Tichys Einblick
Nach den Wahlen in Hessen und Bayern

Die AfD macht sich auf den Weg zur Regierungsbeteiligung im Bund

Die AfD gehört zu den Siegern der Wahlen in Hessen und Bayern. Nun will sie den nächsten Schritt gehen. Doch die letzten 20 Prozent zum Gipfel werden die schwersten.

IMAGO / Sven Simon

In der Kurvendiskussion gibt es zwei entscheidende Punkte. Den für allen sichtbaren: an dem die Kurve bricht. Der andere ist weniger sichtbar, aber eigentlich wichtiger: wenn das Wachstum der Kurve nachlässt. Die AfD könnte an diesem Punkt sein. Für alle sichtbar aber ist, dass die Kurve der AfD nach oben geht. Die Umfragen belegen das, ebenso kommunale Wahlen in Ostdeutschland.

Am Wahlabend sah es lange so aus, als ob die AfD in Bayern und Hessen zweitstärkste Kraft wird. Alles andere als unbedeutende Länder. Beide zusammen erwirtschaften mehr als ein Viertel des deutschen Wohlstands. Ihr hessischer Spitzenkandidat Robert Lambrou hat in der Bundespressekonferenz auf den Fakt hingewiesen, dass die AfD besonders stark in der Altersgruppe abschneidet, die mitten im Berufsleben steht.

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Platz zwei in Hessen und Bayern hätte eine Erzählung der Gegner der AfD ein für alle Mal beendet: nämlich, dass die AfD eine Partei der Abgehängten im Osten sei. Bei den wirtschaftlichen Aktiven kommen sie auch gut an. Dieser Fakt bleibt stehen. Aber einen Schönheitsfehler hat die AfD am Wahlabend dann doch noch erlebt: Im Laufe des Abends sind die Freien Wähler in Bayern an ihnen vorbeigezogen. Die Erfolgskurve der AfD ist damit noch nicht gebrochen. Aber es mag der Punkt erreicht sein, an dem das Wachstum der Kurve nachlässt. Zumal die Partei in Ostdeutschland jüngst kommunale Stichwahlen dann doch wieder verloren hat. Derzeit kann die AfD aber – nachvollziehbarer Weise – vor Kraft kaum gehen.

Weidel sagt, die AfD strebe eine Regierungsbeteiligung an. Auch eine eigene Kanzlerkandidatur sei denkbar. Wer dann aber antrete, stehe noch nicht fest. Das scheint recht selbstbewusst. Denn bisher sagen alle Parteien, dass sie mit der AfD keine Regierung bilden. Allen voran die CDU. Die steinigte jüngst ihren Vorsitzenden Friedrich Merz, als der im ZDF einräumte, es gebe ein Leben jenseits der „Brandmauer“. Daran beteiligten sich nicht nur Gescheiterte, wie Tobias Hans, die wieder auf einen Job hoffen – sondern auch ernst zu nehmende CDU-Politiker wie Hessens Ministerpräsident Boris Rhein.

Die AfD hofft, dass 2024 ihr Jahr wird. Der Fahrplan lautet: EU-Wahlen im Juni und Landtagswahlen im September in Sachsen, Thüringen und Brandenburg. Stand jetzt hat die AfD gute Chancen, aus den Wahlen im Osten als stärkste Kraft hervorzugehen. Reicht das aber dann aus, um im Bund eine Mehrheit zu erlangen oder andere Parteien zur Zusammenarbeit zu zwingen?

Bisher sind die Argumente der AfD Gegenargumente. Die Schwäche der anderen Parteien ist ihre Stärke. Ganz offensichtlich ist es so bei der Schwäche der Ampel: Habecks Heizhammer enteignet faktisch Tausende von Hausbesitzern. Die unkontrollierte illegale Einwanderung lässt mittlerweile sogar die Politiker von SPD und Grünen in den Städten und Gemeinden aufheulen. Eine Justiz sorgt für Misstrauen in den Staat, wenn sie einen Gegner der Corona-Politik für neun Monate in Untersuchungshaft sperrt, aber die Schwerverbrecher des Remmo-Clans sich aussuchen können, wann und ob sie ins Gefängnis gehen. Wenn Schimpfwörter im Netz gegen die Republik mit schweren Strafen geahndet werden, aber ein Richter einen Vergewaltiger eines Kindes ein „gelungenes Beispiel für Integration“ nennt. All das treibt der AfD die Wähler zu. Sie muss eigentlich gar nicht viel machen: nur da sein.

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Die „Brandmauer“ gegen sie wird zu ihrem stärksten operativen Mittel. Die Logik der Erfinder der Brandmauer wendet sich gegen sie selbst: Vor allem Grüne, SPD und Linke stellen den „Kampf gegen Rechts“ in den Mittelpunkt ihrer Politik – und damit auch in die öffentliche Aufmerksamkeit. Nur steht dann aber halt die AfD im Mittelpunkt des Interesses. Und angesichts der Schwächen der anderen Parteien sieht sie dabei gut aus.

Nur: Die letzten 20 Prozent auf dem Weg zum Gipfel sind die schwersten, hat Grünen-Ikone Joschka Fischer einst gesagt. Da wird die Luft dünn, da geht der Sauerstoff aus. Bisher kann sich die AfD bei 20 Prozent der Wählerstimmen etablieren. Im Osten bei Mitte 30 Prozent. Aber zum Gipfel fehlen da mindestens noch metaphorische 20 Prozent – ohne Partner ist der Gipfel für sie nicht zu besteigen.

Die Grünen haben 2021 Ähnliches erlebt. Da sah es auch so aus, als ob sie künftig die stärkste Kraft in Deutschland wären. Doch dann hat Annalena den Wahlkampf verbaerbockt und das war kein Zufall. Als die Grünen plötzlich den Kanzler stellen konnten, haben die Bürger genauer hingeschaut, wem sie denn da Verantwortung schenken wollen. Seitdem ist es mit den Grünen tendenziell nur noch bergab gegangen.

Das politische Jahr 2024 steht erstmal lange im Schatten der EU-Wahl. Zu der tritt die AfD mit dem Spitzenkandidaten Maximilian Krah an. Dessen Mitgliedschaft hat die Fraktion „Identität und Demokratie“ schon zweimal ruhen lassen. Einmal davon wegen Betrugsvorwürfen. In Reden klingt er weniger nach der Kreidestimme Alice Weidels, sondern mehr wie der böse Wolf. Andere AfD-Bewerber für die EU-Wahl haben bei der Listenaufstellung offensichtlich falsche Angaben gemacht – all das wird nun bis zum Juni im Scheinwerferlicht stehen.

Nach den Wahlen
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Auch inhaltlich wird die AfD auf Dauer nicht von den Gegenargumenten anderer leben können. Sie muss ihr eigenes Profil stärken. Der Europaparteitag hat gezeigt, dass sich viele Mitglieder nicht entscheiden können, ob sie zuerst aus der EU austreten und die dann auflösen wollen – oder umgekehrt. Als Kompromissformel hat sich die Partei darauf geeinigt, dass sie die EU so stark reformieren will, dass es einer Neugründung gleichkäme. Vor zu viel Radikalität schreckt die AfD zurück.

Das zwingt sie zu einem Spagat. Einerseits möchte sie die Unterstützer behalten, die nach radikaleren Lösungen schreien. Andererseits muss eine Partei sich weiter in die Mitte bewegen, wenn sie bei 20 Prozent steht und in die Regierung will, obwohl alle anderen Parteien sich geschworen haben, sie zu bekämpfen.

Im Sozialen hat sich die AfD bereits gewandelt. Als sie vor zehn Jahren antrat, war sie eine marktradikale Partei, deren Politik unter anderem spürbare Rentenkürzungen mit sich gebracht hätte. Nun hat sich die AfD in Richtung Wirtschafts-Paternalismus entwickelt. Sie will zwar starke Arbeitgeber, aber auch einen Staat, der die Rechte von Arbeitnehmern vertritt.

Nun steht ein Wandel in der Integration an. Gegen die illegale Einwanderung der Ampel spricht sich die AfD weiterhin eindeutig aus. Auch weil ihr das die Gelegenheit gibt, CDU/CSU qua Angela Merkel in die Mitverantwortung zu nehmen. Aber die AfD entdeckt neue Verbündete: türkischstämmige Deutsche. Bisher gelten die als Anhänger von SPD, Grünen und Linken, weil die politische Rechte sich gegen diese Gruppe ausgesprochen hat. Doch ausgerechnet mit der Einwanderung ändert sich die Lage.

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Eine unkontrollierte illegale Einwanderung aus Syrien, Afghanistan und Nordafrika ist alles andere als im Sinne der Türkischstämmigen. Zum einen aufgrund von Ressentiments, die es zwischen Türken und Arabern gibt. Zum anderen aus sozialen Gründen. Der Türkischstämmige sieht, wie die Steuern, Abgaben und Auflagen für seinen Laden immer weiter steigen – wie seine Rente immer weniger wert ist, weil andere ins Bürgergeld einwandern und 563 Euro samt Gratis-Wohnung erhalten. Das Unbehagen türkischer Einwanderer reicht zudem bis tief in die Gefühlsebene: Die Integration, die sie sich hart erkämpfen mussten, wird nun anderen quasi geschenkt.

Aber nicht nur wegen der Einwanderung findet die AfD neue Verbündete unter Leuten mit Migrationsgeschichte. Einwanderer mögen SPD und Grüne wählen, weil sich die für deren Rechte ausgesprochen haben. Aber wenn SPD und Grüne eine Vorstellung von Selbstbestimmung verwirklichen wollen, in der Männer in Strapsen ihren nur in eine Lederhülle ummantelten Penis in einem Kindergarten schwingen, dann haben SPD und Grüne die konservativen Einwanderer plötzlich gegen sich. Egal, ob in der ersten, zweiten oder welcher Generation auch immer. Auch wenn grün-rote Politik Hass gegen Homosexuelle als ein Problem rechtsradikaler Deutscher framen will – gelebt wird dieser Hass eher in Berlin-Neukölln oder Duisburg-Marxloh als in der Eifel oder der Sächsischen Schweiz.

Der dritte Platz in Bayern hat die AfD aus einem besonderen Grund geschmerzt. Weil es die Freien Wähler waren, die ihnen den zweiten Platz weggeschnappt haben. Sie besetzen den politischen Raum, den CDU und CSU unter Angela Merkel aufgegeben haben, und den die AfD noch nicht vollständig eingenommen hat. Den die aber braucht, wenn sie 2025 die Regierungsbeteiligung schaffen will.

Bisher hatte die AfD Gegner, die es ihnen einfach gemacht hat. Das gilt für Parteien, aber noch mehr für Journalisten und Medien-Aktivisten. Mit jedem Angriff von Jan Böhmermann auf alle, die er für Nazis hält – also jeden, der nicht seine Meinung teilt –, wird die AfD stärker und noch stärker. Mit den Freien Wählern betritt nun ein Mitbewerber die Arena, der es der Alternative nicht so leicht macht. Es wird abzuwarten sein, ob vor dem Hintergrund deren Kurve noch einmal deutlich steigt.

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