestimmung. Das alles jedoch, sagte Toprak in seiner recht emotionalen Rede an der Ludwigsburger Hochschule für Verwaltung und Finanzen (bekannt auch für Fakultätsübergreifende Veranstaltungen) sei „absolut in Gefahr“.
Die anwesenden Integrationsbeauftragten und Integrationshelfer, einige Ehrenamtliche waren auch dabei, wurden richtig gepackt, ging es doch um das Thema „Parallelgesellschaften und die Herausforderungen für die Kommunen“. Drei Jahre nach Ankunft zahlreicher, großteils männlicher Zuwanderer aus muslimischen Kulturkreisen, in einer Phase, in der die Integration gestemmt werden soll und in welcher die große „Willkommens-Euphorie“ quasi verflogen ist. Auch das „Ehrenamt“ bröckelt sukzessive immer mehr weg.
Toprak, der ähnlich wie unser TE-Kollege und -Autor Oswald Metzger, sehr lange bei den Grünen seine politische Heimat fand, wechselte genauso wie Metzger zur CDU. Was ein Indiz dafür ist, ein Partei-Mitglied an sich bleibt seinen Prinzipien und Überzeugungen meist treu – es sind vielmehr die Parteien und deren Mandatsträger, die sich verändern. Toprak fungierte gar ein paar Jahre als innen- wie außenpolitischer Referent für Cem Özdemir zu dessen Bundestagszeiten. Sechs Jahre lang, bis 2012, war Ali Ertan Toprak Teilnehmer der Islamkonferenz.
Schnell galt Toprak bei der Rot-Grünen-Regierung als einer der größten Kritiker der eigenen Integrationspolitik. In einem Interview mit der Tageszeitung „Die Welt“ anno 2011, warf er der SPD und den Grünen wegen deren Zusammenarbeit mit einem Muslimverband für den Religionsunterricht vor, sich zu „Gehilfen des türkischen Ministerpräsidenten“ zu machen. Toprak machte auf die Verfolgung der Aleviten durch sunnitische Islamisten aufmerksam. Im Jahr 2014 folgte dann also der Wechsel zur CDU, wo er auch der „Zukunftskommission“ in der Partei angehört.
In Ludwigsburg beschrieb Toprak das (fast) devote Verhältnis Deutschlands zu Erdogan, und wie die politische Strategie ins Leere laufe. Denn, so Toprak: „Nur unsere Beschwichtigungspolitik in den Außenbeziehungen, hat Erdogan in den
letzten Jahren erst stark gemacht“, und genauso verhalte es sich auch „mit unserem Appeasement gegenüber den politischen Islam in der Innenpolitik“. Wer jetzt weiter wegschaue, gefährde den gesellschaftlichen Frieden, und überlasse Teile der Gesellschaft einer „Allianz türkischer Faschisten und Islamisten, die aus ihrer Gesinnung keinen Hehl machen.“
Heute wissen wir, dass der Fall Mesut Özil Erdogan in die Karten gespielt hat. Toprak hatte die Strategie Erdogans bereits davor angesprochen: „Die gleichgeschalteten türkischen Medien propagieren tagtäglich, dass die Deutsch-Türken in Deutschland vom deutschen Staat drangsaliert werden, dass sie Opfer einer Assimilierungspolitik und einer steigenden Islamophobie sind.“
Mucksmäuschenstill wurde es im Saal, die Zuhörer blickten untereinander stumm an, manche nickten still. So, als hätten es viele der Anwesenden geahnt, teils auch aus persönlichen Erfahrungen durch Arbeit an der Basis (seit 2015, der Autor) resultierend. Toprak sprach es aus:
„Parallelgesellschaft war, wenn überhaupt, gestern. Heute müssen wir leider von
Gegengesellschaft sprechen. Also eine Gemeinschaft, von dem Aufnahmeland ablehnend gegenüberstehenden Menschen, die aktiv und aggressiv gegen unsere Werte und unsere freie Gesellschaft agieren.“
Weiter lauschten die Teilnehmer sehr gebannt, einige machten sich Notizen, Toprak fuhr sachlich, aber bestimmt fort:
»Wir haben uns in den letzten Jahren ausgiebig mit der deutschen Pegida beschäftigt. Über dieses Phänomen wird leider aber etwas übersehen: Es gibt in Deutschland längst auch eine Art türkische Pegida, ein türkisches Gegenstück mit ganz ähnlicher Gesinnung …“, nur sei eben diese deutlich mächtiger und gefährlicher als die deutsche. Warum? „Weil die türkische „Pegida“ einen ganzen Staat als Unterstützer im Rücken hat und viel offensiver mit Gewalt umgeht.«
Weil dies immer noch viele Leute zum Beispiel im gesamten (linksliberalen) Regierungslager, nicht wahrhaben möchten: sehr viele deutsch-türkische Mitbürger fühlten sich hierzulande bereits verängstigt und werden bedroht und eingeschüchtert.
Toprak: „Über Jahre hinweg wurden in Deutschland Strukturen aufgebaut, die ein einziges Ziel verfolgen. Sie sollen hiesige Gegner der türkischen Regierungspartei AKP bekämpfen und für den nationalistisch-islamistischen Kurs in der Türkei werben.“
Und, so fügte Toprak hinzu, es gäbe natürlich gravierende Unterschiede zur deutschen Pegida: „Die Erdogan-Lobby Organisation UETD agiert mit Rückendeckung einer Regierung, die den türkischen Staat für die Parteiarbeit missbraucht …“, das könne man von Lutz Bachmann und seinen Freunden nicht sagen. Zudem genießen die türkischen „Pegidisten“, echte Nationalisten, sogar den den Rückenwind der türkischen Medien, so Toprak weiter.
Und die Anhänger skandierten immer: „Wir sind Deutschland!“, Toprak sieht das ganz klar als Kampfansage der „Gegengesellschaft“. Die Botschaft, die dabei mitschwingt, lautet „Nicht Ihr Deutschen seid länger dieses Land …“. Auf der anderen Seite die zigtausenden Zuwanderer, der Großteil muslimisch geprägte Männer aus dem arabischen und afrikanischen Raum.
Nichtsdestotrotz, verzagen gilt nicht, die moderaten und liberalen Kräfte müssen gestärkt und gut integriert werden. Jeden, der Mitglied „unserer Gesellschaft werden will, müssen wir unsere Erwartungen unmissverständlich wissen lassen“ und jeden, der diese Erwartungen erfülle, auch als ein „vollwertiges Mitglied unserer Gemeinschaft anerkennen.“ (In etwa auch Salvinis und Contes Worte und Bestrebungen in Italien).
Und als Rat für die Flüchtlingshelfer und Integrationsmanager an der Basis? Welchen Tipp hat Ali Ertan Toprak für sie, die mit den Menschen zu tun haben, die ganz anders sozialisiert wurden und mit dem Regelwerk des Islams oft ganz andere Rechtsauslegungen ableiten? Toprak kurz und bündig: „Immer diejenigen stärken, die sich integrieren möchten, und den anderen immer und immer wieder unsere Gesetze und Verfassung erklären!“
Denn eines ist klar, „Wer nicht den Mut“ aufbringe, mit „Leidenschaft“ und aller Profession, seine freiheitlichen Werte zu verteidigen, der könne gegen den „kämpferischen, politischen Islam“ auf Sicht nur verlieren. Integration der Muslime kann gelingen. Dazu aber bedürfe es eines selbstbewussten Landes, das seine Werte und Freiheit stets hochhält. Alles „machohafte und reaktionäre“ müsse spürbar sanktioniert werden. Sind wir das denn nicht, ein selbstbewusstes Land?, riefen wir Toprak hinterher, sein nächster Termin wartete, und Toprak verabschiedete sich mit dem Satz: „Es gibt noch viel zu verbessern …“
Giovanni Deriu, Dipl. Sozialpädagoge, Freier Journalist. Seit 20 Jahren in der (interkulturellen) Erwachsenenbildung tätig.