Tichys Einblick
HABECKS (DE)INDUSTRIE-STRATEGIE

Abschied von der Marktwirtschaft

Robert Habecks neue Strategie trägt den dröhnenden Titel „Industriepolitik in der Zeitenwende. Industriestandort sichern, Wohlstand erneuern, Wirtschaftssicherheit stärken“. Reduzieren lässt sich das auf ein Motto: Subventionen statt echter Wertschöpfung. Willkommen in der Planwirtschaft.

IMAGO

Wer mehr als nur Überschrif­ten liest, erschrickt. Offen­sichtlich ist nun auch bei Wirtschaftsminister Robert Habeck angekommen, dass die Folge der Ener­giewende verheerend ist. Bei ihm heißt das dann: „Für zahlreiche Betriebe der energieintensiven Industrie sind die­se Preise existenzbedrohend, es droht eine Erosion der deutschen Grundstoff­ industrie und damit der Wegfall inte­grierter Wertschöpfungsketten.“ Wer hätte das gedacht?

Der zitierte Satz ist nichts weniger als die Bankrotterklärung der Energie­politik. Die darauf aufbauende „Stra­tegie“ ist allerdings nur eine luftig vorgetragene Vision der Deindustriali­sierung und der Wohlstandszerstörung für große Teile der Bevölkerung. Denn Habeck will eine total klimaneutrale Wirtschaft.

Die von ihm, seinen Beamten und der mit ihm eng verbundenen Lobbyorga­nisation Agora Energiewende imagi­nierten neuen Wertschöpfungsketten, neuen Industrien, Produkte und neuen Märkte werden komplett unter das Ziel der Klimaneutralität gestellt, zentral geplant und mit dem Instrument von Verboten, Geboten und Belohnungen in Form von Subventionen durchgesetzt. Eigentlich besteht Habecks Politik in der reaktionären Kehre zu einer sozia­listischen Kommandowirtschaft.

Sein Strategiepapier basiert auf den vulgärmarxistischen Vorstellungen des österreichisch­ungarischen Wirt­schaftswissenschaftlers Karl Polanyi (1886–1964), die dieser in dem noch vor wenigen Jahren als Ladenhüter gehan­delten Buch „The Great Transformati­on“ niederlegte und die aktuell von der
Italoamerikanerin Mariana Mazzucato zugleich banalisiert und popularisiert wurden.

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Die große Transformation, wie sie auch im Koalitionsvertrag der Ampel als Ziel festgelegt ist, besteht für Polanyi darin, dass die Gesellschaft gegenüber der Wirtschaft das unbedingte Primat erhält und die Wirtschaft der Politik unterworfen wird. Doktrinär akzeptiert Polanyi keine Freiheit auf Kosten der wie auch immer definierten Gerechtig­keit: „Solange er sich seiner Aufgabe, mehr Freiheit für alle zu schaffen, wid­met, braucht er nicht zu befürchten, dass sich Macht oder Planung gegen ihn wenden und die Freiheit, die er mittels ihrer erreicht, zerstören werden.“ Hier wird Polanyi deutlicher, als er will – und darin steckt die stupende Illiberalität der Linksliberalen: Solange der Mensch die Aufgaben löst, die ihm von „Macht oder Planung“ zugeteilt werden, hat er von der „Macht oder Planung“ nichts zu befürchten. Es ist das totalitäre Prinzip des Sozialismus, das Unterwerfung ein­fordert und Not und Elend produziert.

In Habecks System wurde lediglich der Begriff „Gerechtigkeit“ durch den Begriff „Klimaneutralität“ ersetzt. Der riesige Wirtschaftsumbau wird mit der behaupteten Klimakrise und der dar­ aus abgeleiteten Notwendigkeit der CO2­-Einsparung begründet. Nicht mehr Entscheidungen von Unternehmern und Konsumenten führen zu Markt­ergebnissen, sondern klimapolitische Fernsteuerung gibt ein Ergebnis vor.
Klimakrise und CO2­-Einsparung bil­den das religiöse Fundament der neuen Ideologie. Sie funktionieren system­theoretisch als Dogmen, als Glaubens­sätze. Wendet man sich allerdings von ihnen ab oder beginnt auch nur daran zu zweifeln, fällt Habecks Gebot der Klimaneutralität jeden Wirtschaftens in sich zusammen. Deshalb wird das Dogma mit allen Mitteln verteidigt.

In seinem Papier heißt es folglich un­ter der Überschrift „Herausforderung: Klimaneutrale Erneuerung“: „Die drit­te zentrale Herausforderung ist die Er­neuerung unseres Wohlstandes in Ant­wort auf die planetaren Grenzen, allen voran auf die Klimakrise.“ Aus Grün­den der „Klimakrise“ oder des „Klima­schutzes“ oder der „Klimaneutralität“ zerstören wir unseren Wohlstand, um anschließend neuen Wohlstand zu schaffen. Und das, träumt Habeck, ge­schieht, indem „wir endlich entschlos­sen und aktiv den Übergang zur Klima­neutralität und damit den Wechsel zu den Erneuerbaren Energien“ gestalten.

„Industrielle Basis erneuern“

Wie für alle Utopisten existiert auch für Habeck einerseits die schlechte kapitalistische – oder in Habecks Sprache die „fossile“ oder „karbonisierte“ – Welt, in der alle fürchterlich leiden, im unüber­ windbaren Gegensatz zur dekarboni­sierten, klimaneutralen Welt. Das sind die herrlichen Zeiten, in die uns Robert Habeck führen will, nach dem die Klei­nigkeit vollbracht worden ist, eine neue Wirtschaft zu erschaffen.

Für Habeck steht daher außer Frage: „Die Transformation zur Klimaneutra­lität macht es notwendig, dass wir die industrielle Basis, die uns bisher stark gemacht hat, erneuern.“ Wenn Habeck „erneuern“ sagt, meint er semantisch „umbauen, verändern, transformieren“. Deshalb findet sich im Text immer wieder das Bild der Brücke, die vom schlechten Jetzt ins schöne Morgen führt. „Die Brücke für energieintensive Unternehmen steht noch nicht, um sicher ans andere Ufer eines wettbewerbsfähigen Industriestroms aus Erneuerbaren zu kommen“, räumt Habeck immerhin ein.

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Diese Brücke will er mit vielen Steuermilliarden, mit Schulden, mit mittelbaren und mit unmittelbaren Subventionen, koste es, was es wolle, bauen. Denn, so Habecks Dogma: „In Zukunft wird die Industrie auf Basis von Erneuerbaren Energien versorgt werden, vor allem durch erneuerbaren Strom, Wasserstoff sowie klimaneutrale Kohlenwasserstoffe. Erneuerbare Energien sind nicht nur die richtige Antwort auf die Klimakrise, sie stärken auch nachhaltig Preisstabilität und Versorgungssicherheit für die Industrie.“

Es ist die totale Utopie. Der Glaube muss wieder Berge versetzen, in diesem Fall die physikalischen Gesetze überwinden. Denn dass die erneuerbaren Energien für Preisstabilität sorgen, ist ein Ammenmärchen. Die Energieversorgung für die Industrie, wie übrigens auch für die privaten Haushalte, ist nur dann gesichert, wenn man in Deutschland akzeptiert, wie es in Habecks eigenem Stromsicherheitsbericht heißt, dass Deutschland vom Nettostromexporteur zum Nettostromimporteur wird.

Am besten, Industrie und Verbraucher fordern künftig nur dann Strom ab, wenn zufällig gerade welcher da ist. So macht es, könnte man sticheln, bereits die Deutsche Bahn, die laut Eigenwerbung ihre ICEs mit grünem Strom fahren lässt. Deshalb fallen auch hin und wieder Züge aus, weil grüner Strom manchmal da ist und manchmal eben nicht, möchte man spotten.

Habeck widerlegt seine Behauptung in seiner Strategie übrigens selbst, wenn er darstellt, dass der Strompreis für die deutsche Industrie schon jetzt viel, viel höher ist als für die Wettbewerber Frankreich, USA und China. Bis jetzt hat die Vorreiterrolle also nur Verteuerung und Unsicherheit gebracht.

Weil die Fakten nicht zum Narrativ passen, behauptet Habeck, dass die hohen Preise nicht Folge der desaströsen Energiewende seien, sondern dass der Ukraine-Krieg die Schuld daran trage: „Während die Strompreise für stromintensive Unternehmen beispielsweise der Chemie-, Stahl- und metallverarbeitenden Industrie vor dem Ukraine- Krieg wettbewerbsfähig waren, zahlen diese Unternehmen oft inzwischen einen vielfach höheren Strompreis als Wettbewerber etwa in Frankreich, den USA oder China.“ Müsste nicht zumindest Frankreich der Ukraine-Krieg genauso hart treffen?

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Nun, der Grund ist ganz einfach, dass Frankreich keine Energiewende vollzogen hat, die sich nur durch billiges russisches Erdgas finanzieren ließ. Wenn Habeck sagt: „Wir erleben allerdings gerade in Deutschland vor allem des halb eine Phase des harten Übergangs, weil im letzten Jahr zusätzlich zu den Versäumnissen beim EE-Ausbau auch die Brücke billigen russischen Gases weggebrochen ist“, dann räumt er ein, dass die Energiewende nur mit „billigen russischen Gas“ finanzierbar gestaltet werden konnte. Bleibt die Frage, warum die Energiewende ohne Gas noch schneller die Lösung bringen soll?

Mehr vom Falschen scheint für Habeck die Lösung, um die Resultate des Falschen zu überwinden. Denn für den Utopisten ist alles nur ein Übergang – für den es nur einer Brücke bedarf, die aus Subventionen, also aus steigenden Steuern und Schulden gebastelt wird. Doch an Habecks Papier dürfte auch ein Schelm mitgeschrieben haben, denn es gelang ihm, das Resultat von Habecks Wirtschaftspolitik auf Seite 27 in das Papier zu schmuggeln: „Dabei ist klar: Es haben auf Dauer nur Unternehmen eine Chance, die mit den langfristigen Kosten des neuen Energiesystems in Deutschland werden arbeiten können.“ Das ist nicht weniger als das Todesurteil für die Industrie insgesamt in Deutschland, denn ohne wettbewerbsfähige Energiepreise wird sie global nicht wettbewerbsfähig anbieten können.

Habeck analysiert: „Durch Wertschöpfungsverflechtungen und breit verteilte Produktionsstufen über oft unterschiedliche Wirtschaftszweige hinweg sind zudem große Konzerne und kleine Unternehmen des Mittelstandes eng miteinander verknüpft. Sie stehen in einem wechselseitigen Verhältnis und arbeiten gemeinsam am gleichen Endprodukt.“ Doch diese „Wertschöpfungsverflechtungen“ sind nicht par ordre du mufti entstanden, sondern in einem langen Prozess individuellen Unternehmertums – wenn man so will, auf dem Weg der kreativen oder schöpferischen Zerstörung, des Trial-and-Error vieler Marktteilnehmer, die dadurch die Lösungen fanden, zu denen Habecks Planbeamte niemals gelangen würden.
Utopien mit Subvention erzwingen

Habeck glaubt fest daran, dass ab 2030 klimaneutrale Wirtschaft und klimaneutrale Gesellschaft verwirklicht sein werden. Das geht nur, wenn der Staat nicht nur dirigistisch in die Wirtschaft hineinregiert, sondern auch den Umbau
finanziert. Das soll der Klima-Transformations-Fonds schaffen, zudem eine weiterhin extrem steigende CO2-Bepreisung, grüne Hermesbürgschaften sowie zahllose, seitenfüllende Förderprogramme. Es stellt schon eine Leistung ersten Ranges dar, wenn sich Robert Habeck in den vielen Förderprogrammen, die er auflegt, nicht verheddert.

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Am Ende soll es eine Wirtschaft sein, die unwirtschaftlich produziert – aber mithilfe von Zuschüssen irgendwie weiter am Weltmarkt vegetiert. So werden schon heute Stahlwerke mit Milliarden subventioniert, wenn sie sich verpflichten, von Kohle auf Wasserstoff umzusteigen. Das Modell „Wirtschafte unwirtschaftlich, Hauptsache grün“ soll auch auf Chemie, Grundstoffindustrie und Automobilindustrie ausgedehnt werden. Branchen, die mit ihren Abgaben heute den Staat finanzieren, werden demnächst zu Subventionsempfängern. Es wird also etwas zerstört, was funktioniert und die Grundlage unseres Wohlstands war, um etwas zu errichten, wovon niemand weiß, ob es jemals funktionieren wird. Deshalb lassen die Unternehmen, wenn sie den grünen Weg einschlagen, sich diesen subventionieren. Wer die Musik bestellt, in diesem Fall der Staat, muss sie auch zahlen, sagt man in Bayern.

Habeck meint, dass die Industrie „aus Wohlstand Wohlstandteilhabe werden“ lässt. Dass die Industrie Wohlstand nicht verteilt, sondern ihn überhaupt erst erschafft, dürfte Habeck und den Seinen entgangen sein. Und selbstverständlich soll auch der Industriestrom subventioniert werden, was mindestens 50 Milliarden kosten wird.
Habecks Lösung für alles sind Schulden, denn: „Unsere Finanzverfassung ist in Zeiten entstanden, die noch von einer marktdominierten Globalisierung und von deutlich weniger geopolitischen Spannungen geprägt war. Wir müssen als Land diskutieren, wie diese Regeln spätestens in der nächsten Legislaturperiode an die neuen Realitäten angepasst werden können“, heißt es in der Kurzfassung seines Papiers. Zu Deutsch: Die Schuldenbremse soll weg, die Schulden ins Unermessliche steigen.

Unternehmer werden zu Kadern

Schon als Oppositionspolitiker hatte Robert Habeck dieses Programm in geistiger Gefolgschaft von Mazzucatos Idee vom starken, dirigistischen Staat vertreten und erklärte als Weg, dass die öffentlichen Investitionen einen „gigantischen Weg von weiteren privaten Investitionen“ „schieben“ werden. Die öffentliche Hand, der Staat, soll vorgeben, worin Bürger und Unternehmen zu investieren haben. Die freie Marktwirtschaft sei wichtig, aber nur, wenn der Staat dafür sorge, dass „die großen Kräfte der Märkte, der Marktwirtschaft in die richtige Richtung laufen – und dann brauchen wir alle die Freiheit der Märkte, die Kreativität der Unternehmerinnen und Unternehmer“.

Das erinnert in fataler Weise an Stalin: „Wenn die Richtung klar ist, entscheiden die Kader alles.“ Unternehmer, denen die Richtung gewiesen wird, sind damit nur noch Kader einer grünen Gemeinwohlwirtschaft auf Schuldenbasis. Um das zu verwirklichen, so Habeck weiter, „bauen wir von der Mission aus, vom Ziel her aus eine klimaneutrale Gesellschaft. Wir brauchen dafür die freien Märkte, das freie Unternehmertum, aber es muss eine Richtung bekommen, […] und die Richtung bekommt es, wenn die öffentliche Hand mit ihrer Finanzierung vorangeht.“ Ge- sellschaft in der Art von Sozialingenieuren von der Mission her zu gestalten bedeutet, den (wie am Beispiel der DDR und der Sowjetunion bestens zu besichtigen) historisch gescheiterten Versuch, eine Utopie umzusetzen, die in der Verwirklichung zur Dystopie werden muss.

Wenn Habeck heute mahnt, dass „spätestens mit Beginn der nächsten Legislaturperiode eine Richtungsentscheidung“ anstehe, dann verkennt er die Wirklichkeit. Der Richtungswechsel dürfte darin bestehen, die Scherben aufzukehren und den Wiederaufbau der deutschen Wirtschaft zu beginnen.

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