Ich bin in meinem Leben selten so vielen tief verängstigten Menschen begegnet, wie in diesen Wochen. Da ist die alleinerziehende Mutter, die bisher jeden Monat überreichlich Nebenkosten für ihre Wohnung bezahlt hatte; und jedes Jahr hat sie mir dann stolz erzählt, wieviel sie bei der Nebenkostenabrechnung zurückbekommen hat. Das war ihre Spardose für eine größere Wunscherfüllung. Dieses Jahr ist sie tief geschockt, weil sie 700 Euro nachzahlen muss. Wegen Problemen mit dem Gasanbieter. Zum ersten Mal zeigt diese Frau offene Ängste, ob ihr Gehalt in Zukunft für den bescheidenen Wohlstand der kleinen Familie noch ausreichen wird.
Da ist der Vater, der seine Tochter schroff zurückweist: „Ohne Impfung will ich dich nicht mehr sehen; ohne Impfung bist du eine Gefahr für mich und deine Mitmenschen, dafür habe ich kein Verständnis.“ Der Vater hat Angst vor seiner eigenen Tochter. Und die Tochter hat Angst davor, ihren Vater innerlich zu verlieren, weil er sie wieder einmal mit ihrer Meinung abwertet. Und sie hat darüber hinaus auch ein wenig Angst, dass Corona sie schwer erwischt und sie dann als Ungeimpfte zum Gespött des Vaters wird.
Und jetzt kommen noch die Kriegsbilder aus der Ukraine hinzu. Wir Deutschen wissen nur zu gut, weiviel unsägliches Leid hinter diesen Bildern verborgen ist. Und die begrenzte Einflussmöglichkeit unserer deutschen Politiker ist nicht gerade mutmachend. Wer sich heute mit Politik beschäftigt, braucht eine robuste Persönlichkeit, um nicht der Schwermut zu verfallen.
Was können wir tun? Jeden Tag Holz hacken, um uns abzureagieren? Bestimmt nicht die schlechteste Lösung. Meine Tochter ist begeisterte Sportlerin und kann so manche Verspannungen abarbeiten. Ich lasse es etwas langsamer angehen und suche beim Spazierengehen in der Natur Entspannung. Und ich muss ganz ehrlich sagen: Nach einem Waldspaziergang hatte ich noch nie das Gefühl, meine Zeit nicht gut genutzt zu haben.
Ganz wichtig sind mir die Menschen, die mich mit meinen Gedanken und Gefühlen nicht abwerten, sondern akzeptieren und respektieren. In diesen Zeiten der Vorverurteilungen wegen Kleinigkeiten sind echte Begegnungen Scharzbrot für meine Seele. Ich will lernen, mehr Zeit und Dank und Wertschätzung in die menschlichen Beziehungen zu investieren, die mich nähren und tragen.
Wohl dem, der im Alltagshamsterrad zu tun hat und Strukturen findet, und der wenig Zeit hat, über die Dunkelheiten des Lebens zu intensiv zu grübeln. Unsere Vorfahren wussten, dass das Leben köstlich sein kann, wenn man bis über die Ohren zu tun hat.
Manchmal sind es Kunst und Kultur, die uns in hellere Gefilde führen.
Ein Bekannter von mir besucht in schweren Zeiten die alte Kapelle im Dorf. In diesen geschützten Gemäuern haben Menschen schon über Jahrhunderte ihr Leid vor Gott gebracht. Der Raum strahlt die Zuversicht aus, dass es einen Frieden jenseits von unserem Unfrieden gibt. „Unruhig ist unser Herz, bis es ruht in Dir, o Gott“, so hat es Augustin formuliert. Im Zeitalter der Säkularisation meinen die Menschen häufig, dass unser Herz auch ohne Gott Ruhe finden könne und spüren doch, dass diese Welt immer rastloser, zerrissener und fragiler wird. Wenn auf dieser Welt alles fließt, wo können wir dann anders Ruhe finden als im „Transzendenten“, d.h. in dem, der über diese Welt hinausgeht?
Wir brauchen Oasen für unsere Seele, damit uns in diesen irren Zeiten die Lebensenergie nicht versiegt und damit wir den nächsten kleinen Schritt schaffen, der vor uns liegt.
Schreiben Sie gerne einmal in Ihren Kommentaren von den Erlebnissen und Dingen, die Ihrer Seele helfen, auf Kurs zu bleiben. Das Schöne ist: Tankstellen für die Seele können auch klein und leise sein. Und immer sind sie ganz individuell.