Empörung ist das Natürlichste von der Welt. Empörung ist ein starkes Gefühl, das aufgeregt in uns aufsteigt, wenn etwas mit Füßen getreten wird, was uns wichtig ist. „Was für eine Sauerei! Das geht so nicht!“ Fragen sie mal ihre Mitmenschen, welche „Knöpfe“ man bei ihnen im Gespräch drücken muss, um sie empört auf die Palme zu bringen.
Mehr oder weniger schnell fühlen wir uns bei irgendetwas subjektiv Wichtigem auf den Schlips getreten. Und es gibt immer jemandem, der sich genau bei dem Gegenteil auf den Schlips getreten fühlt. Für Empörung ist damit immer und überall gesorgt. Eine lebendige Demokratie mit einem weiten Meinungsraum an Wichtigkeiten und mit Wertschätzung von Emotionen geht nicht ohne vielfältige Empörungserregtheiten.
Da sind viele zutiefst empört, wenn „Rechte“ es in der Migrationsdebatte wagen, Menschen nach nationaler Herkunft zu unterscheiden und von sozialstaatsgefährdender Zuwanderung zu sprechen. In ihrer Empörung schlagen sie erregt mit der Nazikeule um sich, reißen wütend alle AfD-Wahlplakate herunter und erstellen sogar Todeslisten. Empörung hat eine starke emotionale Eigendynamik, in der Gewalt berechtigt zu sein scheint. Die etablierten Parteien und ihre Netzwerke bis in die Tiefen der Gesellschaft hinein nehmen solche Empörung gerne auf, da darüber von eigenen Fehlern abgelenkt werden kann und eine Konkurrenz desavouiert wird, die ihnen politische Pfründe streitig macht. Bei einer relativ jungen Partei als breites Sammelsorium aus oppositionellen Querköpfen, die noch mehr als die alten Parteien ein „gähriger Haufen“ ist, wird man zudem immer Politiker finden, über die man sich heftig empören kann.
Auf der anderen Seite sind die „Rechten“ empört, dass man in unserem Land die grenzenlose Willkommenskultur nicht scharf kritisieren darf, selbst wenn man die besten Argumente auf seiner Seite hat. Und diese Empörung wird extrem angefeuert, wenn man mit seinem Anliegen einer offenen Debatte wie ein Ketzer behandelt wird, der mit Mitteln bekämpft werden darf, die für jede Demokratie unwürdig sind.
Damit ist das „Karussell der Empörung“ (Arist von Schlippe) schon mächtig in Fahrt. Diese Metapher vom Empörungskarusell veranschaulicht, wie schwer es ist, aus der Empörungsdynamik auszusteigen, wenn sie einmal in Fahrt kommt. Andererseits finde ich das Bild vom Karusell ein wenig beschönigend. Empörung hat einen Sog ins Destruktive, der keineswegs einer heiteren Karussellfahrt auf dem Jahrmarkt gleicht.
Auch bei Corona gab es eine extreme Pandemie der Empörung. Da haben Menschen der Pharmalobby vertraut, die einen neuartigen Impfstoff als „Game-Changer“ mit 90% prozentiger Sicherheit beim Eigenschutz und beim Fremdschutz angepriesen hatte. Natürlich waren diese Menschen zutiefst empört über alle „Covidioten“, die unbegreiflicherweise dieses nebenwirkungsfreie Geschenk des Himmels abgelehnt haben. Diese Empörung steigerte sich bis in ein perfides 2G-Apartheitsregime hinein. Empörung geht selten zimperlich mit denen um, über die man empört ist; zumal wenn man an den Hebeln der Macht sitzt und dann seine Empörung mit allen Gewaltmitteln des Staates aufrüsten kann.
Auf der anderen Seite waren die Impfkritiker empört, wie naiv Menschen einer noch nicht genügend erforschten Rendite-Kuh der Pharmakonzerne vertraut haben und dadurch enormen Druck zu einer undifferenzierten und nicht-evidenzbasierten Massenimpfung ausgeübt haben. Diese Empörung der „Querdenker“ wurde durch die unwürdigen Zwangs- und Diskriminierungsmaßnahmen gegen sie noch gesteigert.
Für den Empörten ist seine eigene Empörung immer 100% richtig und wichtig. Und auch für die Mitmenschen ist Empörung ein wichtige Emotion. Empörung ist ein wertvoller Kompass, der untrüglich anzeigt, was dem Empörten wichtig ist. Das ist gut zu wissen. Doch so wichtig die Empörung als psychologischer Selbsterfahrungs- und Fremderfahrungskompass ist, so wenig hilft sie beim nächsten Schritt; nämlich bei der Frage, wie die höchst vielfältig und unterschiedlich Empörten trotzdem gut und verträglich miteinander leben können.
Jede Empörung hat eine negative Eigendynamik in sich. Als Empörter ist man überzeugt, ganz und gar im Recht zu sein, ganz und gar zu den Guten zu gehören. Ungebremste Empörung schaukelt sich hoch zum „Empörialismus“:
- Empörialismus gibt der Empörung freien Lauf. Der Weg vom Fühlen zum Handeln ist kurz, schnell und unreflektiert.
- Im Empörialismus können sich Menschen gar nicht vorstellen, dass es jenseits der eigenen Emotionen noch berechtigte andere Sichtweisen gibt.
- Empörungserregtheiten können mit rechtsstaatlichen Regelungen nichts anfangen, weil der Rechtsstaat unterschiedliche Wichtigkeiten wahrnimmt, anerkennt und austariert und damit dem Totalitarismus des Empörungskultes zuwider ist.
- Empörialismus macht skurpellos von Machtmitteln gebrauch, um Andersdenkende zu besiegen, weil diese falsch liegen.
- Empörialismus hat die Hoffnung, totalitär zu gewinnen und ist darum einer der gefährlichsten Konflikttreiber und Konfliktverstärker in einer Gesellschaft.
- Wenn die Empörungskultur als Mehrheitsempörung daherkommt, dann ist Empörialismus die Herrschaft des Mobs. In der kollektiven Empörungswut erlebt der Mob ein aufputschendes Gemeinschaftsgefühl, das sich mehr oder weniger gewalttätig über andere Menschen erhebt.
- Im Empörialismus steht die freiheitlich-demokratische Rechtsordnung auf dem Spiel.
Klimakleber, Seenotretter, Impfpflichtanbeter, AfD-Hasser, Islamophobie-Bekämpfer und Regenbogenideologen sind in unserer Gesesllschaft oftmals Empörte, die gegenwärtig in starker Nähe zur Macht empörialistische Wege gehen können. Die Opposition, die (noch) nicht an der Macht ist, hat es schwieriger, ihre Empörung zum Empörialismus eskalieren zu lassen; die Opposition steht vielmehr vor der Herkulesaufgabe, sich dem Empörialismus zu widersetzen, ohne selber in den Sumpf einer destruktiven Empörung zu geraten.
Wenn etwas mit Füßen getreten wird, was uns wichtig ist, dann ist das Gefühl der Empörung unvermeidlich. Doch dann brauchen wir eine Empörungskultur, damit Empörung nicht gefährlich und destruktiv wird. Ein angemessener Umgang mit der menschlich-allzumenschlichen Empörungsemotionen gehört zu den notwendigen Grundfertigkeiten im demokratischen Miteinander. Eine konstruktive Empörungskultur erkennt folgende Leitlinien an:
- Empörung ist nicht ein alternativloser körperlicher Affekt, sondern auch ein durch kulturelle Prägung geformtes Gefühl; da andere Menschen anders sozialisiert sind, können sie mit ihrer Logik und mit ihrer Biographie eine andere berechtigte Sichtweise und Empörung haben, selbst wenn das meinem Gefühl widerstrebt.
- Darum ist es immer hilfreich, in einer hochemotionalen Situation innezuhalten und in die „Vogelperspektive“ zu gehen. Sich selbst von oben zu betrachten, heißt, den Blick zu weiten, offener für die Position des anderen zu werden, sich zu verändern.
- Emotionen werden im Prozess der Reflektion zu aussprechbaren und diskutierbaren Gemeinschaftsanregungen. Im Sprechen werden Emotionen verstehbarer und korrigierbarer.
- Im reflektierten Gespräch über Empörungen lerne ich individuelle Wichtigkeiten und Logiken kennen. Es ist sogar möglich, dass sich dabei manche Empörung als innere Verletzung herauskristallisiert, die mehr mit dem jeweiligen Menschen als mit dem Thema zu tun hat.
Wir sind hoffentlich keine Automaten, die dazu verurteilt sind, uns zwangsläufig so zu verhalten, wie es die Eskalationslogik der Empörung diktiert. Theoretisch haben wir mit dem Bundespräsidenten, den Kirchen, dem Öffentlich-Rechtlichen-Rundfunk und den Gerichten viele starke Institutionen, die quasi per se Vertreter einer Vogelperspektive sind. Jedoch sind diese in einem erschreckendem Ausmaß in das Karussell der Empörung miteingestiegen und fahren oftmals erstaunlich bereitwillig und antreiberisch mit. Darum braucht unser Land eine Erneuerung. Eine Transformation weg von einem gefühlsüberladenen Empörungs-Freifahrtschein hin zu einer aufgeklärten Vernunft, in der das Gefühl der Empörung als konstruktive Kraft für Erkenntnis mitgenutzt wird, ohne dabei dem Sog des Empörialismus zu erliegen.