Wer gestern die Wahl der beiden Sprecher des Bundesvorstands der AfD im Fernsehen verfolgte, bekam live einen Eindruck von dem, was Alexander Gauland anlässlich des Parteiaustritts von Frauke Petry als „gärigen Haufen“ gekennzeichnet hat. Welt 24 berichtet vom „Chaos beim Parteitag“ und das Handelsblatt schreibt unter dem Titel „Rechtsrutsch, wieder einmal“, der Machtkampf in der AfD sei nun entschieden. „Der gemäßigte Kandidat gibt auf. Die Parteirechten können nun noch stärker werden.“ Insinuiert wird eine Entwicklung der Partei nach rechtsaußen, die zu deren baldigen Spaltung und Niedergang führe, der mit Inbrunst gewünscht wird.
Was ist tatsächlich geschehen? Die Parteitagsdelegierten entschieden sich zunächst einmal gegen den Vorschlag, die Partei nur noch von einem statt von zwei Vorstandssprechern führen zu lassen. Offensichtlich trauten die Delegierten keinem der in Frage kommenden Kandidaten zu, die beiden politischen Lager, die Gauland als die „zwei Beine der Partei“ bezeichnet, so einheitlich zu repräsentieren, dass dieser von beiden Lagern als gemeinsamer Vorsitzender der Partei anerkannt und getragen wird und so dazu legitimiert ist, die Partei alleine nach außen zu vertreten. Deswegen wurde neben dem ersten Sprecher ein zweiter Sprecher gewählt, der für das als notwendig erachtete politische Gleichgewicht im Vorstand sorgen soll.
Ebenfalls abgelehnt wurde der Vorschlag, drei statt wie bisher zwei Sprecher zu wählen. Mit diesem Vorschlag sollte vermutlich die Möglichkeit geschaffen werden, neben einem lagerübergreifenden ersten Sprecher zwei weitere, rein lagerbezogene Sprecher zu installieren. Dies würde das Risiko einer Kakophonie nach außen aber noch mehr erhöhen, als es schon bei zwei Sprechern gegeben ist. Der Vorschlag wurde deswegen aus guten Gründen auch verworfen.
Die Doppelspitzen-Lösung ist somit zunächst einmal Ergebnis und Ausdruck des Sachverhalts, dass die AfD in sich noch keineswegs so einheitlich und stabil ist, dass sie sich schon zutraut, sich von einem gemeinsamen Vorsitzenden (Sprecher) führen zu lassen. Sie ist nicht, wie bei den Grünen und der Linken, dem Prinzip des Geschlechterproporzes, sondern in erster Linie dem Umstand geschuldet, dass die Partei mindestens zwei, vielleicht sogar mehr als zwei Strömungen umfasst, die sowohl gemeinsame wie aber auch unterschiedliche, möglicherweise sogar gegensätzliche Ziele verfolgen. Das ist jedoch kein Makel, sondern ein Zeichen dafür, dass es sich um die Entstehung und Entwicklung einer neuen Partei handelt, die inzwischen ja auch beachtliche Erfolge bei den Wählern für sich verbuchen kann. Und wie immer läuft ein solcher Parteibildungs- und Stabilisierungsprozess höchst „gärig“ mit vielen Spannungen und Konflikten und meist auch Abspaltungen ab. Man denke nur an die jüngeren Parteibildungsprozesse der Grünen und der Linken, ganz zu schweigen von den Parteigeschichten der Sozialdemokraten, der Christdemokraten und auch der Freidemokraten. Allerdings zeigen die Flügelkämpfe schon ein Vordringen des eher rechten Lagers, was nicht wundern kann: Zu viele Exponenten des bürgerlichen Flügels sind längst ausgetreten; das marginalisiert die Verbliebenen weiter. Die Flügelkämpfe werden sich also fortsetzen.
Im Wahlvorgang selbst bestätigte sich dies noch einmal auf anschauliche Weise. Nachdem Jörg Meuthen sich als ein Kandidat beider Lager vorgestellt hat, wurde er auch als ein solcher von den Delegierten gewählt. Sein Ergebnis von 72 % zeigt jedoch, dass sein Rückhalt in der Partei (noch) nicht so groß ist, dass er sie auch alleine führen und repräsentieren könnte. Bei der Wahl des zweiten Sprechers konnten sich die Delegierten dann jedoch auf keinen der beiden Kandidaten verständigen, die ihren Hut jeweils nur für ihr jeweiliges Lager in den Ring warfen. Georg Pazderski kandidierte mit einer Vorstellungsrede, die auch Frauke Petry hätte halten können und plädierte für eine möglichst baldige Regierungsbeteiligung der AfD in den Ländern und im Bund. Doris von Sayn-Wittgenstein appellierte stattdessen vor allem an die nationalen und konservativen Denkweisen und Gefühlslagen der Delegierten und betonte den oppositionellen Auftrag der AfD innerhalb und außerhalb der Parlamente. An sich eine banale Fragestellung – aber an der Frage Fundamentalopposition wurde zur Frage der Verortung im Parteienspektrums. Denn wer Fundamentalopposition sagt meint die Ablehnung des bestehenden Systems; so die unausgesprochene Inhaltsformel des Gärprozesses.
Beide schnitten in zwei Wahlgängen gleich gut bzw. gleich schlecht ab. Keiner von beiden konnte die erforderliche Mehrheit der Delegierten hinter sich bringen. Beide Lager sind demnach in etwa gleich stark, so dass keines das andere dominiert und es bei der Wahl zu einem Patt kam. In der Not sprang Gauland in einer erneuten Wahl als alleiniger Kandidat ein, betonte in seiner Vorstellungsrede, dass er, wie schon Meuthen, beide Parteiflügel repräsentieren wolle und wurde dann mit 68 % der Stimmen gewählt. Die Partei hat nun zwei Sprecher, die sich flügelübergreifend verstehen und von vielen Parteimitgliedern auch so gesehen und akzeptiert werden. Ihre Wahlergebnisse zeigen jedoch, dass keiner von beiden für sich über den notwendigen Rückhalt und die notwendige Autorität verfügt, die Partei alleine zu führen. Wie sie die Partei zusammen weiter ausrichten und ihre verschiedenen Lager weiter zusammenhalten, vielleicht sogar, wie angekündigt, weiter einen werden, wird sicher einer der interessantesten und spannendsten politischen Vorgänge der kommenden Jahre. Davon wird das Überleben der Partei abhängen. Denn gewonnen wird nicht am Rand, sondern in der Mitte. Wie bei jedem Gärprozeß kann das Ergebnis äußerst gut und wohlschmeckend oder auch ungenießbar sein. Das liegt nicht nur an den Ingredenzien, sondern auch am Wissen und Geschick der „Gärmeister“.