Tichys Einblick
Wird es ohne eine Wehrpflicht gelingen?

Ein Plus von 100 Milliarden für die Bundeswehr: Wie gewinnt man das notwendige Personal?

Die Bundeswehr hat ein Personalproblem. Die Gewinnung von Nachwuchs ist mit dem Aussetzen der Wehrpflicht vor gut zehn Jahren immer schwieriger geworden. Die Frage ist also: Führt an der Wiedereinführung der Wehrpflicht ein Weg vorbei?

Straßenbahn in Mühlheim an der Ruhr

IMAGO / Jochen Tack

Die Personalstärke der Bundeswehr wurde seit der Wiedervereinigung von 486.825 Soldaten (Stand 1989) über 331.148 (1999) auf 183.758 (Januar 2022) reduziert. Im Jahr 2018 wurde großspurig eine „Trendwende Personal“ ausgerufen mit dem Ziel, die Gesamtstärke der Streitkräfte bis 2025 wieder auf 203.000 Soldaten zu erhöhen.

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Zwei Probleme bzw. Fragen drängen sich hier schon auf. Fast 20.000 Dienstposten der Bundeswehr (entsprechend ca. 13 Prozent der Gesamtstärke) sind derzeit nicht besetzt. Wie man diese Lücke schließen will, bleibt immer noch nebulös. Und: Ebenso nebulös bleibt die Antwort auf die Frage, wie man 20.000 weitere „Mann“ für die Aufstockung auf 203.000 gewinnen will. Hinzu kommt, dass von der Gesamtstärke von 183.758 nur rund 140.000 Personal effektiv zur Verfügung stehen. Alle anderen sind im Krankenstand, in Mutterschutz, sind als Personalrat freigestellt, zur NATO oder ins Ministerium abkommandiert, in Aus- oder Weiterbildung und stehen damit eigentlich nicht zur Verfügung. All diese Fakten und Probleme lösen sich mit 100 zusätzlichen Milliarden Euro nicht einfach in Luft auf.

Will sagen: Wenn die Bundeswehr jetzt (für welchen Zeitraum auch immer) 100 Milliarden Euro zusätzlich bekommen soll, dann geht es ja beileibe nicht nur darum, dass die Bundeswehr weitere Leo-Panzer (Stückpreis ca. 15 Millionen), neue Kampfjets (Stückpreis für einen F15 rund 100 Millionen, für einen F35 ca. 50 Millionen), neue U-Boote der Dakar-Klasse (Stückpreis je rund 1 Milliarde) oder neue Fregatten (Stückpreis rund 1,5 Milliarden) ausgeben können soll.

Bei einem realen Personalkostenanteil von rund 50 Prozent (hier also 50 Milliarden) stellt sich vielmehr die Frage, woher das für die Bedienung dieser Waffensysteme entsprechende Personal kommen soll. Gerade in den Bereichen, wo die Bundeswehr in Zeiten neuer Kriegsformen (siehe Cyber) hochkarätige Spezialisten braucht (Ingenieure, Informatiker), wird sich solches Personal nur mit einer attraktiven Vergütung locken lassen. Entsprechende Pläne sind nicht in Sicht.

Unabhängig davon wissen wir, dass die Gewinnung von Nachwuchs vor gut zehn Jahren mit dem Aussetzen der Wehrpflicht immer schwieriger geworden ist. Frage also: Führt an der Wiedereinführung der Wehrpflicht ein Weg vorbei?

Wird es zu einer Umkehr und Neubesinnung kommen?

2011 wurde die Wehrpflicht ausgesetzt. Seit Jahren war dies ein Herzenswunsch des damaligen CDU/CSU-Koalitionspartners F.D.P. Möglich wurde das damalige Ende der Wehrpflicht durch eine an der Bundeswehr desinteressierte Kanzlerin Merkel, einen willfährigen CSU-Vorsitzenden Seehofer und einen karrierefixierten Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU), der damals zum „shooting star“ der Union, gar zum späteren Kanzler hochgelobt wurde. (Am Rande: Der sich alsbald aber wirklich zum „shooting star“ im ursprünglichen Sinn des Wortes entwickelte, nämlich zum verglühenden Kometen.) Dieser hatte 2010 eine Defizitanalyse zur Bundeswehr in Auftrag gegeben.

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Auf der Basis dieser Analyse schlug zu Guttenberg im Juni 2010 dem Bundeskabinett vor, bei der Bundeswehr acht Milliarden einzusparen und die Wehrpflicht auszusetzen, sie aber im Grundgesetz zu belassen. Das Bundeskabinett folgte zu Guttenbergs Vorschlag am 15. Dezember 2010. Ab 1. März 2011 wurde schließlich niemand mehr einberufen. In den Regierungsparteien gab es keinerlei Widerstand. Auch die angeblich ach so bundeswehrtreue CSU machte den Beschluss mit. Ein CSU-Parteitag hatte der Aussetzung der Wehrpflicht am 20. Oktober 2010 mit überwältigender Mehrheit und ohne Gegenrede zugestimmt. Zu Guttenberg damals wörtlich: „Es ist eine sicherheitspolitische wie eine patriotische Verantwortung, die wir für die Bundeswehr haben.“

So schnell verdampft „Patriotismus“! So schnell verschwindet eine Bundeswehr aus der Gesellschaft und aus Zigtausenden von Familien. Und so schnell verdampfen die Warnungen von Experten, die der Bundeswehr in der Folge erhebliche Personalprobleme prognostizierten. Denn weit mehr als die Hälfte der Längerdienenden hatten sich bislang aus dem „Pool“ der Wehrpflichtigen rekrutieren lassen. So blieb die damalige Entscheidung mit Wirkung bis heute kopflos, vor allem ohne jedes Konzept, wie man auf dem freien Arbeitsmarkt Personal gewinnt. Die Folgen sind bekannt.

Wird es zu einer Umkehr und Neubesinnung kommen? Es ist zu befürchten, dass keine tragende politische Kraft den Mut aufbringt, eine Wiedereinführung der Bundeswehr zu verlangen. Zu sehr würde man damit wohl in die Befindlichkeiten der Nachkommenschaft wohlstandsverwöhnter und „woker“ Einkindfamilien eingreifen. Das traut sich niemand, wiewohl es im Zuge einer allgemeinen Dienstpflicht nicht schaden würde, wenn die jungen Leute wenigstens ein Jahr ihres jungen Erwachsenenlebens etwas flügge würden und einen Dienst an einem Gemeinwesen leisteten, der ihnen so ziemlich alles – von der Infrastruktur über das Bildungs- bis hin zum Gesundheitssystem – auf dem Silberteller präsentiert.


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