Tichys Einblick
Vorwort zum Sonntag

„Vater Staat“ in der FDP und in der Bibel

Auf einem ihrer aktuellen Wahlplakate begibt sich die FDP mit der Redefigur „Vater Staat“ auf’s liberale Glatteis. Der Staat in der Realität ist oft nicht Vater, sondern eher ein Riesenbaby, das von mündigen Bürgern beaufsichtigt werden muss, damit es im Porzellanladen der Gesellschaft nicht allzu viel Schaden anrichtet.

IMAGO

Die FDP hat ihre ersten Wahlplakate für die Bundestagswahl 2025 der Öffentlichkeit vorgestellt. Auf einem Plakat heißt es: „Vater Staat ist nicht dein Erziehungsberechtiger. Freie Demokraten. FDP“.

In einer „vaterlosen Gesellschaft“ (Alexander Mitscherlich) können wir vermeintlich aufatmen, wenn wir zumindestens den „Vater Staat“ haben. Denn ein Vater ist wichtig:

Erstens: „Vater Staat“ in sozialistischer Perspektive
Ein Vater hat Fürsorgepflichten gegenüber seinen Kindern. Von daher ist „Vater Staat“ ein beliebter Ausdruck bei sozialistischen Parteien, die den Staat als allumfassenden Fürsorger groß machen. Problematisch ist allerdings, dass „Vater Staat“ gar kein eigenes Geld hat, um fürsorglich sein zu können. „Vater Staat“ kann sich nur fürsorglich aufplustern, weil er die Mittel zuvor seinen Kindern mit Staatsgewalt weggenommen hat. „Dabei ist der Staat nur selten dazu fähig, den Einzelnen für das Opfer zu entschädigen, das er von ihm gefordert hat“ (Sigmund Freud). Freiheitsliebende sollten dieses Dilemma immer im Blick behalten, damit sie sorgsam mit staatsväterlichen Fürsorgemodellen umgehen.

Zweitens: „Vater Staat“ in grüner Perspektive
Ein Vater ist seinen Kindern ein Vorbild, ein wichtiger Lehrer und mit der Mutter zusammen der erste Erzieher. Von daher ist „Vater Staat“ eine beliebte Denkweise aller Grünen. „Der Staat macht keine Fehler“, das hat Robert Habeck tatsächlich wortwörtlich gesagt. Der grüne Staat als fehlerfreier Oberlehrer und Erzieher hat das Recht, bei seinen Kindern bis in den Heizungskeller und in die Zuckerrezepturen hinein erziehungsberechtigt einzugreifen.

Grüne mögen zwar den Begriff „Vater Staat“ ablehnen, weil der Begriff nicht gendergerecht sei. Aber der Sache nach sind Grüne bis ins innerste Mark hinein patriarchalisch. Der obige Wahlslogan der FDP polemisiert ja genau gegen diese grüne Erziehungs-Übergriffigkeit. Die FDP will einen „Vater Staat“, der nicht erziehungsberechtigt ist. Komisch eigentlich. Warum benutzt die FDP dann überhaupt die Vatermetapher für den Staat? Hätte eine liberale Partei nicht so werben müssen: „Der Staat ist nicht Ihr Erziehungsberechtigter, weil mündige Bürger keine Kinder sind und weil der Staat nicht Ihr Vater ist“?

Drittens: „Vater Staat“ in konservativer Perspektive
Ein guter Vater ist seinen Kindern ein Garant für Stabilität, Sicherheit und Ordnung. Von daher ist „Vater Staat“ ein beliebter Begriff bei Konservativen. Hier werden Liberale nur einstimmen können, sofern Stabilität, Sicherheit und Ordnung nicht auf Kosten der Freiheit gehen. Da allerdings alle Macht und damit auch die Staatsmacht eine Tendenz hat, sich übergriffig wuchernd auszubreiten, muss „Vater Staat“ auch in dieser stabiliserenden väterlichen Funktion von liberaler Seite ständig kontrolliert und beschnitten werden.

Es wundert also nicht, wenn echte Liberale dem Begriff „Vater Staat“ in seiner dreifachen Entfaltung sehr zurückhaltend gegenüberstehen. Nachdem die FDP in der Ampelkoalition und in der Coronazeit drei Jahre lang in einem äußerst patriarchalem Staatsregime mitregiert hat, kann man den obigen Wahlslogan der FDP als erste pubertäre und emanzipatorische Regung einer Partei deuten, die allerdings noch voller Staatsväterlichkeit steckt.

Die Bibel gibt auch wichtige Impulse zum Vaterbegriff. Im Neuen Testament fehlt der Vaterbegriff für die politische Sphäre. Dagegen wird der Vaterbegriff in 260 Versen auf Gott übertragen: „Gott aber, unserem Vater, sei Ehre von Ewigkeit zu Ewigkeit“ (Philipper 4,20). „Vater unser im Himmel“, lehrt uns Jesus das Beten (Matthäus 6,9).

Und auf seinem Weg zum Kreuz nennt Jesus seinen himmlischen Vater in seiner aramäischen Sprache „Abba“ = „Papa“ (Markus 14,36). Damit rückt selbst auf dem Kreuzweg der geborgenheitsschenkende Gott in seiner fürsorglichen und stabilisierenden Charakteristik in den Vordergrund.

Hinter dieser Väterlichkeit Gottes fällt alle menschliche Väterlichkeit weit zurück. So kann Jesus zuspitzen: „Und ihr sollte niemanden unter euch Vater nennen auf Erden; denn einer ist euer Vater, der ist im Himmel“ (Matthäus 23,9). Das verstehe ich nicht fundamentalistisch, dass man seinen leiblichen Vater oder eine Autoritätsperson wie eventuell auch den „Papst“ (abgeleitet von „Papa“) auf keinen Fall mehr „Vater“ nennen sollte. Aber ich verstehe dieses Mahnwort Jesu als kritisches Korrektiv: Jede Vater-Nennung steht unter dem Vorbehalt, dass sie sich an dem wahrhaftigen göttlichen Vater und an Jesus Christus als dem messianischen „Ewig-Vater“ (Jesaja 9,5) messen lassen muss.

Kein Wunder, dass die Bibel sowohl im Alten Testament als auch im Neuen Testament äußerst vorsichtig damit ist, irgendetwas Staatliches als väterlich zu bezeichnen. Der Staat hat theoretisch gewiss auch gute Seiten und kann als Geschenk Gottes angesehen werden (Römer 13,1). Doch in der Realität hat er tückische Eigendynamiken. Und dann mutiert der Staat allzuoft zum „Riesenbaby“, auf das die mündigen Bürger ständig aufpassen müssen, damit der Staat als Riesenbaby im Porzellanladen unserer Gesellschaft nicht allzu viel Schaden anrichtet.

Als Liberaler mit der Bibel im Rücken distanziere ich mich von der Metapher „Vater Staat“, die ich gerne den Sozialisten, Grünlingen und konservativen Hardlinern überlasse.

„Das Volk, das im Finstern wandelt, sieht ein großes Licht
(…)
Denn uns ist ein Kind geboren, ein Sohn ist uns gegeben, und die Herrschaft ruht auf seiner Schulter.
Und er heißt Wunder-Rat, Gott-Held, EWIG-VATER, Friedefürst.“
(Jesaja 9,6).

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