In diesem August sind es drei Jahre her, dass der SPD-Vorstand den damaligen Finanzminister Olaf Scholz zum Kanzlerkandidaten gekürt hat. Wer als Journalist damals kommentierte, das sei der richtige Schritt, musste sich Hohn und Spott gefallen lassen. Zu unrealistisch schien es, dass Merkels Vizekanzler eine Chance hätte, sich gegen die Kandidaten der CDU und der Grünen durchzusetzen.
Drei Jahre später ist die Situation ähnlich. Die Ampelkoalition liegt in den Umfragen zwischen sechs und acht Prozentpunkten hinter einer rechnerischen Mehrheit von AfD und Union zurück. Scholz redet viel, ohne etwas zu sagen, und die nähere politische Perspektive droht für seine Regierung verheerend zu werden: Die Wirtschaft schmiert ab. Gleichzeitig erhöht die Bundesregierung im Dezember die LKW-Maut um mehr als 80 Prozent – und im Januar die CO2-Steuer für alle um 25 Prozent. Die Inflation, die in Deutschland ohnehin über dem Schnitt des Euroraums liegt, wird sich dadurch weiter anheizen.
Über die Schwäche der Union ist bereits viel geschrieben worden: vor allem über den tapsigen Vorsitzenden Friedrich Merz, der mit nur wenig Rückgrat ausgestattet ist. Auch über das Grundsatz-Programm, das es erst im Mai geben wird – weil die Merkel-Partei vorher erst einmal nach Grundsätzen suchen muss. Wie sich das auswirkt, zeigt ein Blick in den Pressespiegel von diesem Montag: Generalsekretär Carsten Linnemann spricht sich gegen eine Anpassung des Renteneintrittalters an die Lebenserwartung aus – nachdem er zuvor dafür war. „Differenzierte Lösungen“ solle es stattdessen geben. Der CDU-Gesundheitspolitiker Tino Sorge fordert höhere Eigenbeteiligungen für Patienten.
Zuallererst stört diese Kakophonie der CDU. Jeder darf da mal irgendwas fordern. Ohne dass es von einem Beschluss des Vorstands oder der Partei gedeckt wäre. Auch nicht von einem Grundsatz-Programm, dass es ja noch nicht gibt. So entsteht der Eindruck von Beliebigkeit, irrelevantem Geschwätz. Aber eigentlich ist dieser Eindruck noch harmlos im Vergleich zu dem, was wirklich hinter diesen beiden Vorschlägen steckt.
Oder der Vorschlag Linnemanns. „Differenzierte Lösungen“ für die Rente. Hört sich gut an. Wieder eine Schlagzeile für Merz’ neuen Mann. Doch was würde das bedeuten, wenn es umgesetzt wird? 1,7 Millionen Rentenanträge sind im vergangenen Jahr gestellt worden. Will Linnemann für die alle eine individuelle Bemessungsgrundlage? Viel Spaß beim Ausrechnen, viel Spaß mit der Bürokratie. Die will Linnemann aber ebenfalls reduzieren. Gut. Das fordern alle immer. Kostet ja nichts, hat auch keine Konsequenzen.
Die CDU wird bis 2025 immer weniger in der Lage sein, bürgerliche Stimmen an sich zu binden. Die AfD wird die Stimmen der Unzufriedenen hinter sich versammeln und somit weiter zulegen. Aber das sind tote Stimmen. Für einen Regierungswechsel werden sie nicht reichen, und sie stärken ausgerechnet Olaf Scholz. Denn kommt es in zwei Jahren zu einer Zuspitzung der Kartellparteien gegen die AfD, der Machthaber gegen die Opposition, dann profitiert davon auf der einen Seite die AfD – und auf der anderen Seite der Regierungschef, als Personifizierung der Machthaber. Wobei die CDU ausdrücklich unter „Machthaber“ zu zählen ist.
Das Kabinett Scholz zeigt schon jetzt zwei Tendenzen: Zum einen ist es bereit, Schulden zu machen – 500 Milliarden Euro, seit die Ampel regiert. Zum anderen sind sie gut in Taschenspielertricks, mit denen sie die Schuldenmacherei vertuschen. Stichwort „Sondervermögen“, Stichwort „Klima- und Transformationsfonds“. Dazu kommt eine Medienlandschaft, die sich in großen Teilen offen dazu bekennt, auf der Seite der Machthaber zu stehen – und daher wenig Ehrgeiz zeigt aufzudecken, was „Sondervermögen“ tatsächlich sind.
Eine Gesellschaft, die meint, mehr durch Veränderungen zu verlieren als durch das Fortsetzen der bisherigen Fehler. Eine Gesellschaft, die lieber das bekannte Elend wählt – aus Furcht, das unbekannte Elend könnte schlimmer sein. Und ein zur Regierungs-PR-Maschinerie verkommener „Journalismus“. Alle Zutaten für die Wiederwahl von Olaf Scholz 2025 sind heute schon da – auch wenn es heute danach nicht aussehen mag. Aber das dachten am Anfang der Kanzlerschaft Merkels auch alle.