Die Tinte auf den Ernennungsurkunden der aktuellen Minister war kaum trocken, da wurde die Bundesregierung mit der Wirklichkeit in Europa konfrontiert. Putins Angriff auf die Ukraine sorgte im Handumdrehen für einen neuen Schwerpunkt: Kanzler Scholz verkündete mit 100 Milliarden zusätzlichen Euro für die Bundeswehr unerwartete Prioritäten. Bereits die erste Entscheidung aus diesem riesigen Schuldentitel gerät nun allerdings mit der Beschaffung des Tarnkappenfliegers F-35 von Lockheed Martin zur reinen Symbolpolitik. Die nukleare Teilhabe für die so wichtige militärische Abschreckung wird damit nicht gestärkt.
„Die F-35 bietet ein einzigartiges Kooperationspotential mit unseren NATO-Verbündeten und weiteren Partnern in Europa“, verkündete Verteidigungsministerin Christine Lambrecht. Damit liegt sie immerhin richtig, nachdem eine ganze Reihe europäischer Länder wie sogar die Schweiz und Finnland das Modell einführen. Dabei gilt die F-35 als eines der teuersten Rüstungsprojekte der USA. Dieser US-Kauf ist aber nicht nur ein Rückschritt für die europäische Luftfahrtindustrie. Das entscheidende Manko tut sich bei der Frage nach dem Wofür auf.
Unglaubwürdige Abschreckung: Nukleare Teilhabe mit Kampfflugzeugen
Ein bemannter Langstreckenflug bis in ein angenommenes Feindgebiet würde sich damit auf mehr als 2000 km (Köln – Smolensk), plus Rückweg erstrecken. Auch das Setzen auf vorgeschobene Einsatzflugplätze in Osteuropa kann nicht überzeugen, weil atomare Trägerluftfahrzeuge im Falle des Falles für jeden Gegner automatisch Zielkategorien allererster Güte darstellen. Vergleichsweise leicht bekämpfbar würde ihnen die konzentrierte Aufmerksamkeit der gegnerischen Luftverteidigung gelten. Die nukleare Abschreckung ist aber nur dann glaubwürdig, wenn derartigen Einsätzen eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit zuerkannt werden kann.
Nun könnte man einwenden, dass außer Deutschland ja auch Belgien, Italien, die Niederlande und die Türkei daran beteiligt sind und (außer der Türkei) ebenfalls die F-35 einführen. Ein systematischer Fehler wird aber nicht dadurch besser, wenn er von Partnerländern in ähnlicher Form geteilt wird. Die Flugzeugführer aller Länder sind stolz darauf, wenn sie mit dem neuesten US-Kriegsgerät lautstarke Löcher in den Himmel bohren können. Im Übrigen liegen bei Luftwaffenoffizieren, Beamten in Beschaffungsbehörden wie auch Politikern Dienstreisen in die Vereinigten Staaten hoch im Kurs. Da können Fahrten beispielsweise zur Airbus Verteidigungssparte nach Manching schlichtweg nicht mithalten.
Cruise Missiles die Lösung
Eine Alternative sind unbemannte Flugkörper, die entweder von mobilen Startrampen oder auch Unterseebooten aus die Aufgabe nukleare Abschreckung überzeugend wahrnehmen könnten. Damit würden weit geringere Betriebskosten anfallen, weil Flugzeuge die übungs- und personalaufwendigste und nicht zuletzt auch umweltbelastendste Lösung darstellen. Übrigens ein Punkt, der noch nirgends auf der Agenda steht: die Dekarbonisierung des Militärs. Mit einer U-Boot gestützten Lösung wäre dieser Punkt so nebenbei voranzubringen. Mit bemannten Kampfflugzeugen ist jedenfalls unter den heutigen Randbedingungen eine ernstgemeinte nukleare Abschreckung nicht mehr überzeugend darstellbar. Mit den in der Größenordnung fünf bis zehn Milliarden Euro für ein Tornado-Nachfolgemuster wären selbst fünf Unterseeboote der Klasse 212 zu beschaffen – mit weit geringerem Betriebsaufwand. Vor allem aber mit einer plausiblen Abschreckungswirkung, die mit bemannten Flugzeugen aus den dargestellten Gründen ausscheidet.
Dreh- und Angelpunkt dieser Überlegungen ist nicht die Führbarkeit eines Atomkrieges, sondern die Glaubwürdigkeit der Abschreckung. In der jetzigen Form mit Kampfflugzeugen wird lediglich sündteure Symbolpolitik betrieben. Wenn die nukleare Teilhabe mehr werden soll, muss sie auf neue, bestenfalls europäische Beine gestellt und mit überzeugenden Einsatzmitteln neu aufgebaut werden. Es ist allerdings zu bezweifeln, dass unsere gegenwärtige Regierung die politische Kraft dazu hat. Mit überholten Einsatzkonzepten ist der Frieden militärisch aber nicht zu sichern. Und ein erheblicher Teil des angekündigten Sondervermögens über 100 Milliarden Euro würde auf diese Art und Weise auf dem deutsch-amerikanischen Freundschaftsaltar verbrannt, ohne die Kampfkraft der Bundeswehr zu stärken.