Neulich ärgerte ich mich über einen Kirchenmann, der öffentlich eine bestimmte politische Meinung als einzig wahrhaft christliche dargestellt hatte. Wir kennen uns zwar nicht persönlich, aber ich setzte meinen Ärger konstruktiv um, indem ich ihm eine sachlich widersprechende Email schrieb. Nach wenigen Minuten bekam ich eine Antwort: „Ich verbitte es mir, von Ihnen Emails zu bekommen. Bitte streichen Sie mich aus Ihrer Adressliste.“
Damit wird Opposition kurzerhand in den Bereich der Tabuzone gedrückt mit den typischen Kennzeichen eines tabubestimmten Diskurses: Scham statt Rationalität, Moralisierung statt Sachlichkeit, Verdrängung statt Offenheit, Unterdrückung statt Aufklärung, Überheblichkeit statt Ehrlichkeit, Abspaltung statt Integration.
- Die jetzige Form des Euro und der EU
- Die Verdammung der Atomkraft
- Die unkontrollierte Massenzuwanderung als Heilmittel
- Gerechtigkeit nur durch Genderideologie
- Die sofortige und radikale deutsche Vermeidung von CO2 als einzige Möglichkeit, die Welt zu retten
- Die ‚Impfung‘ als alleiniger Weg aus der Pandemie
- Die Lösung aller Gesellschaftsprobleme durch den Staat
An dem Rand dieser nahezu parteiübergreifenden, medial-kulturellen Alternativlosigkeiten wachsen die Tabuzonen, in denen es einige Menschen doch tatsächlich wagen, eine andere Ansicht zu vertreten.
Die ach so selbstsichere Mehrheit geht mit diesen Minderheiten genauso um, wie sie mit Tabubrechern immer umgegangen ist: Gnadenlose und irrationale Diffarmierung, Ausgrenzung, Bestrafung und Bekämpfung. Eine Rückkehr von der Tabuzone in den Bereich der Mehrheitsgemeinschaft ist kaum noch möglich oder nur durch strenge Bußübungen, Abschwörungen und Reinigungszeremonien.
Dadurch kommen zu den vielen politischen Tabuthemen noch viele „Tabumenschen“ hinzu, die von der Unheilssphäre der Tabuzonen umgeben sind und von denen man sich unbedingt fern halten muss. Auch von daher kann die reflexartige Antwort des Kirchenmannes verstanden werden: „Ich verbitte es mir, von Ihnen Emails zu bekommen. Bitte streichen Sie mich aus ihrer Adressliste.“ Er musste sich wohl ausdrücklich von mir „Tabumensch“ distanzieren, um selber im Bereich des Heils bleiben zu können.
Wie kann unser Land aus dieser fatalen Spaltung von Heilssphären und Tabuzonen herauskommen?
Dann bräuchte die Opposition nicht mehr in den Bereich des Tabus abgedrängt zu werden. Sie könnte statt dessen als bereichernder Gegenspieler angesehen werden, der der Mehrheit hilft, ihre Position besser argumentativ zu begründen oder gar ihre Position zu korrigieren oder zu verbessern.
Unsere Gesellschaft wäre dann weiterhin vielfältig und unterschiedlich in ihren Meinungen; aber sie wäre nicht mehr gespalten. Die Brücke zueinander wäre gebaut, auf der echte Begegnung und Dialog möglich wäre.