Der Journalistentross wirkt beinahe ein bisschen enttäuscht. Vor der Halle hat sich ein beachtliches Reporteraufgebot platziert – in Erwartung neuer Demonstrationen und Ausschreitungen. Aber es regnet. Deshalb versammeln sich heute nur etwa 100 AfD-Gegner zum Protestieren. Die Polizei beginnt früh, den Großteil der versammelten Einsatzkräfte wieder abzuziehen: Sie werden nicht gebraucht.
Bevor der zweite Tag dieses Parteitags übertragen wird, sendet Phoenix quasi einen 30-minütigen Warnhinweis: „Wenn die AfD regiert“ ist ein als „Dokumentation“ getarnter und sensationell einseitiger Versuch, Zuschauern möglichst viel Angst vor der Partei zu machen. Das ist inzwischen so durchschaubar, dass es langweilt.
Wenn man ehrlich ist, ist es drinnen im Saal nicht wesentlich spannender. Die widerstreitenden Lager der Partei sind natürlich nicht verschwunden. Aber sie haben sich erkennbar darauf verständigt, nicht – wie in der Vergangenheit öfter mal – durch offenen Streit auf einem Parteitag laufende Wahlkämpfe zu sabotieren. Im September werden in Brandenburg, Sachsen und Thüringen neue Landtage gewählt, und überall sind die Umfragen für die AfD exzellent. Die absehbare Vorherrschaft im Osten will man nicht durch internes Gezänk aufs Spiel setzen.
Der Plan geht weitgehend auf.
Am Samstag waren die beiden Co-Vorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla geräuschlos im Amt bestätigt worden. Nicht wenige hatten erwartet, dass der Sachse abgestraft werden könnte, weil er sich beim sogenannten völkischen Flügel der Partei unbeliebt gemacht hatte. Stattdessen bekam er am Ende sogar ein paar Stimmen mehr als Weidel. Das Signal: Geschlossenheit.
Am Sonntag dann werden fast alle anderen potenziellen Konflikte ebenfalls schnell abgeräumt. Der durchaus brisante, weil umstrittene Antrag auf Einführung eines Generalsekretärs wird gar nicht erst entschieden, sondern vertagt. Eine außenpolitische Resolution findet ohne große Debatte eine große Mehrheit. Im Text heißt es, Deutschland müsse sich stärker von der US-Außenpolitik emanzipieren. Einig sind sich die Delegierten auch in der Forderung nach einem Ende der Waffenlieferungen an die Ukraine.
Am Rande des Parteitags wird bekannt, dass die AfD aus der europäischen Partei „Identität und Demokratie (ID) austritt. Zeitgleich gründen die ungarische Fidesz von Viktor Orbán, die österreichische FPÖ von Herbert Kickl und die tschechische ANO von Andrej Babis eine neue Fraktion mit dem Namen „Patrioten für Europa“. Ob die AfD dort ihre neue Heimat im EU-Parlament findet, ist unklar. Streit verursacht aber auch das nicht.
Sichtlich stolz spricht Chrupalla von „Kontinuität und Verlässlichkeit“. Da liegt er nicht falsch. Tatsächlich ist in Essen bei den wichtigen Fragen von Grabenkämpfen keine Spur.
Es ist erst der 15. Parteitag der AfD. Sie ist, das wird oft vergessen, überhaupt erst zwölf Jahre alt – also eine sehr junge Partei. Die meisten politischen Gruppierungen in diesem Entwicklungsstadium haben mitunter noch Schwierigkeiten mit den eigenen Regeln. Man erinnert sich an die Frühphase der Grünen, wo Parteitage mit „chaotisch“ noch milde beschrieben waren.
Das geht der AfD nicht anders. Nur bricht sich die Lust am Streit diesmal nicht bei den Punkten Bahn, auf die die Öffentlichkeit schaut – sondern bei den Wahlen zum innerparteilichen Schiedsgericht. Das ist für Außenstehende natürlich extrem trockene Kost, das interessiert, mit Verlaub, kein Schwein. Und das ist heute ein Glücksfall für die Blauen.
Denn wie bei diesem Tagesordnungspunkt aus politischen Gründen – weil das bisherige Schiedsgericht in der Tat eigenartige Urteile gefällt hatte – offenkundig die Satzung, die Geschäftsordnung und das allgemeine Rechtsstaatsprinzip weit über Gebühr strapaziert werden, tut beim Zusehen weh. Im Ergebnis wird dann einfach ein unabhängiges Schiedsgericht abgewählt, weil die Mehrheit der Delegierten mit dessen Urteilen nicht so recht einverstanden ist.
Wer sich auch nur ein bisschen mit Parteisatzungen und der Idee von unabhängigen Schiedsgerichten auskennt, dem dreht sich da der Magen um. So professionell der Parteitag sonst war: Hier wünscht man sich, dass der Vorstand und auch das Tagungspräsidium eine selbstkritische Nachbetrachtung nicht versäumen.
Manchmal erliegt die Partei noch der Versuchung, rechtsstaatliche Prinzipien arg zurechtzubiegen, wenn es gerade opportun erscheint. Innerparteilich ist das machtpolitisch nachvollziehbar. Publikum über die Kernanhängerschaft hinaus wird so aber recht sicher abgeschreckt. Es macht keinen schlanken Fuß, die „Altparteien“ für mangelnde Rechtsstaatlichkeit zu kritisieren – und dann selbst hart am Rand der Legalität zu segeln. Auch wenn es nur um eine vermeintliche Petitesse wie ein Schiedsgericht geht.
Bis auf diesen Ausreißer ist es aber ein sachorientierter, routinierter und ruhiger Parteitag. Journalisten und politische Gegner, die ein politisches Gemetzel erwartet oder auch erhofft hatte, werden auf ganzer Linie enttäuscht. Manch einem Delegierten war das alles sogar zu ruhig.
Aber mit Blick auf den September war diese Ruhe womöglich alternativlos.