Dafür, dass Wahlumfragen nur Umfragen sind und sich erheblich von den tatsächlichen Wahlergebnissen unterscheiden können, bestimmen sie doch erstaunlich die politische Kommunikation. Statt über Inhalte zu reden, über ihre politischen Ziele, sprechen die Parteien am liebsten über ihre Position zur AfD. Insofern kann man in der AfD doch höchst zufrieden sein, weil man inzwischen den politischen Diskurs bestimmt, wenn auch nur ex negativo.
Das dürfte selbst in der AfD noch nicht in voller Konsequenz in seiner ganzen Dimension verstanden worden sein, denn die Möglichkeiten, die sich bei einem kreativen Umgang aus dieser Situation ergeben, sind bei weitem nicht ausgeschöpft. Unter Beachtung aller, teils gravierenden, Unterschiede in den Ausgangspositionen waren das dennoch die historischen Momente, in denen Marine Le Pen und Giorgia Meloni begannen, ihren Parteien Wählerschichten bis an den linken Rand der bürgerlichen Mitte zu erschließen.
Die schwarz-grüne Koalition besäße keine Mehrheit mehr. Auf eine bequeme Mehrheit von 55,5 Prozent käme eine Koalition aus CDU, AfD und Freien Wählern, übertroffen würde die Mehrheit nur von einer schwarz-rot-grünen Koalition mit 66,4 Prozent. Fügt man zu den Zahlen den politischen Kurs von Boris Rhein hinzu, dann bliebe zur Stunde nur der Schluss: Wer CDU in Hessen wählt, wählt eine schwarz-rot-grüne, de facto eine grün-grün-grüne Koalition. Denn die „Brandmauer“ zur AfD hat Rhein mit einem woken Eid beschworen und sich somit auch in die babylonische Gefangenschaft der Grünen begeben.
Wie man CDU wählen kann und eine grün-rote Koalition bekommt, demonstriert in Berlin Kai Wegner. Denn in der Koalition mit den Sozialdemokraten hat die CDU sich zum Stellvertreter und Platzhalter der Grünen gemacht. Die jüngsten Zahlen quittieren Wegners Betrug an seinen Wählern. Laut der Wahlumfrage vom 3. August 2023 vom Institut Wahlkreisprognose fällt die CDU in der Wählergunst von 28,2 Prozent auf 24,5 Prozent. In nur 100 Tagen hat Wegner schon fast 4 Prozent der Wähler verloren (- 3,7 Prozent). Die Grünen verlieren weiter in Berlin von 18 auf 16,5 Prozent, also – 1,5 Prozent. Auch in der für die AfD schwierigen Stadt gewinnt die AfD 6,9 Prozent, also von 9,1 Prozent auf 16 Prozent – und steht damit auf dem Sprung, die Grünen sogar in Berlin zu überholen. Mit der SPD liegt die AfD schon gleich auf, denn die SPD hat 2,4 Prozent an Zustimmung in der Prognose im Vergleich zum Wahlergebnis eingebüßt, von 18,4 Prozent auf 16 Prozent. Die Linke gewinnt schwach 1,3 Prozent hinzu, und steigert sich leicht von 12,2 Prozent auf 13,5 Prozent. Die FDP entfernt sich noch weiter von der 5-Prozent-Hürde.
In NRW, Bayern, Hessen, Berlin, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Niedersachsen liegt die AfD inzwischen zwischen 14 und 20 Prozent. Die Misswirtschaft in Niedersachsen, NRW und Baden-Württemberg, der wirtschaftliche Einbruch, wird zu Zuwächsen führen.
Laut Umfrage von infratest dimap vom 3. August käme die Union in den Wahlen zum Bundestag auf 27 Prozent, die SPD auf 17 Prozent, die Grünen auf 15 Prozent. Man muss die Zahlen von Grünen und SPD zusammen betrachten, weil Verluste und Gewinne im rot-grünen Lager im Großen und Ganzen einander entsprechen. Die FDP erzielte 7 Prozent, die AfD 21 Prozent. Für die Prognosen von infratest dimap würde das einen Gewinn für die AfD von 1 Prozent bedeuten. Yougov sieht die Union bei 27 Prozent, die SPD ebenfalls bei 17 Prozent, die Grünen bei 14 Prozent, die FDP bei 5 Prozent, die Linke bei 6 Prozent, die AfD bei 23 Prozent.
Sieht man von Abweichungen im Toleranzbereich ab, zeigen die Prognosen eine klare Richtung. Die Ampel-Parteien verlieren immer mehr an Zustimmung. Laut dem Anfang August erhobenen Deutschlandtrend sind 78 Prozent der Bundesbürger mit der Arbeit der Bundesregierung weniger oder gar nicht zufrieden. Nur 20 Prozent sind zufrieden, nur 1 Prozent sehr zufrieden. Letztere dürften, könnte man spotten, die Mitglieder der Bundesregierung, diejenigen, die in den Genuss der von der Bundesregierung en masse geschaffenen Stellen, oder die Mitarbeiter der von der Bundesregierung unmittelbar oder mittelbar finanzierten NGOs sein. Das ist ja auch der einzige Bereich, in dem die Bundesregierung Zuwächse verzeichnen kann.
Zusammenfassend kann man feststellen, dass die Bürger die katastrophale Politik der Ampel mit Schecken erfüllt. Dieser Schrecken übersteigt von Tag zu Tag mehr den Schrecken, den die Medien und die Parteien von der AfD an die Wand malen. Von der Ablehnung der Bundesregierung profitiert die Union nicht, weil sie eher als Helfer denn als Alternative zur Bundesregierung wahrgenommen wird.
Friedrich Merz muss lernen, dass Semantik auf Dauer nicht ohne Realität auskommt und flotte Formulierungen nicht das Handeln ersetzen. Denn Semantik ohne Wirklichkeit ist leer, ist eine Phrase. Man kann ja gern eine Alternative mit Substanz sein wollen – doch dann muss man auch Substanz liefern. Ein Wortspielchen hilft nicht mehr weiter, wenn man jenseits der Spiele ist, nämlich dort, wo es ernst wird.
Substanz hätte schon genügt, es muss noch nicht einmal eine Alternative sein, oder anders: Substanz ist angesichts der Bundesregierung und der grünen Kämpfer von Boris Rhein, über Kai Wegner, Thomas Strobl, Daniel Günther bis Hendrik Wüst bereits eine Alternative. 71 Prozent der Bundesbürger irren in diesem Punkte nicht.
Alle Parteien arbeiten sich an der AfD ab, nicht weil die AfD ein konzises Programm besäße, sondern weil sie es selbst nicht besitzen. Die woke Ideologie und die Utopie der Grünen, die Road Map ins Desaster, in den inneren Zusammenbruch des Landes und die Deindustrialisierung der Bundesrepublik, sind inzwischen Common Sense der Politik der Parteien, mit Ausnahme der AfD und teilweise der Freien Wähler. Solange man gegen die AfD kämpft, die Demokratie verteidigen will, was im Klartext heißt, die eigene Macht, wenn es nottut, auch gegen die Demokratie zu verteidigen, muss man nicht über den eigenen Opportunismus, die eigene Misswirtschaft, die eigene Unfähigkeit für das Land und die eigene Fähigkeit in der Verteidigung immer fragwürdiger werdenden Privilegien sprechen.
Die politische Klasse hat noch nicht realisiert, dass die Wirklichkeit in die Politik eingebrochen ist.