Tichys Einblick
Vorwort zum Sonntag

Wie stehen die vier Kanzlerkandidaten zum christlichen Glauben?

In diesem Vorwort zum Sonntag geht es um eine Seite an den Kanzlerkandidaten, die im säkularen Deutschland wenig betrachtet wird, die aber vielleicht doch die Kandidaten mehr charakterisiert, als man denkt.

IMAGO

Martin Luther hat im Sinne seiner Zwei-Reiche-Lehre den genialen Satz sagen können: „Die Führung des Staates muss nicht heilig sein, auch seine Regierung braucht keine christliche sein. Es genügt völlig, dass im Staat die Vernunft herrscht.“

Deutschland, wenn es sein Wohlstandsniveau halten möchte, braucht unbedingt eine vernünftige Wirtschafts-, Energie-, Steuer-, Migrations-, EU-, Infrastruktur- und Außenpolitik. Politiker sollten darum den freien Meinungsaustausch zum Finden von vernünftigen Lösungen unterstützen. Die Religion des Politikers darf den vernünftigen politischen Diskurs durchaus anregen. Aber sie darf auf keinen Fall den vernünftigen politischen Diskurs erschweren mit alternativlosen Direktiven, die sich mit klerikalem Heiligenschein aufplustern.

Kanzler Olaf Scholz (66) ist in der Kommunikation über sein Verhältnis zum christlichen Glauben äußerst zurückhaltend. Wenn man ihn fragt, warum er aus der evangelischen Kirche ausgetreten sei, dann antwortet er nur: „Ich habe für mich eine Entscheidung getroffen.“ Auch sonst bleibt er unkonkret: Er gehöre zu den wenigen Deutschen, die die ganze Bibel gelesen hätten. Und dabei habe er gemerkt, wie sehr das kulturelle Leben und Denken in Deutschland davon geprägt sei. Diese allgemeinen Aussagen bleiben oberflächlich und blass, weil Scholz die Aspekte nicht näher entfaltet, die er dabei im Blick hat, falls es da etwas geben sollte.

Friedrich Merz (68) ist der einzige Kanzlerkandidat, der in einer Kirche Mitglied ist und der sich selber als gläubigen Christen und Katholiken bezeichnet. Er glaubt an ein Leben nach dem Tod mit Hebräer 13,14: „Denn auf dieser Erde gibt es keine Stadt, in der wir für immer zu Hause sein können. Sehnsüchtig warten wir auf die Stadt, die im Himmel für uns erbaut ist.“ Mit dieser Hoffnung beinhalte das „C“ in der CDU das Wissen, „dass wir nur die vorletzten Antworten auf dieser Welt geben und nicht die letzten“. Dieser Deutung des Parteinamens kann ich viel abgewinnen in einer Zeit, wo politische Moralismen eine letzte und damit religiöse Autorität beanspruchen und den gesellschaftlichen Diskurs vergiften.

Dann kommt auch bei Merz die übliche CDU-Standardfloskel, dass das „C“ in CDU dafür stehe, dass die Politik der Partei auf einem „christlichen Menschenbild“ basiere. Das christliche Menschenbild ist meiner Meinung nach, dass der Mensch ein Sünder vor Gott ist, das heißt dass der Mensch sich selber nicht erlösen kann und darum allein auf die Gnade Gottes zur Lebenserfüllung angewiesen ist. Auf diesem christlichen Menschenbild basiert die Kirche, aber doch keine Partei!

Robert Habeck (55) hat sich seine philosophischen Gedanken über Gott gemacht und kommt zu der steilen Aussage: „Ich habe zu viele Philosophen gelesen, um an Gott glauben zu können.“ Diesen Satz finde ich genauso sinnvoll wie den Satz: „Ich habe zu viele Kuchen gebacken, um die Grünen wählen zu können.“ Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Gott als Schöpfer des Himmels und der Erde transzendiert menschliche Philosophie, aber wohl nicht die denkerische Größe eines Robert Habecks. Demut und das Wissen um die eigenen Grenzen scheinen nicht Habecks Stärke zu sein.

Alice Weidel (45) zeigt sich bei einem Interview mit dem jungen christlichen Influencer „Ketzer der Neuzeit“ als interessierte „Gottsucherin“. Weidels Lebenspartner Sarah Bossard wurde im Alter von drei Monaten von einer schweizerischen Pastorenfamilie adoptiert. Bossard sei eine tiefgläubige Christin, die jeden Sonntag den Gottesdienst einer Freikirche besuche und aus ihrer Gottesbeziehung Frieden, Kraft und Trost tanke. Weidel liest immer mal wieder einige Verse aus den Psalmen oder aus den Weisheitssprüchen Salomos. „Mein Schwiegervater hat mich dazu gebracht.“

Über die Kirchen regt sich Weidel auf, weil diese das Schlepperwesen im Mittelmeer unterstützen und sich an vielen Stellen religiös-spirituell überhöht in die Politik einmischen. Damit würden sie den offenen politischen Diskurs behindern. Vielleicht weiß Frau Weidel das nicht, aber an diesem Punkt ist sie näher als die evangelische Kirche dran an Luthers „es genügt völlig, dass im Staat die Vernunft herrscht“.

Vier Kandidaten, vier Einstellungen zum christlichen Glauben. Ich halte es für bemerkenswert, dass viele Kirchen ausgerechnet zu den beiden Parteien ein gutes Verhältnis pflegen, deren Kanzlerkandidaten die Distanz zum christlichen Gottesglauben betonen. Zu den Parteien der beiden anderen Kanzlerkandidaten fallen die Kirchen auf, wenn sie engagiert mittendrin bei Demonstrationen dabei sind, auf denen skandiert wird: „Ganz Berlin hasst die CDU“ oder „Essen hasst die AfD“. Ich bezweifle, dass diese parteipolitisch einseitige Grundausrichtung vieler Christen und Kirchen vernünftig ist.


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