Ich verabschiede mich von einem Kollegen. Der sagt zu mir: „Bleiben Sie gesund. Das ist ja das Wichtigste im Leben.“ Auf der einen Seite freue ich mich über diese neue Corona-Verabschiedungs-Redewendung. Es tut immer gut, wenn andere Menschen um einen besorgt sind.
Und Gesundheit ist wirklich eine wichtige Sache. Darum ernähre ich mich gesund, mache ein wenig Sport, achte auf genügend Schlaf, versuche mich nicht über Kleinigkeiten aufzuregen; darum verzichte ich auf Suchtmittel und halte lieber etwas Schmerz aus, als eine Schmerztablette mit diversen potentiellen Nebenwirkungen zu nehmen. Ja, Gesundheit ist zweifelsohne wichtig. Und dafür bin ich bereit, ganz schön viel zu investieren.
Aber ist sie wirklich das Wichtigste im Leben?
Ich lebe in einem diakonischen Dorf zusammen mit vielen Menschen mit geistiger Behinderung und mit chronischer Erkrankungen. Zeigen sie mir nicht jeden Tag, wie nah dran sie an einem erfüllten Leben sind trotz mangelnder Gesundheit, indem sie auf ihre Art wunderbare Freundschaften aufbauen und mit all ihren sieben Sinnen oft viel sinnvoller leben als ich?
Und umgekehrt: Kenne ich nicht genügend gesunde und erfolgreiche Menschen, die trotz guter Gesundheit oft genug am Leben zweifeln oder gar verzweifeln, weil ihnen eine echte Freundschaft fehlt oder sie keinen Sinn im Leben finden?
Im Alten Testament wird dem König Asa vorgeworfen: „Und in seiner Krankheit suchte er nicht den Herrn, sondern nur die Ärzte“ (2. Chronik 16,12).
Modern interpretiert: Selbst in Krankheitstagen sucht euer Seelenheil nicht nur bei Medizinern und Virologen, denn dann könnte ihr bei aller Gesundheitsfixierung alles andere wichtige verlieren. Und was hilft es dem Menschen, wenn er alle Gesundheit gewinnt, dabei aber Schaden an seiner Seele nimmt?
Als man Jesus einmal fragt, was das Wichtigste im Leben sei, dann antwortet er nicht, dass man gesund bleiben soll; vielmehr sagt er die berühmten Worte: „Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen und deinen Nächsten wie dich selbst“ (Lukas 10,27).
Das heißt doch: Die menschlichen Beziehungen sind zentral im Leben. Und erstaunlicherweise können gerade in Krankheitstagen solche Beziehungen an Tiefe und Menschlichkeit reifen.
Heute feiern wir Weihnachten.
Die Weihnachtsgseschichte redet überhaupt nicht von Gesundheit und ist doch voller Ermutigung, Freude und Heilung: „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude! Denn euch ist heute der Heiland geboren.“
Was für ein Trost für unser menschliches Leben, zu dem Krankheit und Tod gehört – erst recht mit zunehmendem Alter.
So wichtig Gesundheit im Leben ist und so wichtig es ist, viel für die Gesundheit zu tun, so fatal ist es, die Gesundheit zum Wichtigsten im Leben zu erklären. Denn damit würde jeder sterbliche Mensch letztlich sein Heil im Kampf gegen Windmühlen suchen. Das kann nur in der Frustration enden.
Wie tröstlich dagegen ist die Weihnachtsbotschaft, die Gesunden und Kranken, Jungen und Alten, Reichen und Armen das Heil eröffnet: Menschliche und himmlische Beziehungen und Sinn im Leben: „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden“ (Lukas 2,14).