Tichys Einblick
Ware und Wahrheit

Vorurteil oder Verstand: Die Sooo-Deutsch-Kampagne der Bundesregierung

Dass Werbung irgendeinen Sinn ergibt für Macher und Betrachter, kann niemand belegen. Aber mit ihr kann man wunderbar Aktivität demonstrieren und Künstler spielen. Da will natürlich auch die Bundesregierung dabei sein.

Bild: Die Bundesregierung

Freunde, das ist nur Werbung … das kann weg. Heutzutage trauen nur noch fünf Prozent der Bevölkerung der Werbung noch irgendeinen informativen Gehalt zu. Im Grunde ist die große Werbeleistung der hippen Werbefuzzis, dass sie es den Entscheidern in den Führungsetagen der Wirtschaft eingebläut haben, dass Werbung einfach dazugehört. Und das schöne: Mit Werbung demonstriert man Aktivität – vor allem nach innen.

Regierung: ideologische Geldverschwendung
"Das ist sooo deutsch."
Dagegen auf der Leistungsebene Veränderung herbeizuführen, bedarf strategischer und konzeptioneller Weitsicht, eines Überzeugungswillens, Durchhaltevermögens, eines Planes. Die Ergebnisse schlagen sich – messbar – relativ schnell an der einzig konkreten Kennziffer im Unternehmen nieder: Dem Gewinn… oder Verlust. Mit der Werbung ist es eine solche Sache: Werbung hat eine eigene Logik – sagt man. Sagen also diejenigen, die damit Geld verdienen. Jeder einigermaßen altbacken-rationale (und damit frustrierte) Marketing-Manager weiß, dass auf die Feststellung, ob die „Werbung“ denn etwas bringe, die Antwort von Seiten der modern-lifestyle geprägten (und hoch erfolgreichen) Werbehupfdohle ist: Das ist Imagewerbung, die sich erst mit der Zeit bezahlt macht. Eine direkte Erfolgsmessung sei unmöglich. Inzwischen helfen sich die großen Impressarios damit, dass sie die psychologischen Auswirkungen ihrer teuren Aktionen messen: Die Likes, „Daumenhochs“, „Shares“ ihrer Werke. Jedoch: Likes bezahlen keine Mitarbeiter. Voll daneben, aber kollektiv gelernt und damit richtig.

Werbung hat sich schon immer ihre eigene (Schein-)welt geschaffen. Sie entstand an den Rändern des Wirtschaftssystems, dort wo man nicht durch ehrliche Leistung, sondern – reclamare, Ihr Altsprachler! – durch Herumgeschreie für Aufmerksamkeit sorgen musste. Der erste europäische Werbeprofi, Hans Domizlaff, nannte das „Jahrmarktstil“: Schnell da und schnell wieder weg … aus Kognition und Kasse. Die Werbung arbeitet nun seit mehr als vier Generationen daran, den Machern einzutrichtern, dass Werbung eine Kunstform sei. Das macht ihre Faszination aus und erklärt die unfassbare Existenzdichte von attraktiven Hochschulabsolventen, die zum Stundenlohn einer Näherin in Dhaka tirilierend in die coolen Fabriketagen wanken und Komasaufen mit „Club-Mate“ veranstalten. Wer Werbung, also Kunst macht, der enthebt sich aus dem schnöden Alltag, der Langeweile des Immergleichen, dem Durchschnitt.

sooo Merkel
Das ist sooo Bundesregierung: wie eine Plakatkampagne nach hinten losgeht
Kein Wunder, dass auch die „Politik der Alternativlosigkeit“ am unendlichen Firmament gedanklicher Visionen teilhaben möchte, auf dem sogar Sternschnuppen erscheinen. Endlich einmal wild sein, endlich einmal provozieren, endlich einmal die Revolution wagen – zumindest auf der Litfaßsäule, die heute – man fasst es nicht – „Stadtmöbel“ heißen!

So lasst ihnen doch den Spaß …, wenn’s nicht so teuer wäre. Nehmen wir das einfach als Keyensianisches-Investitionsmodell.

Und die Inhalte. Ja, ja die alten Vorurteile. Sir Peter Ustinov, der wirklich gut war und deshalb fast vergessen, sagte einmal: „Wenn der Rivale des Vorurteils der Zweifel ist, dann ist sein Komplize die Bequemlichkeit, im Bündnis mit der Rechthaberei.“ Und Rechthaberei ist und bleibt die Kerngröße deutscher Politik von links bis rechts. Schön, dass Form und Inhalte so gut zusammenpassen. Wie – Achtung Modewort – disruptiv doch dieser kommunikative Ansatz ist: Vorurteile erschüttern durch die Verdeutlichung der Vorurteile. Verhaltenspsychologischh die alte Erkenntnis von der Neutralisierung des Sachverhaltes durch die Verdeutlichung des Sachverhaltes. Angst mit Angst bekämpfen. Oder: Vorurteile mit Vorurteilen bekämpfen.

Alles Mumpitz. Denn Vorurteile funktionieren, weil sie alle bestätigen: Die, die es bereits immer wussten und die, die sagen es sei alles anders. Der ebenfalls große und ebenfalls nur noch possierlich wahrgenommene Max Horkheimer schrieb vor gut 60 Jahren: „Vorurteil nennt ursprünglich einen harmlosen Tatbestand. In alten Zeiten war es das auf frühere Erfahrung und Entscheidung begründete Urteil, praejudicum. Später hat die Metaphysik, Descartes, Leibniz zumal, eingeborene Wahrheiten, Vorurteile im strengsten Sinne, zur höchsten philosophischen Wahrheit erklärt.“ Wenn Politik philosophisch wird, dann mag man sich über soviel Tiefe und Weitblick endlich einfach einmal freuen. Es gibt noch Leben in der politischen Willensbildung.

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