Tichys Einblick
60 Jahre Bundesliga

Timo Konietzka war schneller als die Fernsehkameras

Die Bundesliga wird 60 Jahre alt. Zum Geburtstag widmet TE dem deutschen Fußball-Oberhaus eine Serie, in der wir Stars, Trends und Geschichten vorstellen. Etwa die eines historischen Helden mit Alkoholproblemen.

Borussia Dortmund - 1. FC Köln 3:1 - Friedhelm Timo Konietzka (BVB, li.) gegen Helmut Benthaus (Köln) am 29.06.1963

IMAGO / Ferdi Hartung

Timo Konietzka war zu schnell. Als der Dortmunder Stürmer am 24. August 1963 seine Borussia 1:0 gegen Werder Bremen in Führung schoss, waren die Kameras noch nicht aufgestellt. 58 Sekunden brauchte der spätere Trainer von Bayer Uerdingen für den ersten Treffer der Bundesliga. Jener obersten deutschen Fußballklasse, die in diesem Jahr ihren 60. Geburtstag feiert. Von Konietzkas historischem Moment gibt es nur Fotos, aber keine bewegten Bilder.

Die mediale Begleitung war in den Anfangstagen der Bundesliga mit der von heute nicht zu vergleichen. Mittlerweile erfassen die Kameras jeden Ecken des Stadions; kein Foul entgeht ihnen, kein Trainer, der in der Nase pobbelt und schon gar kein Tor. Dass die Kameras in der ersten Spielminute noch nicht aufgebaut sind, wäre heute undenkbar – und würde ein paar Entlassungen nach sich ziehen.

Doch mit dem großen Theater dieser Tage hatte das, was vor 60 Jahren an den Start ging, ohnehin nur wenig zu tun. Die Gründung war eine Reaktion auf die verpatzte Weltmeisterschaft in Chile ein Jahr zuvor. Die hatte gezeigt, dass Deutschland hinterher ist. Die anderen großen Fußballnationen hatten längst eine nationale Liga – wie so oft in seiner Geschichte war Deutschland auch im Fußball eine verspätete Nation.

Die Anfänge waren kläglich. Zwei Jahre sollte es dauern, bis das Fernsehen erstmals für die Übertragungsrechte zahlte: 650.000 Mark pro Saison. Insgesamt fast zehn Jahre vergingen, bevor es erstmals ein komplettes Live-Spiel im TV zu sehen gab. Ein medizinischer Stab fehlte. Wenn ein Verein einen Masseur beschäftigte, war der für die etablierten Stars reserviert – die jüngeren Spieler hatten sich selbst um die Entspannung ihrer Muskeln zu kümmern.

Das Ziel, den internationalen Rückstand aufzuholen, erreichte die Bundesliga recht bald. Weil die besten Mannschaften und Spieler nun Woche für Woche gegeneinander antraten, entwickelten diese sich schneller und besser. Die Nationalelf – damals war dieser Name unumstritten – setzte zu einer eindrucksvollen Serie an: Europa- und Weltmeister 1972 und 1974, Vize-Europameister 1976, Europameister 1980, Vize-Weltmeister 1982 und 1986 sowie Weltmeister 1990. Vier Titel und drei Vize-Meisterschaften in zehn Turnieren.

In den ersten Jahren war die Liga noch ausgeglichen. Erst 1971 gelang es mit Borussia Mönchengladbach erstmals einem Team in der Bundesliga den Titel zu verteidigen. Davor wechselten sich der 1. FC Köln, Werder Bremen, 1860 München, Eintracht Braunschweig, der 1. FC Nürnberg und Bayern München mit den Meisterschaften ab. Nürnberg ist bis heute der einzige Club, dem es gelang, als Meister abzusteigen – dem 1. FC Kaiserslautern glückte 1998 das Gegenteil: als Aufsteiger Meister zu werden.

In den 70er Jahren teilten sich dann die Fohlen aus Gladbach und die Bayern die Titel auf. Mit Stars wie Günter Netzer, Berti Vogts und Jupp Heynckes auf der einen oder Gerd Müller, Franz Beckenbauer und Sepp Maier auf der anderen Seite. 2012 hat mit Borussia Dortmund zuletzt ein anderes Team als die Bayern die Schale geholt – wer heute 15 Jahre alt ist, hat als Fußballfan bewusst noch nichts anderes als Münchener Meisterschaften miterlebt.

Die Erfolge der Bayern und Gladbachs hatten auch damit zu tun, dass sie zu den wenigen Vereinen gehörten, die Anfang der 70er Jahre nicht in den Bundesliga-Skandal verwickelt waren. Andere Teams, für die es um nichts mehr ging, hatten Spiele gegen Abstiegskandidaten abgeschenkt – gegen Geld. Die Liga erlebte ein Paradox: Die Zuschauerzahlen rutschten in den Keller, international war die Liga aber in der Folge erfolgreich: 1974 bis 1976 gewannen die Bayern den Landesmeistercup dreimal in Serie, der Hamburger SV holte 1977 den Pokal der Pokalsieger und die Gladbacher gewannen den UEFA-Pokal 1975 und 1979.

1980 gelang der Bundesliga dann ein Novum: Im UEFA-Pokal stellte sie mit Bayern, Gladbach und dem VfB Stuttgart sämtliche Halbfinalisten. Den Titel holte Eintracht Frankfurt. Danach ging es für die deutsche Liga aber sportlich bergab. Die italienische Liga und die spanischen Topclubs Real Madrid und FC Barcelona verfügten über mehr Geld und warben deutsche Stars ab. Zuerst Bernd Schuster, Karl-Heinz Rummenigge und Uli Stielike, später dann Rudi Völler, Lothar Matthäus oder Jürgen Klinsmann.

Finanziell hat die englische Premier League die Bundesliga abgehängt. Die konnte zwar vor drei Jahren stattliche 1,1 Milliarden Euro pro Saison für die Fernsehrechte erlösen. Doch das war ein leichter Rückgang im Vergleich zu 2016 – während in England gleichzeitig die Zahlungen durch die Decke gingen. Wobei die Geschichte der Bundesliga auch eine Geschichte der Suche nach neuen Einnahmequellen ist. Trikotwerbung etwa kam erst in den 70er Jahren dazu – und auch das nur gegen den anfänglichen Widerstand des Fußballbundes DFB. Heute dreht sich der Streit um die Frage, ob ein Investor mehr als die Hälfte der Anteile an einem Verein besitzen darf – so wie das in England zumindest bei den Topclubs üblich ist.

Wer von heute auf die Anfänge der Bundesliga zurückschaut, wird sehen, dass es die gleiche Liga und der gleiche Sport sind – aber beides nicht mehr viel miteinander zu tun hat. Etwa in Sachen Athletik war das Treiben von 1963 ein ganz anderes. Heute kann sich nur noch ein bestens geformter Sportler in der Bundesliga halten – 1963 gehörte Helmut Rahn zu den Spielern der ersten Stunde. 1954 war er zu dem Helden von Bern geworden – 1963 wurde er zum tragischen Helden der Bundesliga.

Sein Hang zum Alkohol hatte den damals 34 Jahre alten Rahn schon gezeichnet: in den Augen, an den Wangen und am Bauch. Trotzdem trat der Mann mit dem legendär harten Schuss für den Meidericher SV an – heute bekannt als MSV Duisburg. Und immerhin schaffte er in 18 Spielen acht Tore. Doch er stellte auch eine Marke auf, die ihm keiner mehr nehmen kann: Rahn war der erste Spieler, der in der Bundesliga eine Rote Karte sah. Am vierten Spieltag gegen Hertha BSC Berlin. Wegen einer Tätlichkeit. Der DFB sperrte ihn für drei Spiele. Nach der ersten Saison machte Rahns Körper dann endgültig nicht mehr mit und der Held von Bern, der Mann, der deutsche Fußball-Geschichte geschrieben hat, kam nur noch einmal zum Einsatz: gegen Borussia Neunkirchen. Die Saarländer hatten zuvor Bayern München die Bundesliga gestohlen – aber das ist eine andere Geschichte aus 60 Jahren Bundesliga.

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