Tichys Einblick
Klima-Apokalyptik

Wider die Heiligsprechung von Fridays For Future durch die evangelische Kirche

Die Evangelische Kirche im Rheinland (2,4 Millionen Mitglieder) ruft zur Teilnahme am Fridays-For-Future-Klimastreik auf. Ein Pfarrer dieser Kirche stellt Präses Thorsten Latzel zehn kritische Fragen.

IMAGO / Fotostand

Zwei Tage vor der Bundestagswahl hat die Bewegung „Klima-über-alles“-Fridays-For-Future (FFF) deutschlandweit zu Schulstreiks und Großkundgebungen zur Weltrettung aufgerufen.

Die Evangelische Kirche im Rheinland (EKiR), die zweitgrößte deutsche evangelische Kirche mit 2,4 Millionen Mitgliedern, unterstützte voll und ganz den Klimastreik. Ihr Präses Dr. Thorsten Latzel veröffentlichte über die Homepage der Landeskirche folgenden Aufruf:

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„Beteiligen Sie sich am Klima-Streik. Setzen Sie ein Zeichen für den Wandel, der jetzt passieren muss, nicht morgen… Wenn die Menschheit nichts unternimmt, wird die Durchschnittstemperatur der Erde bis zum Jahr 2030 so weit steigen, dass Hitzewellen, Tropenstürme, extreme Regen- und Schneefälle und intensivere Waldbrände häufiger werden. Das sind keine apokalyptischen Bedrohungsszenarien, sondern seriöse wissenschaftliche Prognosen… Durch Untätigkeit schneiden wir uns langfristig von dem ab, was uns trägt und am Leben erhält. Und wir widersprechen, so unsere christliche Überzeugung, dem ersten Auftrag Gottes, dass wir unsere Schöpfung schützen und bewahren sollten.“

Zu diesem Aufruf habe ich als rheinischer Pfarrer folgende zehn Anfragen:

Erstens: In der Seelsorge begegnen mir Gemeindeglieder, die sich angesichts einseitiger politischer kirchlicher Stellungnahmen nicht mehr trauen, ihre abweichenden Meinungen in der Kirche offen auszusprechen. Sehr geehrter Herr Präses, ist Ihnen bewusst, dass Sie im Namen Ihres Amtes und im Namen unserer ganzen Kirche mit Ihrer unkritischen und undifferenzierten Unterstützung die politische FFF-Bewegung sakralisieren? Haben Sie im Blick, dass Sie mit dieser Verschmelzung von Politik und Religion einen sachlichen, kontroversen und demokratischen Diskurs erschweren oder sogar unmöglich machen, weil Gegenrede damit den Geruch des Unchristlichen bekommt?

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Zweitens: In der Seelsorge begegnen mir Jugendliche, die keine eigenen Kinder mehr haben möchten und keine richtige Ausbildung mehr machen wollen, weil die Welt sowieso vor dem Untergang stehe. Die FFF-Apokalyptik hat, wie all die vielen apokalyptischen Bewegungen in der Menschheitsgeschichte zuvor, fatale psychologische Konsequenzen. Sehr geehrter Herr Präses, ist Ihnen bewusst, dass die von Ihnen unterstützte Endzeitpanik auf mathematischen Modellrechnungen beruhen, die auf äußerst wackeligem Boden stehen und die sich in der Vergangenheit immer wieder als falsch herausgestellt haben? Sollte die Kirche darum nicht vorsichtig sein, sich in den wissenschaftlichen Diskurs einzumischen und bestimmte Prognosen als „die seriöse Wissenschaft“ zu bezeichnen?

Drittens: In der Seelsorge begegnen mir Gemeindeglieder, die die Natur über alles lieben, die jedoch darunter leiden, dass im Namen des Klimaschutzes die Natur und Biodiversität zerstört wird: Kastration der Wildflüsse durch Wasserkraft-Erzeugung,
Zerstörung der Landschaften und Luftströme durch massenhafte Windkraftprojekte, Monokulturen zur Biogaserzeugung, Flächenfraß durch Photovoltaik-Kraftwerke, dazu im Hintergrund ein zweites komplettes fossiles Kraftwerkssystem für Zeiten der Sonnen- und Windflaute. Sehr geehrter Herr Präses, wie gehen Sie mit der Tatsache um, dass Klimaschutz und Umweltschutz schneller als gewollt in einen Zielkonflikt geraten können? Kann es sein, dass unter dem Deckmantel Ihres Mantras „Bewahrung der Schöpfung“ die Schöpfung mehr zerstört als bewahrt wird?

Viertens: In der Seelsorge begegnen mir ärmere Gemeindeglieder, die unter den hohen Strompreisen und unter CO2-Steuern leiden. In Zukunft könnte sich diese Problematik verschärfen, wenn man bedenkt, dass etwa „klimaneutraler Stahl“ in der Herstellung wesentlich teurer ist als konventionell hergestellter Stahl. Sehr geehrter Herr Präses, könnte es sein, dass Ihr FFF-Lobpreis Ausdruck einer Mittelschicht-Funktionärs-Beamtenkirche ist, die sich Klimaideologie leisten kann, weil sie in ihrem Wohlstandselfenbeinturm noch Luft nach unten hat? Sind die von Ihnen geschmähte AfD oder auch Sahra Wagenknecht viel näher dran an den „Witwen und Waisen“ (Sprüche 31,8), wenn sie den Zielkonflikt von Klimaschutz und sozialer Politik herausarbeiten?

Fünftens: In der Seelsorge begegnen mir Gemeindeglieder, die weit auf der Welt herumgekommen sind, und die betonen, dass Klimaschutz unbedingt wirtschaftliche Stärke und Innovationskraft braucht. Sehr geehrter Herr Präses, sind es nicht gerade die auf FFF-Propaganda-Kundgebungen viel geschmähten Parteien FDP, CDU/CSU und SPD, die noch ein Gespür für den Zielkonflikt von Klimaschutz und florierender Wirtschaft haben, der zu beachten ist, damit CO2-Verminderungen fortschrittsfreundlich erforscht und finanziert werden können?

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 Sechstens: In der Seelsorge begegnen mir Menschen, die darunter leiden, dass in Coronazeiten der Staat immer übergriffiger wurde, u.a. indem er eine nicht regulär zugelassene Impfung mit einem ausgeklügelten Belohungs- und Bestrafungssystem allen Menschen aufdrängt. Diese Gemeindeglieder befürchten, dass solche Übergriffigkeit des Staates durch die Klimathematik verstärkt werde, weil FFF den Umstieg auf vermeintliche Klimaschutz-Lebensformen durch staatliche Zwangsmaßnahmen erzwingen möchte. Sehr geehrter Herr Präses, stört es Sie nicht, wenn mit Klima-Subventionitis, Klima-Umverteilung, Klima-Bürokratie, Klima-Regulierungen, Klima-Steuerung der Staat bis ins Privatleben hinein immer mehr Macht an sich reißt und darüber individuelle Grundrechte und individuelle Leistungsbereitschaft an die Ketten des Staates gelegt werden? Sieht die Kirche nicht die Gefahr, dass sich mit einer „Klimaregierung“ eine übergriffige Demokratur mit staatsdirigistischen digital-sozialen Belohnungs- und Bestrafungssystemen etablieren könnte?

Siebtens: In der Seelsorge begegnen mir Menschen, die eine Sehnsucht nach einer tröstenden, heilenden, versöhnenden und erlösenden Präsenz Gottes haben. Sie sind enttäuscht von einer Kirche, die zu einer Echokammer eines politischen Aktivismus’ degeneriert ist, und die bei Ihrem Satz „wir schneiden uns langfristig von dem ab, was uns trägt und am Leben erhält“ nicht an Gott oder Christus denkt, sondern an grüne Ideologie. Sehr geehrter Herr Präses, vernachlässigen Sie vor lauter FFF-Sakralisierung ihren eigentlichen Auftrag, die Menschen in die Freundschaftsbeziehung zu Gott zu rufen? Unterstützen Sie damit einen gottvernachlässigenden Säkularismus, indem Sie Religiosität in grünen Moralismus auflösen?

Achtens: In der Seelsorge begegnen mir Gemeindeglieder, die ihre Bibel kennen und die mich darauf aufmerksam gemacht haben, dass der „erste Auftrag“ Gottes in der Bibel entgegen Ihrer Aussage nicht die Bewahrung der Schöpfung ist, sondern: „Und Gott segnete die Menschen und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und herrschet über die Vögel unter den Himmeln und herrschet über das Vieh und alles Getier, das auf Erden kriecht“ (Genesis 1, 28f).“ Die Bibel weiß um die dialektische Spannung von „Herrschen über die Natur“ (Gen 1,28f) und „Bewahrung des Garten Edens“ (Gen 2,17) und gibt den Menschen dadurch das Recht, etwa gegen die Corona-Natur herrschend anzukämpfen. Sehr geehrter Herr Präses, werden Sie selber zum Öko-Fundamentalisten, wenn Sie diese fruchtbare biblische Spannung auflösen und auf einen einzigen übergeordneten „ersten Auftrag“ reduzieren? Wollen Sie unsere vielstimmige volkskirchliche EKiR zu einer fundamentalistischen grünen Sekte verwandeln?

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Neuntens: In der Seelsorge begegnen mir Menschen, die sich von dem kirchlichen Mantra der „Bewahrung der Schöpfung“ überfordert fühlen. Die „Bewahrung der Schöpfung“ (vermeintliche Belegstelle Genesis 2,17) ist für sie eine zu große Last, zumal die Schöpfung immerhin eine Ausdehnung von mehr als zehn Milliarden Lichtjahren hat. In Genesis 2,17 setzt Gott den Menschen in den Garten Eden; und allein diesen begrenzten Garten Eden soll der Mensch bebauen und bewahren. Gott überfordert im Gegensatz zur Kirche die Menschen nicht. Sehr geehrter Herr Präses, stellt sich damit bei genauerem Hinsehen heraus, dass das vermeintlich christliche Schlagwort „Schöpfungsbewahrung“ und sein säkulares Pendant „Weltrettung“ de facto eine unchristliche Aufforderung für den Turmbau zu Babel ist? Wollen Sie wirklich die Kirche als Vertreterin eines menschlichen Machbarkeitswahns positionieren, der sich anmaßt, das Universum und das universale Klima im Griff zu haben?

Zehntens: In der Seelsorge begegnen mir Gemeindeglieder, die sich in einer einseitig politisierenden Kirche nicht mehr Zuhause fühlen. Sehr geehrter Herr Präses, ist Ihnen bewusst, dass Sie mit ihrer landeskirchlichen Gleichschaltung von FFF und Ev. Kirche viele andersdenkende Christen vor den Kopf stoßen? Würde es Ihnen insgeheim gefallen, wenn diese andersdenkenden = vermeintlich falschdenkenden Christen die EKiR verlassen, damit Sie die EKiR zu einer noch reineren FFF-Kirche umgestalten könnten?

PS. Diese Anfragen habe ich am 1.10.2021 per Mail an meine Landeskirche / an meinen Präses Dr. Thorsten Latzel geschickt.

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