Tichys Einblick
10 Jahre „Tichys Einblick“

Ein großes Fest für die Freunde der Freiheit

Eine nicht für möglich gehaltene Erfolgsgeschichte feiert Geburtstag. Deutschlands erstes und bis heute einziges liberal-konservatives Meinungsmagazin hat zur großen Party geladen. 800 erleben eine Veranstaltung ganz im Zeichen des Rechts auf die eigene Meinung – und getanzt wird dann auch noch.

Bevor es losgeht, meldet sich auch die Sonne zum Dienst. Die Nacht zuvor hatte es noch wie aus Eimern geschüttet. Doch am Vormittag reißt dann urplötzlich der Himmel auf, und die Besucher können den Weg von den nahe gelegenen Bus- und Straßenbahn-Haltestellen zum Messegelände bei allerbestem Wetter schlendern.

800 Bürger aus allen Teilen des Landes sind an diesem Samstag nach Halle an der Saale gekommen. Viele haben keine Mühen und Kosten gescheut und einige Strapazen auf sich genommen, um hier dabei zu sein. Sabine Meister zum Beispiel: Die zweifache Mutter aus Trier hat einen weiten und – der Deutschen Bahn geschuldet – recht beschwerlichen Weg hinter sich. Doch als sie zusammen mit vielen anderen auf den Parkbänken in der Grünanlage vor der Veranstaltungshalle darauf wartet, dass sich die Tore öffnen, ist sie bestens gelaunt.

„Das wollte ich mir auf keinen Fall entgehen lassen“, sagt die 38-jährige Altenpflegerin. „Hier sind Menschen, mit denen man sich vernünftig unterhalten kann.“ Außerdem wolle sie Roland Tichy treffen und ihm persönlich gratulieren: „TE zeigt mir, dass doch noch nicht alle völlig verrückt geworden sind.“

Im Foyer entwickeln sich dann schnell lebhafte Gespräche. Wildfremde Leute finden sich zusammen, politisieren, tauschen Erfahrungen und Meinungen aus. „Allein dafür hat sich der Besuch hier schon gelohnt“, sagt ein bärtiger Mann mit einem Kaffeebecher in der Hand. Und da hat das Programm noch gar nicht angefangen.

Stehende Ovationen

Als alle einen Stuhl in der bis auf den letzten Platz gefüllten Halle in Halle gefunden haben, läuft auf der Großbildleinwand ein kurzer Film, der die Entstehungsgeschichte des Geburtstagskinds „Tichys Einblick“ nachzeichnet. Danach geben die jungen Moderatoren (und TE-Autoren) Charlotte Kirchhoff und Maximilian Tichy ein paar Hinweise zum Ablauf.

Dann betritt TE-Gründer Roland Tichy die Bühne. Er hat noch kein Wort gesagt, da erheben sich die Zuschauer von ihren Sitzen und applaudieren. Es ist ein ungewöhnlicher Moment in diesen Zeiten: Normalerweise bekommen Medienleute heutzutage Applaus von ihren Kollegen, aber nicht vom Publikum. Bei Tichy ist es genau andersherum.

Zwei Jahrzehnte lang war der heute 68-Jährige ziemlich unangefochten der führende Wirtschaftsjournalist in Deutschland: Chefredakteur bei „Impulse“, bei der „Wirtschaftswoche“, bei der „Telebörse“, bei „Euro“. Kaum eine Woche verging, in der er nicht in irgendeiner Talkshow saß – ein gefragter und angesehener ökonomischer Experte.

Bis er anfing, Angela Merkel zu kritisieren. Man konnte gar nicht so schnell gucken, wie aus dem Star ein Ausgestoßener wurde. „Mutti“ und ihre wachsende Anhängerschar in den Redaktionen duldeten keinen Widerspruch. Kein Job mehr, keine Einladungen zu Talkshows mehr.

Aber dafür „Tichys Einblick“.

Etwas fürs Herz

Es ist nicht ganz leicht, über das Geburtstagsfest einer Publikation zu schreiben, für die man selbst arbeitet. Man tut sich vor allem schwer damit, eine angemessene Sprache für emotionale Momente zu finden. Man will ja nicht kitschig sein. Andererseits will man durch übertriebene Nüchternheit bewegende Augenblicke auch nicht kleiner machen, als sie in Wirklichkeit sind.

Bewegend ist die Erinnerung an verstorbene Autoren – vor allem an Ismail Tipi, einen Mitstreiter der ersten Stunde, der bis zu seinem Tod fest zu Tichy gehalten hat. Bewegend ist auch Tichys Dank an seine eigene Ehefrau Andrea, die stoisch erträgt, Schläge einzustecken, die eigentlich ihrem Mann gelten. Als er sich in seiner Rede an sie wendet, schluckt Tichy mehrmals, und auch so mancher Zuschauer hat da einen Kloß im Hals.

Als die Herzfrequenz wieder sinkt, wird das TE-Team vorgestellt. Und das hat eine echte Überraschung für den Chef: Lewin Berner, Boss des Schuhkonzerns Sioux und langjähriger Freund, überreicht eine echte, lebensgroße Ritterrüstung. „Bei eBay ersteigert, zum Schutz gegen all die Angriffe“, lacht der Unternehmer, und Tichy ist sichtlich gerührt.

Fulminanter Vortrag

Die große Festrede kommt von ZDF-Legende Peter Hahne. Er habe nicht an das Projekt TE geglaubt, erzählt der Mann, der viele Jahre die „heute“-Nachrichten leitete – zu einer Zeit, als das noch eine ernstzunehmende Nachrichtensendung war. Inzwischen ist „heute“ bekanntlich auch nur eines der unzähligen austauschbaren Formate, in denen Haltungsjournalisten sich gegenseitig ihre eigenen Vorurteile bestätigen und damit immer mehr Zuschauer vertreiben.

Peter Hahne dagegen ist zwar pensioniert, aber so populär wie nie. Er schreibt einen Bestseller nach dem anderen, kritisiert darin den woken Wahnsinn, hält bejubelte Vorträge und kann über seinen ehemaligen Arbeitgeber nur noch milde lächeln. Dass er mit seiner Prognose zu TE falsch lag, sei einer der schönsten Irrtümer seiner Karriere gewesen, sagt er. Seine Rede mit dem Titel „Unser Kampf für Meinungsfreiheit“ wird auch hier in Halle ausgiebig bejubelt.

Das Programm im Saal ist gespickt mit großen Namen: der Philosoph Klaus-Rüdiger Mai, der Physiker André Thess, der Energie-Experte Frank Hennig, der Meinungsforscher Hermann Binkert vom Institut INSA, die Autorin Cora Stephan – sie alle halten Vorträge, werden auf der Bühne interviewt oder nehmen an Podiumsdiskussionen teil.

Auch im Publikum findet sich Prominenz ein. Als Tichy zufällig Vera Lengsfeld entdeckt und begrüßt, brandet spontaner Applaus im Saal auf. Die Bürgerrechtlerin hat in der ehemaligen DDR immer noch einen erstklassigen Ruf.

Gläserne Redaktion

Im Foyer wird nicht nur für das leibliche Wohl der Besucher gesorgt. Dort stehen auch zwei Glaskästen. In dem einen arbeiten TE-Autoren an der Website, die selbstverständlich auch während des Fests in gewohntem Rhythmus mit frischen Texten aktualisiert wird. Im anderen produziert Holger Douglas seinen „TE-Wecker“, den morgendlichen Nachrichten-Podcast von „Tichys Einblick“.

Sehr viele Besucher nutzen die einmalige Gelegenheit und schauen den TE-Leuten live bei der Arbeit auf die Finger bzw. auf das Mikrofon. Und in den Pausen entstehen auch hier zahllose Gespräche zwischen den Gästen und den Gastgebern.

Party-Time

Nach gut sechs Stunden ist die Veranstaltung vorbei. Fast. Denn es folgt: der gemütliche Teil. Immer noch scheint die Sonne und vertreibt alle Wolken vom Himmel. Die Freifläche neben der Halle ist im Stil eines Gartenlokals hergerichtet – mit Bänken und Tischen und Sonnenschirmen und netten Sitzecken mit Sesseln.

Eine Band spielt coole Live-Musik (Spoiler: am Schluss, wenn schon sehr viel Wein und Bier geflossen sind, werden ein paar ganz Mutige tanzen). Das Catering ist vorzüglich. Klaus-Dieter Mölling aus Leipzig ist offenbar ein humorvoller Mensch, denn er ruft irgendwann: „Dass der Tichy auch kochen kann, ist wirklich sensationell.“ Die Lacher sind ihm sicher.

Die Stimmung ist entspannt und aufgeräumt – ein bisschen so, wie TE sein will: kritisch, aber nicht verbissen. Angriffslustig, aber nicht unversöhnlich. Ernst, aber doch auch unterhaltsam.

Es ist schon weit nach Mitternacht, als die letzten Gäste gehen. Roland Tichy bleibt da noch ein bisschen sitzen.

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