Die Debatte über das Aufweichen der Schuldenbremse endet gegen 14.30 Uhr, die Abstimmung dazu gegen 16 Uhr. In einem modernen, digitalisierten Land hätte die Abstimmung höchstens zehn Minuten gedauert – in Deutschland eben anderthalb Stunden. Ein privates Unternehmen würde das nötige digitale System vielleicht für 50.000 Euro anschaffen, eine öffentliche Verwaltung für fünf Millionen Euro. Doch dem Bundestag fehlt ein solches System und deswegen muss das Parlament der (noch) drittgrößten Industrienation der Welt drei namentliche Abstimmungen anderthalb Stunden lang auszählen lassen.
Uns hat bisher das Geld gefehlt, sagen CDU, CSU, SPD und Grüne. Es habe nicht etwa daran gelegen, dass wir im Kopf noch eher so Faxgerät oder gar Rohrpost sind. Jetzt haben wir die Schuldenbremse aufgeweicht, jetzt ist das nötige Geld da – jetzt wird alles besser. Mit einer Billion Euro Steuern im Jahr haben die regierenden Parteien das Land verkommen lassen. Mit einer Billion Euro Steuern und einer Billion Euro zusätzlich werde nun alles gut. Das hört sich nach einer satirischen Zuspitzung an, ist aber tatsächlich die ernst gemeinte Argumentationslinie der sich anbahnenden Schuldenkoalition aus Union und SPD, die nun mit Hilfe der Grünen die Verfassung geändert und einer hemmungslosen Verschuldung von 100.000 Millionen Euro Schulden die Tür geöffnet hat.
489 Stimmen hätten die Kartellparteien im Bundestag gebraucht, um die Verfassung zu ändern. Auf 513 zu 207 Stimmen sind sie gekommen. Damit ist der entscheidende Schritt getan. Nun muss am Freitag noch der Bundesrat zustimmen. Ebenfalls mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen. Doch da die Freien Wähler in Bayern umgeknickt sind und sich ihr Chef Hubert Aiwanger als weniger stabil als sein Schulranzen erwiesen hat, dürfte das nur noch Formsache sein.
Friedrich Merz versuchte zuvor den Bruch seines Wahlversprechens im Bundestag schönzureden. Als das Verhalten eines Staatsmannes darzustellen, was nur der bedingungslose Wunsch ist, Kanzler zu werden. „Whatever it takes“. Dass er auf Wunsch der Grünen das Ziel der „Klimaneutralität“ in die Verfassung schreiben lässt, bedeute nichts. Dass er seiner Schuldenkoalition hemmungslose Schulden erlaube, müsse ja nicht dazu führen, dass die wirklich hemmungslose Schulden mache. Seine Sorge gelte nur der Verteidigung des Landes, zu der gehöre der Ausbau der Infrastruktur dazu und dass sich das alles seit der Wahl verändert habe, weshalb er zwar vorher das Gegenteil behauptet hat, das aber jetzt doch nicht der Bruch eines Versprechens sei.
Es sind Merz’ neue, linken Freunde, die ihn Lügen strafen: Einer der Vorsitzenden der Grünen, Felix Banaszak, trägt komplett Schwarz. Zu subtil? Banaszak zu unbedeutend, um darauf zu achten? Das mag sich Banaszak auch gedacht haben. Deshalb erklärt er dem Handelsblatt feixend den Sinn seiner Garderobe: Er trage damit die Schuldenbremse zu Grabe. Darum geht es an diesem Dienstag im Bundestag: die Beerdigung von Haushaltsdisziplin – zur Freude von Grün-Linken. Völlig egal, wie Christdemokraten dies dem Wähler und sich selbst gegenüber schönreden wollen.
Das sei ja alles auf Verteidigung und Investitionen in die Infrastruktur beschränkt, beteuern die Christdemokraten. Doch die Sozialdemokratin Wiebke Esdar gibt einen Vorgeschmack, wie sehr ihre Partei darauf wartet, die aufgeweichte Schuldenbremse übertölpeln zu können. „Mehr Investitionen in Kitas und Betreuungsinfrastruktur“ seien jetzt auch möglich. Unter der Schuldenkoalition kann nun alles zur Infrastruktur werden: die Diäten-Infrastruktur, die NGO-Fördergelder-Infrastruktur oder die Radwege-in-Peru-Infrastruktur.
In der Debatte um das Aufweichen der Schuldenbremse kündigt Merz gleich den nächsten Wahlbetrug an: Die jünge Generation könne die kommenden Lasten nicht alleine tragen. Mit anderen Worten: Entgegen seiner Wahlversprechen geht der kommende Kanzler wohl doch an die Rentenhöhen ran – oder an die Besteuerung von Rentnern. Friedrich Merz steht nicht nur für eine hemmungslose Verschuldung des Landes. So ungehemmt wie er hat noch kein Politiker seine Positionen aufgegeben und ins Gegenteil gewendet. So sehr, dass der kommende Kanzler zu einer Witzfigur zu werden droht. Der scheidende, fraktionslose Abgeordnete Robert Farle scherzt schon über ihn: „Merz hat nicht in allem gelogen. Merz hat gesagt, er will Kanzler werden, und das stimmte doch.“
Noch hält Merz an der Erzählung fest, es spiele keine Rolle, dass künftig die Klimaneutralität in der Verfassung steht. Doch auch da strafen ihn die Grünen Lügen: Die Erwähnung sei im Zusammenhang mit Paragraf 20 des Grundgesetzes zu sehen und die „Klimaneutralität“ eben doch künftig ein Staatsziel, sagt eine ihrer Fraktionsvorsitzenden, Britta Haßelmann. Eine Industrienation macht die eigene Deindustrialisierung damit offiziell zum Staatsziel.
Die Debatte zeigt, wie sehr der Bundestag intellektuell bankrott ist. „Ich möchte in einem Land leben, in dem die Bahn pünktlich kommt“, sagt Jessica Rosenthal (SPD). Als ob das bisher nur an Geld gescheitert sei. Als ob der Bundestag nicht digital abstimmen könnte, weil das bisher zu teuer war. Es sind Volksvertreter, die nicht im Jahr 2025 denken, sondern in alten, überholten politischen Denkmustern. Die werden nicht klüger, indem jetzt hemmungslos viel Schuldengeld durch ihre Hände fließt – eher im Gegenteil.