Tichys Einblick
9. Aktionstag gegen Hassrede

Regieren durch Angst: Wenn Denunziation und Razzien zum Alltag werden

Immer häufiger greift der Staat im großen Stil durch. Nach Razzien gegen Reichsbürger und Letzte Generation stand nun wieder ein Aktionstag gegen Hassrede an. Das äußerste Mittel der Exekutive ist schon längst zum politischen Herrschaftsinstrument der Angst geworden.

Symbolbild

© Getty Images

Am 14. Juni fand der mittlerweile 9. Aktionstag gegen Hassrede statt. Bundesweit drangen Polizisten in Wohnungen von Bürgern, denen man vorwirft gegen den Gummiparagraphen der Hassrede verstoßen zu haben und deren Handys und Laptops beschlagnahmt wurden. Wer schuldig befunden wird, darf dafür mit bis zu fünf Jahren Haft rechnen.

Über 130 polizeiliche Maßnahmen im gesamten Bundesgebiet wurden vom Bundeskriminalamt (BKA) koordiniert, eine Zunahme von fast 50% gegenüber den ungefähr 90 Maßnahmen, die im Schnitt bei den Aktionstagen der letzten Jahre durchgeführt wurden. Dies erklärt das BKA allerdings durch die Zunahme gemeldeter Hassverbrechen in den letzten Jahren. Laut BKA verzeichnete man einen Anstieg um 40,85% von 2021 auf 2022. Im Vorjahr wurde zwar ein Rückgang der Zahlen verkündet, das BKA sah diesen aber keineswegs als Grund zur Freude, denn die darauf folgenden Erklärungen lesen sich seit Jahren gleich: Viele strafrechtlich relevante Posts würden nicht angezeigt, nur den Netzwerkbetreibern gemeldet oder in geschlossenen Foren und Diskussionsgruppen geäußert. Dazu spricht das BKA von hohen Dunkelziffern, die natürlich weder angezweifelt noch bewiesen werden können. Mit anderen Worten: Egal ob mehr oder weniger Hassverbrechen registriert werden, die Gefahr ist immer und überall da draußen. Da ist es umso wichtiger, dass das BKA immer wieder mal durchgreift.

Natürlich könnte man aber auch darüber mutmaßen, dass die Zunahme der registrierten Hassverbrechen mit dem Ausbau der Denunziationsinfrastruktur einhergeht. Während das BKA bereits in der Vergangenheit dazu aufrief, sogenannte Hasspostings bei der Polizei anzuzeigen, bzw. bei den Betreibern sozialer Netzwerke zu melden, so werfen die, wie Pilze aus dem Boden sprießenden Denunziationsstellen, wie „Hessen gegen Hetze“ und „REspect!“, langsam Früchte ab. Die von Steuergeldern finanzierten Meldestellen machen Denunziation leicht und bieten, wie im Falle von REspect!, sogar eine graphische Darstellung ihrer Erfolge: Von den über 35000 Meldungen führten über 5000 zu Anzeigen. Da freut sich, laut Eigenauskunft, das bunte Team der Meldestelle, deren Webauftritt einen typisch kindischen Erklärbär-Charme ausstrahlt, der verdunkeln soll, dass hinter dem Regenbogen der (nicht so) sanfte Totalitarismus lauert.

Denn wer Denunziation fördert und immer wieder zu ihr aufruft und parallel dazu die Grenzen dessen, was als Hassrede gilt, permanent nach Lust und Laune verschiebt, wird schon bald von einem erschreckenden Anstieg der Hasszahlen berichten können. Doch in welchen Dimensionen bewegt sich dieser Hass eigentlich?

Auch Kritik an der Antifa mittlerweile Hassrede

Die polizeilich erfassten Fallzahlen von Hasspostings beliefen sich im Jahr 2021 noch auf 2411 Meldungen, im Jahr 2022 allerdings bereits auf 3.396. Zur Relation: Die Anzahl der Gruppenvergewaltigungen in Deutschland erreichte 2022 mit 789 gemeldeten Fällen ebenfalls einen Höchststand. Im Vergleich zu 2017, als nur 380 solcher Fälle gemeldet wurden, hatte dieser Wert sich also tatsächlich verdoppelt. Während also deutschlandweit im Schnitt mehr als zwei Gruppenvergewaltigungen pro Tag stattfinden, werden zeitgleich fast 10 Hasspostings pro Tag ins Internet gestellt. Klingt gravierend. Um diese Hasspostings besser einordnen zu können, liefert die Bild zwei Beispiele von Übeltätern im Fadenkreuz der Ermittler der diesjährigen Razzia.

So habe ein Beschuldigter in einer WhatsApp Gruppe „volksverhetzende und verfassungsfeindliche Sticker, welche eine Abneigung gegen Juden, Ausländer, Menschen mit Behinderung, die sog. Antifa und den Islam zum Ausdruck bringen“ versendet. Wir lernen: Die „sogenannte Antifa“ ist nun also auch schon ein Opfer von Hassrede und folglich schützenswert. Angesichts der Töne, die die Antifa meist anschlägt, eine bemerkenswerte Parteinahme! Ein weiterer Beschuldigter bezeichnete übrigens auf der Facebookseite eines Fußballvereins Migranten als Messerstecher und „Eigentumsumlagerer“, womit er sich einen frühmorgendlichen Besuch der Polizei einhandelte.

Der bayerische Justizminister erklärte die Zunahme an Hassrede im Übrigen durch „Entwicklungen wie den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine“, dessen Folgen „neuen Nährboden“ für „Hass und Hetze“ böten. Ein bemerkenswerter logischer Spagat: Weil Putin in der Ukraine einmarschiert, postet Hans-Dieter in Bochum etwas gegen die Antifa. Muss man nicht verstehen, ist einfach so.

Doch so absurd dies auch anmuten mag, es ist nur eines vieler Beispiele einer andauernden Verschiebung der Grenzen des Sagbaren – und zwar jeweils nur in eine Richtung. Als die AfD vor einigen Tagen in München mit einem Plakat gegen eine Drag-Lesung vor Kindern protestierte, fand sich ausgerechnet ein katholischer Priester dazu bereit, freiwillig eine Strafanzeige wegen Volksverhetzung zu stellen. Beim Focus erklärte er, dass er sich schon lange für queere Themen einsetze. Er ließ sich mit den Drag Queens und Kings ablichten und hatte offensichtlich keinerlei Bedenken ob der Gefahr der Frühsexualisierung der Kinder durch den Umgang mit Drag King Eric BigClit.

Immer häufiger ein Mittel zur Abschreckung

Wie so häufig, ist wohl auch dieser Aktionstag – wenn es einen selbst nicht betrifft – primär symbolischer Natur. Es soll das Bild eines durchgreifenden Staates entstehen, der die Zügel fest in der Hand hält. Die Wirkung soll vor allem abschreckender Natur sein, das Damoklesschwert bei der nächsten Razzia einen Besuch abgestattet zu bekommen, soll jedes Widerwort im Keim ersticken. Vor allem konstruktiver Widerstand soll abgeschreckt werden, denn jene Polterer auf sozialen Netzwerken, die ungefiltert dümmliche Parolen ins Netz dreschen, haben sich bislang nicht abschrecken lassen und werden es wohl auch nicht in Zukunft tun. An ihnen kann der Staat hervorragend ein Exempel statuieren und sich selbst en passant immer weiterführende Kompetenzen verleihen.

Ebenso muss mit Besorgnis festgestellt werden, dass die Schlagzahl solcher Aktionen offensichtlich erhöht wird. Während die früheren Aktionstage im ungefähren Jahresrhythmus zum Ende des Kalenderjahres stattfanden, hat man nun bereits nach nur einem halben Jahr wieder zu diesem Mittel gegriffen und dabei auch die Anzahl der Zugriffe deutlich erhöht. Dabei handelt es sich aber nur um die planmäßigen Aktionstage, denn mit der Reichsbürgerrazzia im Dezember letzten Jahres, sowie der kürzlichen bundesweiten Razzia bei der Letzten Generation, griff die Exekutive in kurzer Folge zwei weitere Male zum Mittel des koordinierten Zugriffs.

Zu guter letzt ist der wiederholte Hinweis, es gäbe eine hohe Dunkelziffer, da viel Kommunikationen in geschlossenen Chaträumen stattfänden, ein Wink mit dem Zaunpfahl, was in Zukunft noch auf die Bürger zukommen wird. Denn Hassrede muss nach dieser Logik niemanden verletzen oder beleidigen, selbst Gespräche im privaten Umfeld unter Gleichgesinnten könnten somit ins Visier der Ermittler geraten. Und nachdem immer weiterführende Kompetenzen für den Zugriff auf private Daten, wie z.B. der von der EU angedachte Zugriff auf Chatprotokolle, in Planung sind, ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis jegliche private Kommunikation durchleuchtet werden kann. Vor allem missliebige Stimmen werden dann auf diese Weise aus dem öffentlichen Diskurs entfernt werden können.

Fast könnte man spekulieren, es handle sich bei den vielen Razzien in letzter Zeit um Übungen für einen Ernstfall, doch womöglich kann solch eine Vermutung auch bereits als Hassrede ausgelegt werden. Eines jedoch steht mit großer Wahrscheinlichkeit fest: Die nächsten Monate und Jahre wird die Polizei in Deutschland noch häufiger zupacken, um ideologischen Staatsfeinden zu Leibe zu rücken. Ein drastisches Mittel der Exekutive, das sparsamst und nur bei Gefahr von Flucht oder Verschleierung eingesetzt werden sollte, ist somit schon längst zum Alltag geworden. Selbst jene, die diese Entwicklung bislang begrüßten, könnten ihre Meinung schnell ändern, wenn die Geister, die sie riefen, sich nicht mehr bändigen lassen.

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