Tichys Einblick
EU-Parlament

AfD-Rausschmiss aus der ID-Fraktion: Trauerspiel – und Chance?

Der endgültige Rauswurf der AfD aus der ID-Gruppe scheint unmittelbar bevorzustehen. Wieso diese Entwicklung nicht nur ein Trauerspiel ist, sondern langfristig auch für die deutschen Konservativen eine Chance sein könnte, bespricht David Engels in der neuen Folge seiner EU-Chronik.

picture alliance / Panama Pictures | Dwi Anoraganingrum

Unsere kleine Chronik zur EU-Politik wäre ohne einen Rückblick auf den gegenwärtigen Rausschmiss der AfD aus der ID-Fraktion unvollständig. Die Fakten sind bekannt, alles Wesentliche wurde bereits analysiert, allen voran in einem ausgezeichneten Beitrag von Marco Gallina – und doch sind die Ereignisse der letzten Tage in ihrer Tragweite so bedeutend, dass man nicht anders kann, als immer wieder darauf zurückzukommen und sie unter einer doppelten Perspektive zu beleuchten: als Trauerspiel und gleichzeitig als Chance.

Trauerspiel, weil der definitive Bruch der AfD mit der überwältigenden Mehrheit ihrer gegenwärtigen und potentiellen konservativen Bündnispartner in den europäischen Nachbarländern keine echte Überraschung war, sondern seit Monaten, ja geradezu seit Jahren im Raum stand und zu einem nicht unbeträchtlichen Teil der Tatsache geschuldet ist, dass das Programm einer „erinnerungspolitischen Kehrtwende um 180 Grad“ in ihrer konkreten Umsetzung im Ausland verständlicherweise eher Besorgnis als Enthusiasmus hervorruft. Denn so sehr man es in der Tat bedauern kann, dass in der öffentlichen Wahrnehmung der Bundesrepublik die eigene Geschichte ganz um die Verarbeitung des Dritten Reichs kreist: Man wird diese einseitige Fixierung nicht durch eine wie auch immer geartete Historisierung, Banalisierung oder Relativierung jener schrecklichen Verbrechen überwinden, sondern nur dadurch, indem man endlich selbsttätig auch einmal jene andere Perioden der Geschichte in den Vordergrund stellt, auf die sich ein erneuter Stolz auf die eigene Identität richten könnte:

Rechte Koalition in den Niederlanden
Geert Wilders löst ein Erdbeben aus
Wie wäre es, endlich einmal die monomanische preußen-lastige Fixierung auf den „alten Fritz“, Bismarck und das Dritte Reich zu überwinden und etwa auf den europäischen Reichsgedanken des 10., den geistigen Höhenflug des 13., die Innerlichkeit des 16. oder die künstlerische Blüte des 18. Jahrhunderts zu verweisen? Solange ein politischer Mainstream deutsche Identität auf 1933 bis 1945 reduziert und die deutsche Rechte nichts Besseres findet, als geschmacklos zu beteuern, dass damals letztlich doch „nicht alles schlecht“ war, dürfte der Teufelskreis des deutschen identitären Sonderwegs nie überwunden werden, sondern seine Spurrillen sich nur immer tiefer eingraben.

Jetzt ist das Porzellan also vorläufig zerdeppert; das Trauerspiel bietet aber auch eine Chance – zumindest für Europa, wenn auch nur vorläufig. Denn die Trennung von der AfD macht nun den Weg frei für die lange vorbereitete „große“ konservative EU-Gruppe, und wenn diese sich in einer ersten Zeit auch vielleicht nur informell durch eine immer intensivere Zusammenarbeit zwischen ID und EKR manifestieren dürfte, ist doch klar, dass mit dem Wegfall der AfD auch wesentliche Hemmnisse weg sind. Dies liegt nicht unbedingt an der unmittelbaren programmatischen Ausrichtung der AfD und der verschiedenen anderen konservativen Parteien, die weiterhin allesamt große Divergenzen in zentralen Fragen wie Wirtschaft, Soziales, Identität und natürlich Nato aufweisen. Der wesentliche Unterschied ist eher, dass sich Letztere größtenteils zunehmend durch eine gewisse Professionalität, eine gewisse Regierungserfahrung und eine gewisse Bereitschaft zum Kompromiss auszeichnen; drei Eigenschaften, die auch Apologeten der AfD ihrer Partei nur in eher begrenztem Maße zuschreiben dürften.

Freilich: Schon dieses Wochenende war nach der Präsentation des Koalitionspapiers der künftigen niederländischen Regierung gerade aus Deutschland das Wort von der „Melonisierung“, der „US-Vasallisierung“, des „Verrats“ oder des „Weichspülens“ zu hören. Aber Politik ist zum einen immer die Kunst des Möglichen, zum anderen impliziert die Realität der Demokratie, dass es eben gilt, eigene Positionen gelegentlich auch einmal abzuschwächen, um die Zustimmung der Mehrheit zu sichern und die eigenen Überzeugungen konkret umzusetzen. Und wenn man auch nicht zu Unrecht sagt, dass viele Mainstream-Parteien die Massenmigration nach Europa (oder die USA) durchaus auch gezielt dazu nutzen, das eigene Wahlklientel auszubauen, sich also ihr „Volk“ selbst zusammensetzen, kann es doch für Konservative keine Alternative sein, ihrerseits stumm daneben zu stehen und abzuwarten, bis „ihr“ Volk irgendwie „reif“ für ihre Überzeugungen ist.

Isolation der AfD
Die große rechte Koalition im EU-Parlament kommt – ohne die AfD
Den richtigen Moment abzupassen und nicht durch Ungeduld die eigenen Chancen aufzugeben, ist natürlich ebenfalls eine wichtige Kunst, und auch Fundamentalopposition kann eine nutzbringende Taktik sein, umso mehr, als es von niemandem bestritten werden dürfte, dass die nächsten Jahre aufgrund der sich abzeichnenden Krisen eher den Alternativparteien als dem Mainstream in die Hände spielen werden. In der gegenwärtigen Situation dürften allerdings alle Konservativen ein Interesse haben, endlich die zum Teil berechtigte, zum Teil ungerechte Stigmatisierung als „Rechtsextreme“ zu überwinden: Die einen wie Marine Le Pen, um endlich jene letzten Bürger zu überzeugen, ohne die ein Einzug in den Elysée-Palast unmöglich ist, die anderen, um aus der Falle einer 10-Prozent-Grundwählerschaft auszubrechen.

Die deutschen Konservativen haben die Chance nicht genutzt, die ihnen aus einer intensiven Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern zugewachsen wäre und somit auch innenpolitisch eine gewisse Entkräftung der tagtäglichen Medienschelte hätte liefern können: Die anderen Parteien werden diese Gelegenheit nun umso stärker ausbauen.

Man wird sehen, welcher Wandel in EU-Europa erzielt werden kann, ohne dabei Deutschland einzubinden, denn es ist trotz des gelegentlichen Flirts zwischen Meloni und von der Leyen eher unwahrscheinlich, dass es langfristig zu einer Normalisierung der Beziehungen zwischen so verschiedenen Parteien wie dem Rassemblement National und der CDU/CSU kommen wird. Dass den anderen Konservativen auf deutscher Ebene ein ideologisch halbwegs symmetrischer Ansprechpartner fehlt, dürfte also zumindest mittelfristig auch für die zu erwartende „große“ konservative Fraktion zum Problem werden. Aber vielleicht ist gerade das auch wieder eine Chance. Denn je mehr sich diese Einsicht vertiefen wird, desto deutlicher und konkreter dürften auch die Erwartungen an Deutschland formuliert und der Platz beschrieben werden, der auszufüllen sein wird, was wiederum innerhalb entsprechender deutscher Parteien Anlass zu konkreten Überlegungen zur eigenen Neupositionierung liefern könnte.

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