Wie um Himmels Willen soll denn heute noch eine Botschaft, geschweige denn ein Gestaltungswille an die Frau und an den Mann gebracht werden? Machen wir uns nichts vor: Ein Unternehmer, der für sich entscheidet ein Produkt zu entwickeln, muss zunächst einmal mindestens Gesetzestexte und Verordnungen im Umfang der Bibel beachten und an sich davon ausgehen, dass irgendein findiger Jurist schon Lücken bei Verpackungsverordnung oder Kennzeichnungspflicht findet. Mit einem Bein steht man als Unternehmer und/oder Ideengeber eigentlich immer im Knast, bei Wasser und Brot. Der gute Soziologe Georg Simmel wies (im Duktus seiner Zeit) darauf hin, dass eine zunehmende Kreuzung sozialer Kreise und Akteure ein Indikator für Moderne sei. Auf deutsch: Der Bauer im Mittelalter traf im Laufe seines Tages auf seine nervige Familie, seine Nachbarn und am Sonntag auf den Pfarrer. Heute sind wir bis zum Mittagessen bereits mit einer unzähligen Anzahl von Akteuren bewusst-unbewusst in Kontakt getreten, von Produzenten des Müslis, über den Vermieter der schicken Wohnung bis hin zum regionalen Verkehrsverbund …
Alle Eventualitäten zu beachten, die für-was-auch-immer nötig wären, um normgeprüft zu agieren, ist in unserem Zeitalter nicht mehr möglich. Das gilt für Waren, aber auch für Ideen. Einfach mal so etwas zu erdenken, eine politische Ideologie beispielsweise irgendwo nebenbei beim Köcheln einer Minestrone, ist in Zeiten der „Hyperkomplexität“ nicht mehr möglich. Irgendwann wird irgendwer schon sagen: Der Sachverhalt ist viel komplexer … und überhaupt: „Wo ist der Beleg? Wo ist die Fußnote?“ Diese allem zugrundeliegende überbordende Wirrniss des normalen Lebens verlangt deshalb Inseln der Klarheit. Erfahrungen, die eindeutig und klar in der Aussage sind: Aus der Rhetorik ist das Muster bekannt: Menschen konstruieren aus konkreten Sachverhalten abstrakte Urteile. Ganz konkret: Aus einem klappernden Handschuhfach schließen wir: Schlechte Qualität. Das alles ist nicht neu. Der Privat- und Universalgelehrte Leibniz schrieb keck: „In den Sinn kommt man nur über die Sinne.“ Ja, so reden Menschen oder haben Sie ihrer Frau kürzlich ins Ohr geflüstert: „Schatz, was war das doch für ein qualitätsorientierter Urlaub?“ Die menschliche Kommunikation ist fast ausschließlich geprägt von der Verdeutlichung „konkreter Erfahrungen“ – bis auf politische Podiumsdiskussionen und die Werbung von Mercedes-Benz.
Ein besonders eingängiges Beispiel der politischen Überzeugungsstrategie ist die Verwendung der Holzklasse. Mythos Holzklasse: Man ist sich gar nicht sicher, wer damit anfing, aber erste Beispiele der Einpflege politischen Personals in die Katakomben der Masse, sind uns von Fidel Castro überliefert, der 1960 anlässlich seiner Rede vor der Vollversammlung der Vereinten Nationen, einige Nächte im volksnahen Hotel Theresa in Harlem nächtigte und dort Nikita Chrustschow empfing, Helmut Schmidt machte sein Reihenhaus (in Wirklichkeit waren es drei zusammengeführte Reihenhäuser) zum Zentrum der Weltpolitik. Barak Obama ließ sich regelmäßig beim Tragen selbst abgeholter gebackener Enten und Chop Sueys beim Chinesen fotografieren. Angesichts des supranationalen Charakters ist der moderne Politiker heutzutage viel unterwegs. Seine besondere Volksnähe und Sensibilität macht er am besten deutlich, wenn er nicht im Privatjet, sondern im Economy-Linienflug zu europopäischen Treffen jettet. Yannis Varoufakis ließ es sich nicht nehmen, auf Platz 14D ein Nickerchen zu pflegen bevor er sich mit dem immer etwas gebieterisch dreinschauenden Herrn Jeroen Dijsselbloem vermöbelte, auch Sebastian Kurz lächelte vor kurzem tapfer zwischen Bordtrolley und Classdevider hervor. Politische Berater kennen die Weisheit: „All politics is local“ oder anders formuliert „All politics is hölzern“ … denn in Zeiten in denen Politik nicht mehr gestaltet, sondern verwaltet, bietet gerade die Klassenhaftigkeit des Transports eine der wenigen Möglichkeiten, um konkrete Botschaften zu setzen. Pierre Bourdieu, der gute französische Wissenschaftler der feinen Unterschiede, machte Zeit seines Lebens klar, dass es die unmerklichen Zeichen sind, die das soziale Miteinander von „Du gehörst zu uns … oder nicht“ strukturierten. Mit jedem lauwarmen Kaffee im Pappbecher und einem hermetisch laminierten Käsesandwich, haut der kommunikative Holzhammer auf uns ein: Ich bin einer von Euch, ich verzichte auf Pomp, auf Gloria … sehr gut, sehr richtig.
Halten wir einen Moment, da die Kaffeetasse vor uns hin dampft, inne, denken wir nach: Haben wir die tatsächliche Botschaft wirklich verstanden? Hier passiert etwas eigenartiges, dass sich erst nach einigem Nachdenken offenbart: Der Wunsch Teil der Gemeinschaft zu sein, nicht abzuheben, die ewig herangezogenen „Sorgen und Nöte“ der „Menschen da draußen im Lande“ zu kennen, ist richtig, macht sympathisch …, aber geht es denn um den Menschen, der dort sitzt oder ist er nicht vielmehr Funktionsträger, Repräsentant, Botschafter seines Amtes. Sitzt Österreich, Griechenland oder wer auch immer in der Holzklasse und die Revolution in Halbpension? Hoffentlich nicht. Trifft sich der fesche Christian mit der Angela? Die Vermischung von Person und Gestalt hat in unseren Tagen wahnhafte Züge angenommen und überdeckt das 1×1 des Staats- und Amtsverständnisses.
Was wir symbolisch bezeugen, ist die Betonung der Person vor ihrer demokratisch verfügten Funktion. Und so ist die Holzklasse zwar oberflächlich ein Zeichen für die Bescheidenheit und doch ein schauderhaftes Bild der Selbstüberschätzung. Länder und ihre Vertreter jedoch haben einen Eigenwert – jedes für sich, jedes gleich, jedes wichtig und dieses sollte immer auch vor der Person stehen. Hybris in Holz. Das ist traurig. Zum Glück wissen es zumindest die Franzosen besser: Was M. Macron an Inszenierung vorlebt, ist das Gegenteil der Holzklasse … und kaum einer nimmt es ihm übel. Die Franzosen, halt? Nein, das Wissen um den eigenen Wert und seine Verankerung in der Geschichte … in Zeiten des Jetzt und der Austauschbarkeit.
Es stellt sich die Frage: Macht politische Kommunikation etwas, das man als gut bezeichnen kann? Und wieso kommen diese Kommunikationstypen überhaupt auf die Idee, öffentliche Flugzeuge, Hotels und Reihenhäuser für ihre schrägen Realitätskonstrukte und Zielgruppenansprachen zu missbrauchen? Anders gesagt: Der Weg vom Ich zum Wir führt über die Vergegenwärtigung eines geliehenen Amtes. So einfach ist das eigentlich.