Tichys Einblick
§ 130 StGB: kontraproduktiv und unsinnig

Der „Volksverhetzungsparagraph“ sollte gestrichen werden

Volksverhetzungsverfahren meinen es vielleicht gut, bewirken aber häufig genau das Gegenteil. Absurde Verfahren verschwenden Ressourcen und mindern das Vertrauen in den Rechtsstaat. Pfarrer Achijah Zorn zeigt anhand eines konkreten Falls die Unsinnigkeit des Volksverhetzungsparagraphen auf.

Gegen den Bremer Pfarrer Olaf Latzel läuft seit vier Jahren (!) ein Verfahren wegen Volksverhetzung. Bald steht die dritte Gerichtsrunde an, weil die Staatsanwaltschaft erfolgreich in Revision gegangen ist. Latzel hatte sich auf einem Eheseminar, das für kurze Zeit auch auf Youtube zu sehen war, mit zwei Sätzen gegen Teilnehmer am Christopher Street Day und gegen die Gender-Ideologie im Ton vergriffen.

Anhand dieses konkreten Verfahrens lässt sich die Unsinnigkeit des Volksverhetzungsparagraphen aufzeigen:

Erstens: Das Volksverhetzungsverfahren ist kontraproduktiv, da das Gerichtsverfahren die Bekanntheit des Angeklagten und seiner Aussagen erhöht.
Erlauben Sie mir bitte einen etwas miefigen Vergleich: Bildlich gesprochen hat Olaf Latzel etwas Anrüchiges auf eine Dixi-Klo-Tür geschmiert. Das Dixi-Klo war lediglich das stille Örtchen für die bibeltreuen konservativen Christen, für die Olaf Latzel einsteht. Nun kommt ein erregter Staatsanwalt, hebt die Tür des Dixi-Klos raus, trägt sie auf die Marktplätze von ganz Deutschland und macht darauf aufmerksam, wie schlimm diese Schmierereien seien. War die Dixi-Klo-Tür bis dato nur einigen Eingeweihten bekannt, der Staatsanwalt hat ihr nun größtmögliche Aufmerksamkeit verschafft.

Wenn die Aussagen von Olaf Latzel wirklich so schlimm wären, wie kann der Staatsanwalt dann alles dafür tun, sie vom stillen Örtchen ins Volk zu tragen? Geht es also im Endeffekt gar nicht um die Minderung von Volksverhetzung, sondern um die Staatsbestrafung eines Menschen mit unliebsamer Meinung?

Zweitens: Das Volksverhetzungverfahren ist unsinnig, weil echte Volksverhetzer nicht wie Olaf Latzel öffentlich und nachdrücklich um Entschuldigung für ihre Aussagen bitten.
Volksverhetzung und Um-Entschuldigen-Bitten sind wie Feuer und Wasser. Ich wundere mich, dass die evangelische Kirche sich nicht öffentlich für ihren Pfarrer Olaf Latzel stark macht. Vergebung ist das Metier des christlichen Glaubens. Die Vergebung Gottes kommt uns Menschen zugute und das Weitergeben dieser Vergebung in die zwischenmenschlichen Beziehungen hinein ist Aufgabe der Christen und der Kirche. Ist der Kirche ihr moralisches und übergriffiges Regenbogenchristentum wichtiger als ihr Kerngeschäft? Oder ist für die Kirche „Vergebung“ nur etwas für Sonntagsreden, aber wenn es konkret wird, dann zählt doch das üble Nachtragen von Verfehlungen?

Weil Olaf Latzel mit seinen Worten keinem Menschen nachweisbaren Schaden zugefügt hat und weil er für seine Wortwahl um Vergebung gebeten hat, werden Sie in meinem Artikel auch nicht die beiden Dixi-Klo-Sätze von Olaf Latzel finden. „Ich vergesse, was dahinten liegt und strecke mich aus nach dem, was vorne ist“ (Philipperbrief 3,13).

Vergebung eröffnet neue Räume für einen harten Streit in der Sache, für den Olaf Latzel steht; aber auch für eine angemessene Wortwahl in diesem Streit, wofür Olaf Latzel in der Regel ebenfalls steht. Vielleicht mehr als die Lobbygruppen der Gender-Ideologie, die schon seit Jahren zigmal Kirchengebäude von Latzels Gemeinde mit so viel Farbe und Propaganda beschmiert haben, wie es auf keine Dixi-Klo-Türe geht.

Drittens: Volksverhetzungsverfahren messen mit zweierlei Maß und sind darum ungerecht.
Ich möchte nicht wissen, was in deutschen Moscheen gegen Homosexualität und Gender-Ideologie gepredigt wird. Dagegen sind Olaf Latzels Sätze wohl ein Kindergeburtstag. Auch gegen die vielen heftigen Äußerungen von hohen staatlichen Würdenträgern gegen AfDler oder Ungeimpfte kann Olaf Latzel nicht mithalten. Muss Joachim Gauck wegen „Volksverhetzung“ vor Gericht, weil er die Ungeimpften als „Bekloppte“ bezeichnet hat? Wenn die Justitia wirklich verbundene Augen haben und neutral sein sollte, dann wird sie mehrere Legionen an Staatsanwälten und polizeilichen Ermittlern wegen des Volksverhetzungsparagraphen einstellen müssen, um vergleichbaren Fällen wie dem von Olaf Latzel gerecht werden zu können.

Viertens: Volksverhetzungsverfahren nehmen die Mündigkeit der Bevölkerung nicht ernst.
Die Bürger sind mündiger, als es die Elite unseres Landes denkt. Die Menschen können die Aussagen von Olaf Latzel einordnen. Sie wissen, dass er eine Minderheitenmeinung vertritt. Sie wissen, dass er sich im Ton vergriffen hat. Sie wissen, dass er das konservative Spektrum des christlichen Glaubens vertritt. Und sie wissen, dass kein Mensch einen andern verhetzen kann, wenn dieser das nicht will.

Die Bevölkerung ist clever genug, mit solchen Dixi-Klo-Geschichten umzugehen. Da braucht es keine paternalistischen Staatsanwälte, die das vermeintlich dumme Volk vor irgendetwas schützen müssten.

Der Fall von Olaf Latzel zeigt: Volksverhetzungsverfahren meinen es vielleicht gut, bewirken aber häufig genau das Gegenteil. Da möchten Gutmenschen den Diskurs zivilisieren. Doch de facto delegitimieren sie das Rechtssystem mit absurden Verfahren, die Zeit und Ressourcen verschwenden – und die das Vertrauen in unseren Staat mindern.

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