Der CDU-Politiker Ali Ertan Toprak ist bekannt für seine Kritik an rot-grüner Politik bezüglich Integration und Islamismus. Er selbst trat aus der Partei BÜNDIS 90/ DIE GRÜNEN wegen derer unkritischen Haltung aus, und weil sie Migranten in erster Linie als Opfer sehen. Toprak ist einer der wichtigsten Stimmen gegen islamistische Strukturen in Deutschland. Frankreich und Österreich schlagen nach den neusten islamistischen Anschlägen eine Wendepolitik ein. Auch in Deutschland tut sich was: Es erheben sich nun deutlich mehr kritische Stimmen – vor allem aus dem linken Spektrum, welches eher dafür bekannt ist, dem politischen Islam in die Hände zu spielen statt ihn zu bekämpfen.
Zara Riffler: Herr Toprak, Sie kritisieren seit Jahrzehnten viele politische Fehler – von umstrittenen Kooperationspartnern für den Islam-Unterricht über verbreitete Propaganda in Moscheen bis zu Unterwanderungen von Parteien und Institutionen seitens Islamisten sowie Erdogan-Lobbyisten. Nach der islamistischen Terrortat an Samuel Paty ereigneten sich auch in Deutschland Proteste gegen den Lehrer Paty, Präsident Macron und Mohammed-Karikaturen. Zu den Protesten rufen unter anderem islamistische Gruppen auf, unter den Protestierern befinden sich radikale Muslime. Zeigen diese Proteste nun Konsequenzen dieser Fehler?
Ali Ertan Toprak: Ja, in der Tat baden wir jetzt die Fehler der Vergangenheit aus. Wir weigern uns bis heute den Krieg zu realisieren, den der politische Islam schon seit Jahren gegen alles, was den Westen ausmacht, führt. Wenn ich von Krieg spreche, dann meine ich vor allem den ideologischen Krieg, den der politische Islam nicht nur mit Gewalt, sondern mit legalistischen Mitteln gegen uns führt. Sie haben die Gunst der Stunde ergriffen und wollen uns mit unseren eigenen demokratischen Werten und humanistischen Errungenschaften schlagen – wie die der Religionsfreiheit, des Minderheitenschutzes oder des Antifaschismus.
Juso-Chef Kevin Kühnert rief die politische Linke dazu auf, ihr Schweigen zum Islamismus zu beenden. Der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck plädierte innerhalb seiner eigenen Partei für eine deutliche Haltung zu Islamismus und legte einen Elf-Punkte-Plan vor. Erleben wir hier eine Wende im politisch linken Spektrum?
Wende ist ein zu großes Wort, nur weil zwei bekannte Akteure aus dem Spektrum der Linken sich zu Wort gemeldet haben. Aber es ist wichtig, dass sich überhaupt zwei sehr bekannte Politiker aus diesem Spektrum endlich zu Wort gemeldet haben. Meine Hoffnung ist, dass die Linke aus dem selbstverordneten Winterschlaf zu diesem Thema erwacht und wirklich ihrem emanzipatorischen Anliegen gerecht wird, indem sie von links aus die islamistische Ideologie bekämpft, welche die größte Bedrohung für alle emanzipatorischen Errungenschaften der liberalen, offenen Gesellschaften darstellt.
Sie haben oft erklärt, dass die Ideologie des Multikulturalismus dazu führe, dass Islamkritik bei Grünen und Linksliberalen tabu sei. Bröckeln hier nun Weltbilder? Oder sind das bloß unausweichliche Bekenntnisse anlässlich der Terroranschläge?
Zunächst zu meiner Kritik an einer Tabuisierungskultur: An die Stelle fundierter Islamkritik ist vielerorts eine selbstkasteiende Appeasement-Politik gegenüber den reaktionären Islamverbänden getreten. Allein schon, wer den politischen Islam als eine frauenfeindliche, dogmatische und rassistische Ideologie mit tödlichen Folgen für Andersdenkende verortet, wird besonders von linksliberalen Kreisen der „Islamophobie“ und des Rassismus beschuldigt. Dabei galt Religionskritik seit der Aufklärung doch als Selbstverständlichkeit. Eine sich politisch links verortende Relativierungs- und Tabuisierungskultur, die dazu auffordert, den Islam ausschließlich als Bereicherung der „pluralen Republik“ Deutschland anzusehen, belässt die zugewanderten Muslime in einem unreflektierten Identitätsgefängnis aus Religion, Tradition und antiemanzipatorischen Reflexen.
Die nächste Zeit wird es zeigen, ob die Wortmeldungen von Kühnert und Habeck bloß unausweichliche Bekenntnisse anlässlich der Terroranschläge sind oder eine wirkliche selbstkritische Änderung der eigenen Weltbilder vollzogen wird. Es ist noch zu früh, das jetzt endgültig beurteilen zu können. Aber ich stehe weiterhin zu meiner Kritik, solange den Worten keine glaubwürdigen Taten folgen. Zugleich spüre ich, dass in der Basis der linken Parteien sich auch der Druck erhöht, dass hier eine Politikveränderung stattfindet. Ich bekomme gerade viel Unterstützung und Applaus von der Basis dieser Parteien und es kommt auch zu parteiübergreifenden Zusammenschlüssen von säkularen Kräften.
Kühnert sagte im Spiegel-Interview, dass „neben wenigen Stimmen der ehrlichen Empathie“ sich bislang „vor allem einige Rechtsaußen zu Wort“ meldeten, die dem linken Lager vorwerfen, es „würde insgeheim mit Islamisten kuscheln“. Er hinterließ damit den Eindruck, dass Islamkritik und Kritik an Parteien des linken Spektrums bezüglich dessen größtenteils von „Rechtsaußen“ komme. Dies ist eine im linken Spektrum weitverbreitete Ansicht, die Islamkritik bis heute erschwert. Oft wurden Begriffe wie „islamophob“ von der politischen Linken benutzt, die Kampfbegriffe der Islamisten sind. Wie ernst kann man angesichts dessen solche Kritik wie Kühnerts nehmen? Kann man darauf hoffen, dass im linken Spektrum der Widerstand gegen Islamkritik sinkt sowie weniger als „rechts“ gebrandmarkt wird?
Selbst für den aufkeimenden, türkischen Nationalislamismus wollte man in erster Linie Deutschland verantwortlich machen. Was ist das für eine absurde Selbstgeißelung? Hier gewährt man rechtsradikalen und radikal-islamischen Migranten einen „kultursensiblen“ Rabatt. Man spricht ihnen die Selbstverantwortung und eine eigene politische Positionierung ab. Ich mache mir bisweilen einen Spaß daraus, diese Betrachtungsweise ironisch als einen „linken Rassismus“ zu bezeichnen: Wer Migranten nur als Opfer und sich selbst ausschließlich als deren Anwälte sieht, begegnet ihnen von oben herab. Die politische Linke diskriminiert Migranten, spricht ihnen die Fähigkeit zur politischen Meinungsäußerung ab – und erklärt im gleichen Atemzug, Diskriminierung und Fremdbestimmung bekämpfen zu wollen.
Der Zentralrat der Muslime (ZMD) organisierte 2015 anlässlich der Pariser Anschläge eine Mahnwache. Sogar Angela Merkel, der damalige Bundespräsident Joachim Gauk sowie Spitzenvertreter aller Parteien kamen. In einem Welt-Interview fragten Sie: „Wissen die deutschen Parteien, mit wem sie am Dienstag demonstrieren?“, und unterstrichen die Nähe des ZMD zur islamistischen Muslimbruderschaft und den rechtsextremen Grauen Wölfen. Nun hat der ZMD wieder zu einer Mahnwache aufgrund des Anschlags in Wien aufgerufen. Es kamen Vertreter der Grünen, der SPD und der Linken – darunter Claudia Roth, Saskia Esken, Ralf Wieland und Christiane Buchholz. Auf der einen Seite wird Kritik an Islamismus von diesen Parteien lauter, auf der anderen Seite begehen jene dieselben Fehler. Woran liegt das?
Genau an diesem Beispiel sieht man, dass wir noch lange Zeit dicke Bretter bohren werden müssen. Die Linken kritisieren zwar den terroristischen Islamismus, aber was ist die Strategie gegen den legalistischen Islamismus? Dieser Frage wird nicht nur ausgewichen. Nein, man hofiert weiterhin den legalistischen Islamismus. Der Versuch, den politischen Islam reflexartig zu verteidigen und Anti-Demokraten hoffähig zu machen, hat uns gesamtgesellschaftlich viele Jahre gekostet. Vor allem weil linksliberale politische Kräfte keine Antworten haben und in diesem Punkt ideologisch verblendet sind: Muslime, Migranten sind immer Opfer, immer. Die Gefahr geht doch aber nicht nur von denen aus, die gewalttätig sind, sondern von allen denen, welche die freiheitlich-demokratische Grundordnung ablehnen.
Legalistische Islamisten, die sich in Politik und Gesellschaft engagieren, wie etwa islamistische Mitglieder der Islam-Verbände, werden nicht als politische Extremisten wahrgenommen – als Beispiel sei hier die Debatte über die umstrittene Beobachtung der Islamischen Gemeinschaft Milli-Görüs genannt. Bei einer Beschränkung auf gewaltbereite Gruppierungen gerät die ideologische Rechtfertigung der Gewalt aus dem Blick, die der politische Islam liefert. Diese politisch-extremistischen, nicht gewalttätigen Gruppen haben alle das Ziel, eine islamische Ordnung zu errichten, indem sie aktiv Integration verhindern, die westlichen Gesellschaften in „Gläubige“ und „Ungläubige“ spalten, Gleichberechtigung und Religionsfreiheit ablehnen und muslimische Jugendliche westlichen Gesellschaften entfremden. Sie nutzen demokratische Strukturen, um die Demokratie auszuhöhlen und durch Errichtung von „Gegengesellschaften“ – hier von Parallelgesellschaften zu sprechen, wäre verharmlosend – letztlich abzuschaffen.
Jahrelang wurde jegliche Kritik am politischen Islam unisono als „Islamophobie“, „Fremdenfeindlich“, oder wahlweise „antimuslimischer Rassismus“ – ein besonders drolliger Kampfbegriff von Islamisten, der von Linken kritiklos übernommen wurde – diskreditiert. Dafür, dass jetzt die vermeintliche Erleuchtung erfolgt ist, mussten buchstäblich viele Köpfe von unschuldigen Menschen rollen.
Neben der Kritik am Islamismus – was denken Sie, was politisch unternommen werden muss, damit auch eine Wendepolitik in Deutschland erfolgt?
Vor kurzem veröffentlichte ich mit anderen Mitstreitern in der Welt einen Text mit fünf Forderungen, die unbedingt notwendig sind, um den Islamismus umfassend zu bekämpfen. Wir möchten, dass Muslime volle Religionsfreiheit genießen, sind es aber gerade den vielen muslimischen Befürwortern von Demokratie und Freiheitsrechten schuldig, den politischen Islam als Extremismus beim Namen zu nennen. Wir fordern als erste Schritte:
1. Wissenschaftliche Grundlagenforschung zum politischen Islam, darunter eine Schulstudie über die Erfahrungen und Probleme von Lehrern mit islamistischen Einflüssen
2. Die Einrichtung einer Dokumentationsstelle „Politischer Islam“ nach österreichischem Vorbild, in welcher die Strukturen, Strategien und Finanzierungen des politischen Islams analysiert und offengelegt werden
3. Die Errichtung von zehn Lehrstühlen zur Erforschung der Strukturen des politischen Islam in Deutschland
4. Die Beendigung von Kooperationen und Vertragsbeziehungen staatlicher und politischer Institutionen mit Vertretern und Organisationen des politischen Islam
5. Die Einrichtung eines Expertenkreises „Politischer Islam“ im Bundesinnenministerium, der auf Grundlage der Erkenntnisse von Wissenschaft und Verfassungsschutzämtern Empfehlungen im Kampf gegen den politischen Islam erarbeitet und der Bundesregierung regelmäßig berichtet
Sie machen seit über 30 Jahren auf die Grauen Wölfe aufmerksam. Auch gibt es nicht erst seit den letzten Anschlägen in Frankreich und Österreich die Forderung eines Verbots. Beispielsweise forderte ihr CDU-Kollege Christoph de Vries dies 2018. Können Sie erklären, weshalb jetzt erst die Grauen Wölfe voraussichtlich verboten werden? Was lief vorher schief oder anders?
Das hat den Hintergrund, dass der türkische Staat mit der großen Anzahl der türkisch-stämmigen Menschen hier den deutschen Staat immer wieder versucht einzuschüchtern. Und das klappt. Mit Zahlen wird Politik gemacht. In den öffentlichen Debatten wird jedesmal die angebliche Zahl von „drei Millionen Türken“ herangeführt, als ob alle Menschen aus der Türkei ein monolithischer Einheitsblock wären. Mitnichten ist das eine homogene Gruppe, die treu der türkischen Staatspolitik folgen. Mindestens ein Drittel davon sind kurdisch-stämmige Menschen, 600-800 000 Menschen sind Aleviten und es sind noch viele andere Minderheiten wie christliche Assyrer/Aramäer, Armenier, Eziden etc. aus der Türkei nach Deutschland gekommen – nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen, sondern weil Deutschland für sie ein Ort der Freiheit ist. Deutsche Politik möchte weder die Türkei ärgern, noch Unruhe in die türkisch-stämmige Community bringen.
Sie sind ebenfalls dafür bekannt, sich gegen Lobbyismus zustellen. Nicht nur die Grünen oder die SPD sind unterwandert, auch innerhalb der CDU befinden sich Lobbyisten. Der Duisburger CDU-Politiker Sevket Avci wurde als Grauer Wolf und Erdogan-Lobbyist enttarnt. Dennoch hält die CDU an ihn fest, er durfte sogar bei der NRW-Kommunalwahl antreten. Hat ein Verbot der Grauen Wölfe Konsequenzen für Lobbyisten wie Avci oder werden solche Personen weiterhin ihre Ämter behalten können?
In der Tat ist das mehr als ärgerlich, dass ausgerechnet die CDU einem türkischen Rechtsradikalen einen Mandat verschafft. Ich habe das ja selbst mehrfach öffentlich kritisiert. Das kann ich mir nur mit der lokalen Gegebenheit und einem Beziehungsgeflecht innerhalb der CDU in Duisburg erklären. Nichtsdestotrotz zeigt es, dass wir in der CDU so schnell wie möglich einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit Extremisten verabschieden müssen, damit sich das in Zukunft nicht wiederholt. Insofern war es ein riesengroßer Fehler, dass die CDU-Führung in NRW genau das in der Vergangenheit verhindert hat. Das rächt sich jetzt.
Der Gelsenkirchener Bundestagsabgeordnete Oliver Wittke (CDU) ist ebenfalls in AKP-Lobbyismus verwickelt. Was halten Sie davon, dass die CDU-Gelsenkirchen gegenüber Öffentlichkeit und Presse zu der Causa Wittke – besonders in diesen Zeiten – schweigt?
Ich kann das als CDU-Mitglied nur als parteischädigendes Verhalten werten. Die CDU ist eine Partei der freiheitlich-demokratischen Werte und der Rechtsstaatlichkeit. Wenn wir unsere Glaubwürdigkeit, unsere Werte und unser Selbstverständnis ernst nehmen, dann dürfen wir das in unseren Reihen nicht tolerieren. Weder für türkische Rechtsextremisten, noch Lobbyismus für einen Unrechtsstaat, wie die Türkei es leider unter Erdogan ist, darf es in der CDU einen Platz geben.
Auch die Grünen in Bielefeld halten an einem Milli-Görüs-Funktionär fest, der ebenfalls trotz Kritik aus den eigenen Reihen kandidieren durfte. Ist es zu erwarten, dass die Grünen als Partei stärker den Islamismus kritisieren, doch weiterhin innerhalb der Parteien mutmaßliche Islamisten schützen?
Leider scheinen die Grünen in Bielefeld und Umgebung von diesen Dingen keine Ahnung zu haben, oder sie blenden all das aus ideologischen und opportunistischen Gründen aus. Das Problem aller demokratischen Parteien besteht darin, dass sie kaum bis gar nicht den Islam kennen – was sie auch selbst wissen -, und von daher jeden Konflikt mit den orthodoxen Verbänden und Moscheen scheuen. Hinzu kommt die Angst, mit Kritik am politischen Islam in einen Topf mit Rechtspopulisten geworfen zu werden.
Dass die Bielefelder Grünen an diesem Punkt nicht erkennen, dass sie hier ein hausgemachtes Problem haben, indem sie einen IGMG-Verteter über Jahre hinweg aufgebaut haben, spricht einerseits für eine Naivität und Unkenntnis des politischen Islams, seiner Strategie und Absichten, andererseits für eine halbherzige Einstellung zur Integrationspolitik, mit der sie sich gerne schmücken und für Opportunismus.
Sie standen schon öfters demonstrierend vor der Blauen Moschee in Hamburg – ja hatten sogar Strafantrag gegen das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) gestellt. Das IZH gilt als wichtigste Vertretung und Propagandaeinrichtung des iranischen Regimes in Europa. Entgegen neuer Welt-Recherchen gaben im September die SPD und die Mehrheit der Hamburger Grünen-Fraktion kund, dass sie an den Staatsverträgen festhalten. Wird sich diese Situation aufgrund der aufkommenden Islamismuskritik von Grünen und SPD ändern?
Bei der jetzigen rot-grünen Regierungskoalition in Hamburg habe ich keine Hoffnung, sie verteidigen diese Verträge mit den Scharia-Verbänden schon seit Jahren mit einer solchen Vehemenz, Selbstherrlichkeit und Innbrunst, dass dieses Verhalten einer totalen Realitätsweigerung gleichkommt.
Vor kurzem wurden Sie, der Türkei-Experte Burak Çopur und der Jurist Mehmet Kilic in die Deutsch-Türkische Parlamentariergruppe des Deutschen Bundestages von der Politikern Sevim Dagdelen (Die Linke) eingeladen. Das Thema war „Wie können Erdogan-Kritiker geschützt und das Erdogan-Netzwerk in Deutschland effektiv bekämpft werden“. Wie ist der Umgang deutscher Politik mit der Bedrohungssituation für Erdogan-Kritiker?
Deutschland kann nicht einerseits von den Migranten die Identifizierung mit unseren Werten und seinen demokratischen Institutionen einfordern und dann diejenigen, die genau das tun, im Regen stehen lassen. Es war noch nie so einfach, mit einer klaren Haltung für Frieden, Menschenrechte und Demokratie als Terrorist stigmatisiert und verfolgt zu werden. Uns dreien und vielen Zehntausenden anderen Menschen türkischer und kurdischer Herkunft ist es seit Jahren nicht möglich, in die Türkei zu reisen und Verwandte zu besuchen, ohne Leib und Leben zu gefährden. Millionen Menschen in der Türkei sowie Hunderttausende Menschen in Deutschland sind darüber enttäuscht, mit welcher Gelassenheit und sogar punktueller Unterstützung Europa auf den Aufbau einer Präsidialdiktatur in der Türkei reagiert hat. Die Zerschlagung der Opposition durch die jüngste Verhaftungswelle gegenüber gewählten HDP Politikern war der Bundesregierung leider kaum ein Statement wert.
Werden Kritiker dem Einfluss Erdogans in Deutschland ausgeliefert?
Erdogan verachtet den Westen und westliche Werte. Er sagt das offen bei jeder Gelegenheit. Er baut an einer nationalistisch-islamistischen Antwort, die er mit seinen Auslandsorganisationen und ihren Strukturen in jeden Winkel Deutschlands und Europas zu verbreiten versucht. Auch die Moscheen und angegliederte Koranschulen vergiften ihre Gemeindemitglieder und unsere Jugend mit dem Gift der nationalistisch-religiösen Segregation. Man arbeitet hier nicht an einer Integration, noch nicht einmal an einer Parallelgesellschaft sondern ganz offenkundig an einer Gegengesellschaft.
Was waren die Forderungen von Ihnen, Çopur und Kilic?
Wir müssen uns mit allen Menschen solidarisieren, die täglich Anfeindungen und Bedrohungen ausgesetzt sind, weil sie ihre Meinung vertreten. Es darf nicht sein, dass autokratische Staaten versuchen, unsere Meinungsfreiheit dadurch einzuschränken, dass sie Wissenschaftler, Menschenrechtler, oder Aktivisten und ihre Familien bedrohen und damit mundtot machen wollen. Unsere Forderungen sind deshalb:
- Wir brauchen Schutz und politische Rückendeckung.
- Radikale Erdogan Anhänger, die hier Andersdenkende denunzieren und bedrohen müssen ausgewiesen werden.
- Wirtschaftliche Sanktionen und Beendigung der militärischen Aufrüstung der Türkei.