Tichys Einblick
Umbau einer Partei

Die AfD im Schlafwagen zu 20 Prozent?

Habeck mit Küchentisch und Hausdurchsuchung, Scholz ohne Zunder, Merz nur Zauderer – die FDP in der Versenkung. Und die AfD? Sie macht wahlkampftaktisch derzeit vieles richtig, was die CDU falsch macht.

picture alliance / Geisler-Fotopress | Bernd Elmenthaler/Geisler-Fotopr

Friedrich Merz glaubt, mit dem Schlafwagen zur Macht zu fahren. Die Umfragen, die das CDU/CSU-Lager bei 30 Prozent sehen, narkotisieren Partei und Chef in der Weise, man wolle die Wahl abwarten und dann Politik machen – statt jetzt. Das gilt für die jetzt möglichen Projekte – Grenzkontrollen, Abschaffung von Selbstbestimmungsgesetz und Heizungsgesetz, Wiedereinstieg in die Atomkraft – wie auch allgemeine Grundlinien. Merz hat erst neulich betont, dass es mehr Gemeinsamkeiten mit den Grünen als mit den Roten in der Außenpolitik gebe.

Dass die Union seit Jahren in den Umfragen meist höherbewertet ist und bei der Wahl schlechter abschneidet als gedacht, hat man ebenso vergessen wie den Umstand, dass der Wähler sehr wohl wahrnimmt, wie die CDU derzeit agiert. Merz möchte wie Merkel mit geringstem Widerstand Kanzler werden und bleiben. Er will sich nicht bekennen. Er will sich nicht entscheiden.

Das spielt vor allem einer Partei in die Hände: der AfD. Anders als das BSW, das in den östlichen Bundesländern nach Anschlussfähigkeit sucht, ist die AfD der einzige Garant dafür, dass der Wähler seine Stimme in die Politik ummünzen kann, die im Programm steht. Er wählt blau und bekommt blau. Das Argument, dass eine Wahl der CDU statt der AfD eher die Grünen aus der Regierung hielte, wenn diese nur stark genug sei, zieht bei den Anhängern nicht. Denn die Union hat mehrfach bewiesen, dass sie keine Inhalte hat. Und wer ohne Inhalte koaliert – der übernimmt die Inhalte des Koalitionspartners.

Die CDU hat erst bei der Berliner Landtagswahl demonstrativ gezeigt, wie sie im Wahlkampf rechts geblinkt hat, nur, um anschließend links zu regieren. Ein großer Teil des AfD-Potenzials speist sich daraus, dass die Partei glaubwürdig gilt, ihre Inhalte nicht aufzugeben – auch, wenn sie nicht in Regierungsverantwortung kommt. Die FDP verliert ihren Fraktionsstatus nicht, weil ihr die Wähler den Bruch der Ampel übelnehmen – sondern weil sie jahrelang ihre Inhalte zugunsten der Regierungsbeteiligung verwässert hat. Man muss anerkannter Politstratege sein, um das nicht zu verstehen und Gegenszenarien zu entwerfen. Es ist eben einfacher, bald 20 Prozent der Wählerschaft als rechtsextrem zu brandmarken, statt nach den Gründen zu bohren.

Es ist also weniger die Union denn die AfD, die im Schlafwagen zur Wahlnacht fahren kann. Tino Chrupalla und Alice Weidel achten vermehrt darauf, dass ihre Partei nicht negativ auffällt. Offenbar hat man aus dem EU-Wahlkampf gelernt. Die Partei arbeitet seitdem geräuschloser und mit weniger schillerndem Personal. Anders als Merz hat die AfD-Führung verstanden, dass der Wahlkampf weiterhin ein Anti-Ampel-Wahlkampf bleibt. Anders als die Union steht sie nicht im Zwielicht, die Ampel unter veränderten Umständen und mit anderem Namen bloß zu verlängern.

Anti-Ampel-Wahlkampf heißt: Meinungszensur, Hausdurchsuchungen und versuchte Presseverbote thematisieren. Aufzeigen, wer den Atomausstieg vollzogen – und wer ihn initiiert hat. An das Selbstbestimmungsgesetz erinnern und wer dahinterstand. Das Heizungsgesetz bekämpfen. Die Migrationskrise als einen Prozess darstellen, der nicht seit Faeser besteht, sondern seit einem Jahrzehnt.

Die Union kann dies alles aus den verschiedensten Gründen nicht. Teilweise, weil sie vieles selbst mitgetragen hat. Teilweise, weil sie mit Faeser oder Habeck zusammenarbeiten muss. Aber vor allem, weil die Worte des Parteichefs verraten, dass sich nach der Wahl nichts ändern wird. Wenn der Anführer der größten Oppositionspartei im Bundestag ankündigt, an der Energiepolitik nichts ändern zu wollen, obwohl sie Hauptursache der gegenwärtigen Krise ist, schadet das nicht nur der Union; man fragt sich, wozu man sie denn überhaupt wählen soll.

In diesen Zusammenhang passt ein AfD-Strategiepapier, das die Welt kürzlich thematisiert hat. Die Partei setze auf eine „Normalisierung“ ihrer Positionen durch ihre Wettbewerber. Die politischen Konkurrenten hätten mittlerweile viele ihrer Forderungen übernommen. Aus Sicht der AfD passten sich die anderen Parteien an das an, was sie selbst schon lange sehe und wisse.

Unter dem „Druck der Wirklichkeit und der Wahlerfolge der AfD“ würden andere Parteien mittlerweile Forderungen erheben, die vor Kurzem noch als unmöglich und als „vermeintlicher Ausweis einer extremistischen Gesinnung“ bezeichnet worden seien. „Das demaskiert die rot-grünen Ideologen und beschädigt die Glaubwürdigkeit unserer politischen Gegner“, heißt es in dem Papier weiter. „Im Gegenzug stärkt es unsere Glaubwürdigkeit.“ Die AfD solle daher nicht nur ihre Alleinstellungsmerkmale betonen, sondern auch die Schnittmengen mit anderen Parteien. Ziel sei es, die eigene Koalitionsfähigkeit zu demonstrieren.

Die Partei geht demnach mehr auf die Mitte zu. Das unversöhnliche Freund-Feind-Schema weicht auf. Das ist eine Entwicklung, die konträr zum EU-Wahlkampf steht.

Weiterer Konfliktpunkt: die Junge Alternative (JA). Seit Jahren schwelt der Streit darüber, ob die Jugendorganisation an die Leine gehört, aufgelöst wird – oder so ein Schritt nach außen hin als „Einknicken“ verstanden werden könnte, weshalb man ihn unterlassen sollte. Der Bundesverfassungsschutz ordnet sie als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ ein. Das bildet Angriffsfläche. Die AfD hat nunmehr die Auflösung der Jugendorganisation beschlossen.

Es dürfte sich dabei um einen polittaktischen Zeitgewinn handeln, bis auch die – bisher unbenannte Jugendorganisation – wieder ins Fadenkreuz gerät, denn alle alten Mitglieder der JA sollen ihr angehören. Zudem würde die AfD mehr Kontrolle über ihre Zöglinge ausüben, denn eine Parteimitgliedschaft wäre dann zwingend. Derzeit besitzen nur die Hälfte aller JA-Mitglieder auch ein AfD-Parteibuch. Die AfD bringt die Jugend also auf Linie. Bis dahin dürfte es allerdings noch etwas dauern – denn es bräuchte eine Satzungsänderung.

Freilich haben etablierte Medien ein anderes Erzählmuster. Abgesehen von den Gefahren des Rechtsrucks streute das Redaktionsnetzwerk Deutschland eine besonders originelle Theorie. Die Redaktion sprach mit dem Direktor des Kompetenzzentrums für Rechtsextremismus- und Demokratieforschung an der Universität Leipzig, Oliver Decker. Der FDP-Ausstieg schwäche die Demokratie. Das leiste der AfD Vorschub. „Die am häufigsten wahrgenommenen Demokratieprobleme sehen unsere Befragten in Parteien und Politikern, diese werden sehr negativ beschrieben“, erklärte Decker. „Auch wenn diese Beschreibung nicht neu ist, die gegenwärtige Entwicklung und das Vorgehen der FDP wird dieser Wahrnehmung neue Bestätigung liefern.“

Er fuhr fort: „Die davon ausgehende Gefahr für die Demokratie besteht in einer Mischung aus Realitätsverweigerung, Egoismus und zynischer Verrohung, Turbokapitalismus, Sozialdarwinismus und Rechtspopulismus in Teilen der Eliten. Sie zeigt, dass der soziale Frieden nicht nur durch die AfD bedroht wird.“

Die FDP als Vorbote der AfD. Was die AfD als „Normalisierung“ betrachtet, ist auf der anderen Seite das Tor zur Hölle.

Aktualisierung von 16:05:
Hannes Gnauck, der Bundesvorsitzende der Jungen Alternative (JA) hat sich für eine Eingliederung der bisher als Verein organisiersten Jugendorganisation in die AfD ausgesprochen. „Wenn ich mich zwischen einem drohenden Verbot und der Eingliederung in die Partei mit entsprechender Abgabe von Kompetenzen entscheiden muss, wähle ich den sicheren Weg“, sagte er der Welt.

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