In der Seelsorge begegnen mir immer mehr Menschen, die politisch verärgert sind und die eine Faust in der Tasche haben. Während sie den Staat gerne mehr auf Distanz hätten, rückt dieser ihnen immer aufdringlicher auf die Pelle.
Wie können diese Menschen angesichts solch eines übergriffigen Staates ihren inneren Seelenfrieden bewahren? Wie können sie ihre Lebensfreude bewahren, ohne dabei ihre politische Unzufriedenheit verneinen, verleugnen oder verstecken zu müssen?
Folgende zwei Wege der Selbstfürsorge, die sich bei mir bewährt haben, könnten dabei hilfreich sein.
Erstens: Selbstfürsorge durch kreatives Ausleben des politischen Ärgers
Eine Freundin von mir traut sich nicht in die Öffentlichkeit der Montagsspaziergänge. Sie aber hat jetzt ihrem Bundestagsabgeordneten einen tollen Brief geschrieben. Der Inhalt ist sehr freundlich gehalten, aber doch auch klar und entschieden. Bisher hat sie noch keine Antwort bekommen. Doch es geht ihr ja in erster Linie um Selbstfürsorge, um Seelenhygiene, um Selbstklärung der eigenen inneren verletzten Gefühle. Und es geht ihr um Selbstachtung, weil sie nicht mehr alles mit sich machen lassen will. Als ein Bekannter von ihrem Brief erfährt, ist dieser voll des Lobes über dieses Herausgehen aus dem Schneckenhaus. Das tat ihr gut. Eine überraschende Zugabe an Wertschätzung als ungewollte Nebenwirkung.
Zweitens: Selbstfürsorge durch einen erholsamen Ausgleich vom politischen Ärger
Wirklich mal ein paar Stunden oder auch ein paar Tage politisch fasten. Ein Bekannter hat alle politische Diskussion in seinem Haus auf das Wohnzimmer begrenzt, wo auch der Fernseher steht. Alle anderen Zimmer sind politikfreie Zone. Sein Motto: „Ich möchte nicht auch noch in der Küche von Karl Lauterbach belästigt werden.“
Vielleicht können wir diesen spannenden Ansatz sogar auf unser „Seelenhaus“ übertragen. Dort gibt es neben dem Zimmer der Politik noch viele andere Zimmer und Korridore, in die wir gehen können: die Seelenzimmer der Arbeit, der Hobbies, der Familie und Freunde, der Kunst, der Muße. Wahrscheinlich ist unser Seelenhaus sogar von einem schönen großen Garten umgeben.
Pflegen wir diesen Seelengarten, renovieren wir abgelegene Seelenzimmer, um dort neue Kraft zu sammeln, aufzutanken; um dort unsere Seele wieder aufblühen zu lassen.
Bibel-TV macht im Augenblick eine bundesweite Werbekampagne für das Seelenzimmer der Religiosität: „Ich bete, weil meine Seele dabei auftanken kann.“ Unser Seelenhaus ist wohl größer und vielfältiger als wir denken.
Ich wünsche uns allen, dass wir in diesen turbulenten Zeiten diese Balance einigermaßen hinbekommen: Unseren berechtigten Zorn auf politische Missstände bewahren, ohne von diesem Zorn in der Seele aufgefressen und zerstört zu werden. Dabei tröstet mich mein Glauben, dass es jenseits von meinen eigenen Kräften noch einen guten Hausmeister für meine Seele gibt, der mir bei dieser Gratwanderung beisteht, selbst wenn ich mal auf der einen oder anderen Seite vom Weg abkomme.