Tichys Einblick
Milliardenverlust bei Gillette

Portemonnaie und Poesie: Gillettes sensible Männer verkaufen nicht

Anfang 2019 tirilierten die Fachmagazine „Gillette verbannt Sexismus aus der Werbung“. Weinende Männer, die in Spiegel blickten, ließen uns spüren, dass es so nicht mehr weiterging. Schulterklopfen in Chefetagen und Bars … Mission accomplished.

SOPA Images/LightRocket via Getty Images

Wirtschaft ist eigentlich eine simple Sache: Man verdient Geld oder man verdient keines. Das ist der Zweck der Zusammenkunft. Dass dieser Treiber funktioniert, hat einige Menschen sehr glücklich gemacht und andere in den Wahnsinn getrieben, jedoch viele Aufkleber für Heckscheiben produziert, auf denen steht „Dass man Geld nicht essen kann“. Als (situativ) progressiver Demonstrant weiß ich übrigens, dass der Sticker einen Euro am Agitationsstand kostet.

Über die „Philosophie des Geldes“ hat Georg Simmel richtige Dinge geschrieben, so richtig, dass er im modernen Wissenschaftsbetrieb gerne als „Klassiker“ bezeichnet wird und somit irrelevant ist. Ein wenig so, wie dazumal Ur-Opas Kriegsschichten aus „WERDÖNG“. Man hörte zu mit dem guten Gefühl, nix zu verpassen. Passé adé.

Das Produkt erzählt Geschichten

Simmel schrieb: „Geld ist nichts als die reine Form der Tauschbarkeit […].“ Nun leben wir in wilden Zeiten: Die fundamentalen Bedürfnisse sind inzwischen durch Coca Cola, Sahnejoghurts, Bulletten für den Toaster allumfassend gedeckt. Wir tauschen gerne unser Geld für die planvollen Segnungen der Nahrungsmittelproduzenten, auch wenn es Zeit kostet und manchmal sogar noch grobkörnig krümelt. Viel eher aber tauschen wir mit Geld eine gewünschte Haltung ein: Mit jedem Kauf eines Produktes erzählen wir auch immer ein wenig über uns selbst und wie wir gerne gesehen werden wollen – ob wir es wollen oder nicht. Anzug von C&A oder von BOSS. Jede Fußgängerzone verdankt diesem Gedanken ihre Existenz. Steht River Cola auf dem Tisch oder Coca Cola? An sich doch irgendwie gleich und im Kopf vollkommen anders. Der Mensch verbraucht nicht, er wählt. Das Produkt als Esperanto der Globalkultur. Das funktioniert in Sekundenbruchteilen, sogar ohne Sprache. Bis unter die Halskrause voll mit Wissen, erzählt das Etikett auf der Bierflasche, ob wir eher „kernige“ Burschen oder „Genießer“ sind. Es ist traurig, dass das Wunderwerk Gehirn vor allem für Banalitäten herhalten muss.

Und weil Waren für die Selbstdefinition in der Welt immer umfassender werden und (scheinbar) Herkunft, Religion, Familie und Milieu („We are one!“) abgelöst haben, kann Ich mit der Wahl der Kaltgetränke viel schneller und sichtbarer für mich und meine Umwelt „Ich“ werden. Haben ist Sein. Ein Lobgesang auf die persönlichkeitsfördernde Kraft des Markenartikels! Kann man nix machen, würde man in Hamburg murmeln.

Kaufend weltverbessern

In der „old economy“ war der legitime Zweck eines Unternehmens, mit seinen Produkten Geld zu verdienen, jetzt schreibt sich die Avantgarde der globalisierten Wirtschaft nicht weniger auf ihre Fahnen als die „Verbesserung der Welt“ – liest man die coolen Selbstbeschreibungen und Mission Statements. Werbung ist dabei das schnellste Mittel, um seine hehren Ansprüche an das Volk zu bringen. Die Werbung geht dabei voran, denn sie wird getragen von den jungen, urbanen, formal gut gebildeten Nomaden der Neuzeit. Ihre Lebenswirklichkeit spielt in den – ohne Zweifel – coolen Bars der Schanzen, Friedrichshaine und Ehrenfelder. Dort ist die Welt in der Leichtigkeit der Jugend ganz anders: Besser. Vernünftiger. Heller. Als Werber ist es Aufgabe, eben diese „IMOSCHÄN“ (Emotion) weiterzugeben. Pädagogisch einzugreifen und die richtigen Werte zu vermitteln.

Die alte Männermarke „Gillette“ wurde schließlich durch den Geist der neuen Männlichkeit geshanghait. Statt knorriger Typen, die nach dem Kampf mit der Klinge, strahlend die pralle Blondine wohin auch immer abschleppen, war fortan das sensibel-schnuffige Männlein gewünscht: „Möchtest Du auch noch einen Jasmin-Tee?“. „Gillette verbannt Sexismus aus der Werbung“, tirilierten die Fachmagazine. Weinende Männer, die in Spiegel blickten, ließen uns spüren, dass es so nicht mehr weiterging. Schulterklopfen in Chefetagen und Bars … Mission accomplished.

Nun ist Wirtschaft ganz einfach: Man verdient Geld oder man verdient keines. Gillette hat keines mehr verdient. 8 Milliarden Abschreibung. Nun ist nichts so irrelevant wie Werbung, aber Ethikinseln in der Realität des Alltages haben noch nie funktioniert. Leider. Wie schrieben wir an dieser Stelle vor sieben Monaten: „Aber auf eines ist Verlass: Die Ethik der Werbung endet dort, wo die Kasse aufhört zu klingeln und so können wir uns beruhigt die Klinge an die Wange legen, von unten nach oben ziehen und sicher sein, dass auch dieser Spuk eine nette geistige Hupfdole war. Werbung ist halt Werbung.“

Die Welt ist einfach und es wäre vermessen, sich etwas anderes einzubilden.

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